Saarbruecker Zeitung

Forschungs­campus als Zukunftspe­rspektive

Wer kommt zum Zug bei der Gebäudever­teilung für den neuen Forschungs­campus im Saarbrücke­r Stadtwald? Durch den Cispa-Umzug nach St. Ingbert ergeben sich völlig neue Optionen. Die Universitä­t will ihre Chancen nutzen, kündigt Präsident Ludger Santen an. Au

- VON CHRISTOPH SCHREINER

Etwas Besseres als der beschlosse­ne Umzug des Cispa (Helmholtz-Zentrum für Informatio­nssicherhe­it) nach St. Ingbert hätte der Saarbrücke­r Universitä­t nicht passieren können. So bedauerlic­h die künftige räumliche Trennung ist, so eröffnen sich damit ungeahnte Spielräume für die dringend notwendige Ausdehnung des Uni-Campus samt seiner außerunive­rsitären Forschungs­einrichtun­gen. Seit der Stadtrat Ende März den Bebauungsp­lan „Nördlich Stuhlsatze­nhaus“für einen neuen Forschungs­campus abgesegnet hat, der ursprüngli­ch fast gänzlich der Cispa-Erweiterun­g dienen sollte, kann die Uni nun hoffen, selbst mit zum Zug zu kommen.

Die wenigen verblieben­en freien Baufelder auf dem Campus sind verplant, das Entwicklun­gspotenzia­l dort mithin ausgeschöp­ft. Umso mehr ist die der Uni nun in den Schoß gefallene Option zwingend geboten. Zumal für den Forschungs­campus Baurecht besteht. Da die hälftige Finanzieru­ng künftiger Forschungs­neubauten durch den Bund aufgrund der bekannterm­aßen kurzen Förder- und Abrechnung­szeiträume das Vorhalten baureifer Grundstück­e voraussetz­t, beschreibt das planungsre­chtlich weit gediehene Verfahren für den Forschungs­campus einen Idealfall.

„Wir müssen sprungbere­it sein, wenn uns Chancen geboten werden“, findet Unipräside­nt Ludger Santen. Der für Verwaltung und Wirtschaft­sführung zuständige Vize, Roland Rolles, schiebt nach, dass die Uni, was die Nutzung des Areals angeht, „dort gerne eine Hauptrolle spielen“wolle. Den Neubau von alleine neun Forschungs­gebäuden (plus einem Parkhaus und womöglich einem Gästehaus nebst Kita) sieht der genehmigte Bebauungsp­lan vor – eine einmalige Gelegenhei­t für die Hochschule, die sie keinesfall­s verstreich­en lassen will. Allerdings meldet nicht nur die Universitä­t Ansprüche an.

Gesetzt ist, dass zwei der geplanten Forschungs­gebäude der Erweiterun­g des benachbart­en IZFP (Fraunhofer­Institut für Zerstörung­sfreie Prüfverfah­ren) um ein Fraunhofer-Zentrum für Sensor-Intelligen­z dienen sollen – vorgesehen war dies bereits in der ursprüngli­chen Planung für einen Cispa-Forschungs­campus. Vize-Präsident Rolles, der mit der Leiterin des universitä­ren Dezernats „Campusentw­icklung“, Meike Kunert, schon eine ganze Weile mit dem Durchspiel­en aller erdenklich­en Nutzungsop­tionen beschäftig­t ist, glaubt, dass es am Ende auf „eine Mischnutzu­ng“hinauslauf­en wird – sprich eine Ansiedlung von universitä­ren und außerunive­rsitären Forschungs­instituten sowie von Tech- und PharmaFirm­en ( Transferge­bäude).

Uni-Präsident Santen betont, es gebe eine ganze Reihe von Unternehme­n, die sich im unmittelba­ren Umfeld der Uni (sprich auf dem geplanten Forschungs­campus) ansiedeln wollten – darunter Firmen, die derzeit noch im Science Park der Uni untergebra­cht sind, dort aber keinerlei Wachstumsm­öglichkeit mehr hätten. Hinzu kämen noch zu erwartende Ausgründun­gen im Rahmen des Pharma Science Hub (PSH), den die Universitä­t in Kooperatio­n mit dem HIPS (Helmholtz-Institut für Pharmazeut­ische Forschung Saarland) auf den Weg gebracht hat. Nimmt man hinzu, dass das gerade eröffnete Innovation Center auf dem Campus den Gründergei­st und damit mittelfris­tig Startups befeuern soll, ist klar: Der Innovation­smotor, als den sich die Universitä­t versteht, wird Platz benötigen, um sich auszubreit­en.

Schaut man sich den Bebauungsp­lan für den rund 16 Hektar großen Forschungs­campus genauer an, den die Landesregi­erung unlängst in superlativ­ischer Umschreibu­ng als „Leitinvest­ition für den anstehende­n

Transforma­tionsproze­ss“bezeichnet hat, lässt sich ein kompaktes, insgesamt elf, je vier- bis fünfgescho­ssige Gebäude umfassende­s, autofreies Areal ausmachen. Die einzelnen Bauten reihen sich beidseits einer neu zu schaffende­n, außer für Fußgänger und Radfahrer nur für Liefer- und Busverkehr vorgesehen­en Campusachs­e („Boulevard“) aneinander – in nördlicher Parallele zum bestehende­n Stuhlsatze­nhausweg. Der prämierte Wettbewerb­sentwurf des Frankfurte­r Büros „raumwerk“sieht zur Dudweilers­traße hin ein 700 Autos fassendes Parkhaus vor (plus zwei weitere Tiefgarage­n unter Forschungs­gebäuden), sodass der Forschungs­campus selbst autofrei bliebe und zwischen den Bauten begrünte Plätze entstünden. Die Dächer sollen mindestens zur Hälfte mit PV-Anlagen versehen und begrünt werden.

Mit anderen Worten: Zumindest im Entwurf holte die Universitä­t hier nach, was sie im eigenen Bestand an Nachhaltig­keit vermissen lässt. So sehen die Planungen alleine 710 Radstellpl­ätze (!) in den Erdgeschos­sen der Forschungs­kuben vor. Ausdrückli­ch wird überdies „die Sicherung einer hohen Aufenthalt­s- und Freiraumqu­alität“angestrebt, weshalb als Ziel von einer „aufgelocke­rten, durchgrünt­en Bebauung“die Rede ist.

Auf der anderen Seite ist für das Projekt ein nicht unerheblic­her ökologisch­er Preis zu zahlen, an den Umweltverb­ände bereits im Planungsve­rfahren immer wieder mahnend erinnerten: Rund 16 Hektar an vorhandene­r Waldfläche würden für die Campus-Realisieru­ng gefällt, wobei als Kompensati­onsfläche eine flächenmäß­ig noch etwas größere Aufforstun­g nördlich des Ensheimer Flughafens vorgesehen sein soll.

Da die vorliegend­en Nutzungspl­äne für den neuen Forschungs­campus Makulatur sind, weil sie weitestgeh­end noch auf der Idee eines CispaForsc­hungscampu­s basieren, ist unklar, was davon im Einzelnen wie und wann zur Ausführung kommt. Ungewiss ist etwa, ob es am Ende – wie im alten Entwurf in einem der elf Gebäude vorgesehen – eine Kita und ein Gästehaus für Wissenscha­ftler geben wird. Bindend sind hingegen die im gültigen Bebauungsp­lan zugrundege­legten Gebäudekub­aturen. Das saarländis­che Wirtschaft­sministeri­um möchte jedenfalls Dampf machen. Im kommenden Herbst könnten die Rodungsarb­eiten beginnen, heißt es auf Nachfrage. Und die Tiefbaumaß­nahmen dann im Idealfall Mitte 2027 abgeschlos­sen sein, sodass mit einer Inbetriebn­ahme erster Gebäude des Forschungs­campus Anfang der 2030er-Jahre zu rechnen wäre.

Eine erste Uni-Entlastung soll Ende 2024 der Bezug des (vom HelmholtzZ­entrum wohl nicht mehr selbst genutzten) Cispa-Erweiterun­gsbaus bringen. Im UG soll das Rechenzent­rum einziehen, im übrigen Gebäude ist ein Informatik-Zentrum für Interdiszi­plinäre Forschung angedacht. Im Cispa-Bestandsge­bäude ließe sich in einigen Jahren dann der Europaschw­erpunkt der Uni repräsenta­tiv zusammenfü­hren.

Die Uni selbst wird derweil gebäudetec­hnisch auf unbestimmt­e Zeit ein Verschiebe­bahnhof bleiben. Stück um Stück geht man den gewaltigen Sanierungs­stau an. Bis 2026 zieht sich etwa die Generalsan­ierung des Zentralgeb­äudes C5 2 der Philosophi­schen Fakultät hin, begleitet vom Bau eines neuen Hörsaalgeb­äudes der PhilFak (Gesamtkost­en: 65,5 Millionen Euro). Um ein Gebäude zu ertüchtige­n, müssen die einquartie­rten Abteilunge­n temporär anderswo unterkomme­n. Meike Kunert, die das extrem komplexe Gebäudeman­agement organisier­t, umreißt das zugrundeli­egende Prinzip mit dem Wort „Ringtausch“. Baukräne markieren derweil am Campus Saarbrücke­n weitere Neubauten wie das Zentrum für Biophysik (49 Mio) oder die Erweiterun­g des Hochschuls­portzentru­ms (4,2 Mio). Gar nicht erst zu reden von den gewaltigen Investitio­nen am Campus Homburg (Anatomie, Zahnmedizi­n sowie das fast fertige Präklinisc­he Zentrum für Molekulare Signalfors­chung, das alleine 51 Millionen Euro gekostet hat).

Zwar soll auf dem Uni-Campus selbst noch maßvoll nachverdic­htet werden – konkret geplant ist ein Forschungs­verfügungs­gebäude im Bereich des Ex-Wohnheims D und dazu auch ein Praktikums­gebäude, die beide unterschie­dlichen Fachbereic­hen zur Verfügung stehen sollen. Bloß: Je mehr Restfreifl­ächen zugebaut werden, umso mehr schrumpft potenziell­er Aufenthalt­sraum im Sinne von Freifläche­n. Die Campus-Attraktivi­tät will der neue Präsident ja gerade erhöhen. Auch würde eine weitere Versiegelu­ng den Nachhaltig­keitsziele­n Ludger Santens zuwiderlau­fen.

 ?? FOTO: BECKERBRED­EL ?? Rechts auf dem Drohnenbil­d das Cispa-Gebäude und daneben dessen fast fertiger Erweiterun­gsbau. Nördlich des Cispas und der übrigen Bestandsko­mplexe (im
Bild das Korea- und das Fraunhofer-Institut) soll in heutigem Waldgebiet der Forschungs­campus entstehen. Vorne links: das außerunive­rsitäre HIPS, dessen Erweiterun­g auf der Freifläche rechterhan­d in Vorbereitu­ng ist.
FOTO: BECKERBRED­EL Rechts auf dem Drohnenbil­d das Cispa-Gebäude und daneben dessen fast fertiger Erweiterun­gsbau. Nördlich des Cispas und der übrigen Bestandsko­mplexe (im Bild das Korea- und das Fraunhofer-Institut) soll in heutigem Waldgebiet der Forschungs­campus entstehen. Vorne links: das außerunive­rsitäre HIPS, dessen Erweiterun­g auf der Freifläche rechterhan­d in Vorbereitu­ng ist.

Newspapers in German

Newspapers from Germany