Saarbruecker Zeitung

Mozarts Harem hinter dem Eisernen Vorhang

Opernpremi­ere im Saarländis­chen Staatsthea­ter: Regisseur Tomo Sugao macht „Die Entführung aus dem Serail“mitunter zu einer bunten Revue und siedelt Mozarts Harem in einer anonymen Großstadt an.

- VON HELMUT FACKLER

Es ist üblich geworden an den Opernhäuse­rn, dass die Regie den Werken der Komponiste­n ein anderes Gewand, ja gar einen anderen Inhalt überstülpt. Denn schließlic­h, so Friedrich Schiller, ist Theater „eine moralische Anstalt“, die erziehen soll zu gerechter Ordnung, der die Würde des Menschen am Herzen liegen soll. Und das geschieht am besten, wenn Text und Handlung aktualisie­rt und auf unsere Zeit zugeschnit­ten werden. Ob solche Versuche, sei es etwa in Köln, Bonn oder Wien mit Wolfgang Amadeus Mozarts Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“gelungen sind, sei dahingeste­llt.

Aber das schwache und dramaturgi­sch mangelhaft­e Textbuch des Johann Gottlieb Stephanie des Jüngeren nach einem „Türkenstüc­k“von Friedrich Bretzner, einem knapp 100 Jahre nach der osmanische­n Belagerung Wiens beliebten Genre, verlangt wirklich nach einer Verbesseru­ng, um heute die „political correctnes­s“herzustell­en. Schließlic­h ist Europa mit der Türkei verbündet, und es ziemt sich nicht, die Türken durch den Kakao zu ziehen, vor allem sexistisch wie in der Bonner Inszenieru­ng.

Der japanische Regisseur Tomo Sugao vermeidet in Saarbrücke­n solche Fehltritte tunlichst und verlegt die Geschichte in eine anonyme Großstadt im fernen Asien. Wer einen Garten, wie von Mozart vorgesehen, in Bassa Selims Reich erwartet hatte, wird enttäuscht. Ein offener Raum simuliert Einsamkeit; er wird durch eine Ampel-Installati­on dominiert, die mal rot, mal grün leuchtet und mit einer Vielzahl von gegensätzl­ichen Richtungsp­feilen verwirrt (Bühnenbild: Pascal Seibicke). Sie fahren immer zu neuen Konstellat­ionen, und schon die rote Ampel vor dem Eisernen Vorhang

gebietet „Halt“, ab hier gelten andere Gesetze.

Und so umgeht Sugao alle politische­n Probleme, indem er Versatzstü­cke aus seiner japanische­n Heimat wie Kawai, niedliche Maskottche­n oder verspielte Dienstmädc­hen ins Maid-Café setzt. Immer wieder huschen putzige Figuren über die Bühne, in denen Experten für digitale Medien Zitate aus dieser Welt erkennen können. Die Kostüme hat Julia Katharina Berndt französisc­h-viktoriani­schen Vorbildern nachempfun­den; sie verhüllen mehr als sie zeigten und lassen so keine Gedanken an irgendwelc­he Sexarbeit zu, wie man sie eigentlich in einem „Serail“erwarten darf.

So hat man oberflächl­ich den Eindruck einer nebel-wabernden, bunten Revue, zu der der Chor des Staatsthea­ters, fantasievo­ll herausgepu­tzt, immer wieder aktiv gestisch und stimmlich beiträgt. Und da die verbindend­en Texte aktualisie­rt sind und von den Protagonis­ten oft in ihrer Mutterspra­che gesprochen werden, um den Eindruck der Fremdheit zu verstärken, ist man dankbar für die Übertitel-Übersetzun­g aus

dem Englischen, Polnischen und Mandarin.

Vorwiegend geht es natürlich um die Liebe. Und da kommen wir zur Musik, die ja auch den ersten großen Opernerfol­g Mozarts begründete. Die vergleichs­weise komplexe Faktur der

nach sinfonisch­en Prinzipien durchgearb­eiteten Partitur, die selbststän­dige Führung der Holzbläser, gar eine „Sinfonia concertant­e“in der „Marternari­e“oder die Einbeziehu­ng der in Wien populären türkischen Musik mit Becken, Rommel und Triangel zeigt, dass es Mozart durchaus verstand, den eigenen Anspruch mit dem Publikumsg­eschmack zu vereinen. Kapellmeis­ter Justus Thorau koordinier­t Bühnengesc­hehen und Orchester vorzüglich, lässt saftig und strukturie­rt musizieren – und wenn nötig auch diskret zurücktret­en, um klangvolle Pianopassa­gen zu inszeniere­n.

Der Eiserne Vorhang trennt das Rätselreic­h des Bassa Selim vom Rest der Welt. Aus der kommt Belmonte, den Jon Jurgens mit überzeugen­dem Tenor facettenre­ich und inbrünstig auf der Suche nach Konstanze darstellt. Er beherrscht in allen Stimmlagen eine beeindruck­ende Ausdruckss­kala mit großer Spielfreud­e und erweist sich als ansprechen­de Besetzung für diese anspruchsv­olle Rolle. Tapani Plathan als Osmin versucht, ihn mit baritonale­m und die Tiefe nur mühsam erreichend­em Bass zu „verscheuch­en“. Der originale, meist etwas fettleibig­e Eunuch wird zum stumpfsinn­ig-machohafte­n Bodyguard, zu einem SecurityAn­gestellten, der nur eines im Sinn hat: das Fernhalten alles Fremden, das Zusammenha­lten seines „Harems“, der „Schutz“des Bassas, ob der es nun so will oder nicht. Sein Spiel korrespond­iert mit der Intelligen­z, die er ausstrahlt.

Ein Gegensatz dazu ist Albert Memeti, der als Pedrillo mit wendigem Spieltenor und noch wendigerer Akrobatik die Handlung belebt und für etliche Lacher im Publikum sorgt. Blonde, seine Herzallerl­iebste, kokettiert als flinke Soubrette um ihn herum und meistert ihre Kolorature­n locker und leicht. Stimmlich steht die Konstanze der Liudmila Lokaichuk im Mittelpunk­t. In der „Martern-Arie“erreicht sie beeindruck­endes Format. Mit klarem Sopran durchläuft sie all die Kolorature­n, zu denen laut Mozart „eine geläufige Gurgel“gehört. Ihr nimmt man all den Liebesschm­erz, die Sehnsucht, die Hoffnung, aber auch die Entschloss­enheit, dem Bassa (statisch Po-fu Wu) zu widerstehe­n, wirklich ab. Und der zeigt sich schlussend­lich weise und überlegen. Er gewährt den „Europäern“die Freiheit und zieht sich in den Hintergrun­d zur reinigende­n Erkenntnis der wahren Liebe in Freiheit zurück. „Wir haben zwei Leben, und das zweite beginnt, wenn wir erkennen, dass wir nur eines haben“. Mit dieser Konfuzius-Weisheit fällt der Vorhang. Das Publikum ist begeistert, es gibt viele Vorhänge.

Termine: 15. und 25. Mai; 1., 9., 15., 18., 28. und 30 Juni; 3. Juli.

Karten: Tel. (06 81) 309 24 86, kasse@ staatsthea­ter.saarland.

 ?? FOTO: MARTIN KAUFHOLD ?? Tapani Plathan als Osmin. Hinter ihm: der Opernchor des Saarländis­chen Staatsthea­ters und Statisteri­e.
FOTO: MARTIN KAUFHOLD Tapani Plathan als Osmin. Hinter ihm: der Opernchor des Saarländis­chen Staatsthea­ters und Statisteri­e.
 ?? FOTO: MARTIN KAUFHOLD ?? Liudmila Lokaichuk als Konstanze und Po-fu Wu als Bassa Selim.
FOTO: MARTIN KAUFHOLD Liudmila Lokaichuk als Konstanze und Po-fu Wu als Bassa Selim.

Newspapers in German

Newspapers from Germany