Forschungscampus als Zukunftsperspektive
Wer kommt zum Zug bei der Gebäudeverteilung für den neuen Forschungscampus im Saarbrücker Stadtwald? Durch den Cispa-Umzug nach St. Ingbert ergeben sich völlig neue Optionen. Die Universität will ihre Chancen nutzen, kündigt Präsident Ludger Santen an. Au
Etwas Besseres als der beschlossene Umzug des Cispa (Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit) nach St. Ingbert hätte der Saarbrücker Universität nicht passieren können. So bedauerlich die künftige räumliche Trennung ist, so eröffnen sich damit ungeahnte Spielräume für die dringend notwendige Ausdehnung des Uni-Campus samt seiner außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Seit der Stadtrat Ende März den Bebauungsplan „Nördlich Stuhlsatzenhaus“für einen neuen Forschungscampus abgesegnet hat, der ursprünglich fast gänzlich der Cispa-Erweiterung dienen sollte, kann die Uni nun hoffen, selbst mit zum Zug zu kommen.
Die wenigen verbliebenen freien Baufelder auf dem Campus sind verplant, das Entwicklungspotenzial dort mithin ausgeschöpft. Umso mehr ist die der Uni nun in den Schoß gefallene Option zwingend geboten. Zumal für den Forschungscampus Baurecht besteht. Da die hälftige Finanzierung künftiger Forschungsneubauten durch den Bund aufgrund der bekanntermaßen kurzen Förder- und Abrechnungszeiträume das Vorhalten baureifer Grundstücke voraussetzt, beschreibt das planungsrechtlich weit gediehene Verfahren für den Forschungscampus einen Idealfall.
„Wir müssen sprungbereit sein, wenn uns Chancen geboten werden“, findet Unipräsident Ludger Santen. Der für Verwaltung und Wirtschaftsführung zuständige Vize, Roland Rolles, schiebt nach, dass die Uni, was die Nutzung des Areals angeht, „dort gerne eine Hauptrolle spielen“wolle. Den Neubau von alleine neun Forschungsgebäuden (plus einem Parkhaus und womöglich einem Gästehaus nebst Kita) sieht der genehmigte Bebauungsplan vor – eine einmalige Gelegenheit für die Hochschule, die sie keinesfalls verstreichen lassen will. Allerdings meldet nicht nur die Universität Ansprüche an.
Gesetzt ist, dass zwei der geplanten Forschungsgebäude der Erweiterung des benachbarten IZFP (FraunhoferInstitut für Zerstörungsfreie Prüfverfahren) um ein Fraunhofer-Zentrum für Sensor-Intelligenz dienen sollen – vorgesehen war dies bereits in der ursprünglichen Planung für einen Cispa-Forschungscampus. Vize-Präsident Rolles, der mit der Leiterin des universitären Dezernats „Campusentwicklung“, Meike Kunert, schon eine ganze Weile mit dem Durchspielen aller erdenklichen Nutzungsoptionen beschäftigt ist, glaubt, dass es am Ende auf „eine Mischnutzung“hinauslaufen wird – sprich eine Ansiedlung von universitären und außeruniversitären Forschungsinstituten sowie von Tech- und PharmaFirmen ( Transfergebäude).
Uni-Präsident Santen betont, es gebe eine ganze Reihe von Unternehmen, die sich im unmittelbaren Umfeld der Uni (sprich auf dem geplanten Forschungscampus) ansiedeln wollten – darunter Firmen, die derzeit noch im Science Park der Uni untergebracht sind, dort aber keinerlei Wachstumsmöglichkeit mehr hätten. Hinzu kämen noch zu erwartende Ausgründungen im Rahmen des Pharma Science Hub (PSH), den die Universität in Kooperation mit dem HIPS (Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland) auf den Weg gebracht hat. Nimmt man hinzu, dass das gerade eröffnete Innovation Center auf dem Campus den Gründergeist und damit mittelfristig Startups befeuern soll, ist klar: Der Innovationsmotor, als den sich die Universität versteht, wird Platz benötigen, um sich auszubreiten.
Schaut man sich den Bebauungsplan für den rund 16 Hektar großen Forschungscampus genauer an, den die Landesregierung unlängst in superlativischer Umschreibung als „Leitinvestition für den anstehenden
Transformationsprozess“bezeichnet hat, lässt sich ein kompaktes, insgesamt elf, je vier- bis fünfgeschossige Gebäude umfassendes, autofreies Areal ausmachen. Die einzelnen Bauten reihen sich beidseits einer neu zu schaffenden, außer für Fußgänger und Radfahrer nur für Liefer- und Busverkehr vorgesehenen Campusachse („Boulevard“) aneinander – in nördlicher Parallele zum bestehenden Stuhlsatzenhausweg. Der prämierte Wettbewerbsentwurf des Frankfurter Büros „raumwerk“sieht zur Dudweilerstraße hin ein 700 Autos fassendes Parkhaus vor (plus zwei weitere Tiefgaragen unter Forschungsgebäuden), sodass der Forschungscampus selbst autofrei bliebe und zwischen den Bauten begrünte Plätze entstünden. Die Dächer sollen mindestens zur Hälfte mit PV-Anlagen versehen und begrünt werden.
Mit anderen Worten: Zumindest im Entwurf holte die Universität hier nach, was sie im eigenen Bestand an Nachhaltigkeit vermissen lässt. So sehen die Planungen alleine 710 Radstellplätze (!) in den Erdgeschossen der Forschungskuben vor. Ausdrücklich wird überdies „die Sicherung einer hohen Aufenthalts- und Freiraumqualität“angestrebt, weshalb als Ziel von einer „aufgelockerten, durchgrünten Bebauung“die Rede ist.
Auf der anderen Seite ist für das Projekt ein nicht unerheblicher ökologischer Preis zu zahlen, an den Umweltverbände bereits im Planungsverfahren immer wieder mahnend erinnerten: Rund 16 Hektar an vorhandener Waldfläche würden für die Campus-Realisierung gefällt, wobei als Kompensationsfläche eine flächenmäßig noch etwas größere Aufforstung nördlich des Ensheimer Flughafens vorgesehen sein soll.
Da die vorliegenden Nutzungspläne für den neuen Forschungscampus Makulatur sind, weil sie weitestgehend noch auf der Idee eines CispaForschungscampus basieren, ist unklar, was davon im Einzelnen wie und wann zur Ausführung kommt. Ungewiss ist etwa, ob es am Ende – wie im alten Entwurf in einem der elf Gebäude vorgesehen – eine Kita und ein Gästehaus für Wissenschaftler geben wird. Bindend sind hingegen die im gültigen Bebauungsplan zugrundegelegten Gebäudekubaturen. Das saarländische Wirtschaftsministerium möchte jedenfalls Dampf machen. Im kommenden Herbst könnten die Rodungsarbeiten beginnen, heißt es auf Nachfrage. Und die Tiefbaumaßnahmen dann im Idealfall Mitte 2027 abgeschlossen sein, sodass mit einer Inbetriebnahme erster Gebäude des Forschungscampus Anfang der 2030er-Jahre zu rechnen wäre.
Eine erste Uni-Entlastung soll Ende 2024 der Bezug des (vom HelmholtzZentrum wohl nicht mehr selbst genutzten) Cispa-Erweiterungsbaus bringen. Im UG soll das Rechenzentrum einziehen, im übrigen Gebäude ist ein Informatik-Zentrum für Interdisziplinäre Forschung angedacht. Im Cispa-Bestandsgebäude ließe sich in einigen Jahren dann der Europaschwerpunkt der Uni repräsentativ zusammenführen.
Die Uni selbst wird derweil gebäudetechnisch auf unbestimmte Zeit ein Verschiebebahnhof bleiben. Stück um Stück geht man den gewaltigen Sanierungsstau an. Bis 2026 zieht sich etwa die Generalsanierung des Zentralgebäudes C5 2 der Philosophischen Fakultät hin, begleitet vom Bau eines neuen Hörsaalgebäudes der PhilFak (Gesamtkosten: 65,5 Millionen Euro). Um ein Gebäude zu ertüchtigen, müssen die einquartierten Abteilungen temporär anderswo unterkommen. Meike Kunert, die das extrem komplexe Gebäudemanagement organisiert, umreißt das zugrundeliegende Prinzip mit dem Wort „Ringtausch“. Baukräne markieren derweil am Campus Saarbrücken weitere Neubauten wie das Zentrum für Biophysik (49 Mio) oder die Erweiterung des Hochschulsportzentrums (4,2 Mio). Gar nicht erst zu reden von den gewaltigen Investitionen am Campus Homburg (Anatomie, Zahnmedizin sowie das fast fertige Präklinische Zentrum für Molekulare Signalforschung, das alleine 51 Millionen Euro gekostet hat).
Zwar soll auf dem Uni-Campus selbst noch maßvoll nachverdichtet werden – konkret geplant ist ein Forschungsverfügungsgebäude im Bereich des Ex-Wohnheims D und dazu auch ein Praktikumsgebäude, die beide unterschiedlichen Fachbereichen zur Verfügung stehen sollen. Bloß: Je mehr Restfreiflächen zugebaut werden, umso mehr schrumpft potenzieller Aufenthaltsraum im Sinne von Freiflächen. Die Campus-Attraktivität will der neue Präsident ja gerade erhöhen. Auch würde eine weitere Versiegelung den Nachhaltigkeitszielen Ludger Santens zuwiderlaufen.