Clara Brill ist erneut Poetry Slam-Meisterin
Am Freitag kürten rund 550 Besucher Clara Brill in der Saarbrücker Garage zur Siegerin. Brill hat sich damit zum dritten Mal in Folge für die deutschsprachigen Poetry Slam-Meisterschaften qualifiziert.
„Ich bin krass davon überwältigt, dass heute Abend 550 Leute gekommen sind. Das macht mich gerade sehr, sehr glücklich“, sagt Andrea Maria Fahrenkampf. Sie ist sichtlich erschöpft. Gut zweieinhalb Stunden hat sie mit Bravour und Witz die saarländische Poetry Slam-Meisterschaft durchmoderiert. Nun braucht sie wieder die Krücken. Die fleißigen Mitarbeiter der Garage sind bereits tatkräftig und lautstark mit dem Abbauen der 550 Stühle beschäftigt.
Dass der Dichterwettstreit in der Garage in Saarbrücken mit einem bis dato nie dagewesenen Besucherrekord so glatt über die Bühne gegangen ist, hat alle Beteiligten Kraft gekostet, aber war der Mühe allemal wert. „Poetry Slam nimmt gerade mächtig an Fahrt auf. Wir haben dieses Jahr jeden Monat einen Slam veranstaltet. Alle waren ausverkauft, so wie heute auch“, freut sich Fahrenkampf.
Wie bereits in den vergangenen Jahren hat die bundesweit bekannte saarländische Slammerin auch die diesjährige saarländische Meisterschaft im Poetry Slam organisiert – zusammen mit ihren eingeschworenen Kolleginnen und Kollegen des sogenannten Dichterdschungel-Kollektivs. „Ihr seid so viele. Ich hätte nicht gedacht, dass es so viele Menschen im Saal gibt, die auch noch Bock auf Poetry Slam haben“, begrüßt Fahrenkampf das hellauf begeisterte Publikum aus Jung und Alt.
„Normalerweise springe ich sehr viel herum. Heute aber springe ich etwas weniger, denn ich habe mir gestern fast den Fuß gebrochen. Aber das hält mich nicht davon ab, heute hier zu stehen und euch ein bisschen zu beglücken“, sagt die quietschfidele Moderatorin mit dem Handicap, bevor sie das Publikum in Sachen Poetry Slam unterweist – und die obligatorischen Klatschproben mit lustiger Vehemenz einfordert und bekommt. Auch die zuvor zufällig auserkorenen sieben Juroren – einzige Bedingung: weder befreundet noch verwandt mit einem der Teilnehmenden – müssen sich Fahrenkampfs Lackmustest unterziehen – schließlich geht es „um einen wahnsinnig tollen Siegpreis, nämlich eine kleine Krone in Pokalform und natürlich die goldene Dichterdschungel-Medaille für den, beziehungsweweise die saarländische Meisterin im Poetry Slam“, erklärt sie, bevor Mynt aus Stuttgart den Abend mit einem musikalischen Feature eröffnet. „Wenn ist schreibe, sehe ich Dinge, die ich vorher nicht gesehen habe“, lautet eine der gerappten Hooklines.
Vom Publikum tosend herbei geklatscht bringt sich Elli Germann, die erste von den insgesamt neun Slammerinnen und Slammern, vor der prächtigen, floral anmutenden Kulisse in Position.
„Meine Damen und Herren und alle dazwischen und darüber hinaus“, begrüßt Germann das Publikum. Als vermeintliche Forscherin präsentiert sie ihre höchst evidenten Ergebnisse zum omnipräsenten
Thema „cringe“. Mit diesem Jugendwort sind Peinlichkeiten aller Arten gemeint. Genüsslich und äußert unterhaltsam – freilich nicht ohne warnende Zwischentöne bezüglich Ausgrenzung – seziert Germann eindringlich und anschaulich die Spielarten von „cringe“. Abschließend verhöhnt sie natürlich auch das Publikum als „cringe“. Denn peinlich seien wir ja irgendwie alle. Nicht unbedingt vor uns selber. Aber oft in den Augen anderer, die unsere Eigenarten und Einstellungen, die uns zu unverwechselbaren und auch fehlbaren Individuen machen, infrage stellen, abwerten und im schlimmsten Fall gewaltsam ablehnen.
Über die etwaigen Ausgrenzungsmechanismen einer sich zunehmend autoritär und gewaltsam gerierenden Mehrheitsgesellschaft slammen vor allem die fünf Damen: Ob übergriffiges Verhalten im Techno-Club (Clara Brill), die Ver
unsicherungen des Coming Outs (Lara Wagner), erdrückende Erwartungen an alleinerziehende Mütter (Anne Mareen Rieckhof) oder das Kämpfen für eine non-binäre Freiheit (Anna Luca Ames).
Auch zwei Männer schlagen durchaus ernste Töne an: Yannik Veeser hat sich von der damals an ihn herangetragenen toxischen Männlichkeit bei der Freiwilligen Feuerwehr lösen können.
Nanuuk, der Kandidat mit dem geheimnisvollen Namen, überwindet schließlich doch seine Angst und verlässt die ihm zur zweiten, toxischen Heimat gewordene Couch, denn „draußen scheint die Sonne“.
Adrian Albert und Altmeister Mark Heydrich klammern in ihren witzigen Vorträgen weitgehend die Schattenseiten des Daseins aus. Albert karikiert sehr authentisch die Nöte der studentischen Existenz. Sicherlich hätte ihm eine Rolle Panzerband geholfen, welche Heydrich
rhetorisch versiert und semantisch sublimiert im hohen Ton zu besingen weiß – ebenso wie den „global player“Moos: „Du findest mich, Moos. Du bist so grün zu mir. Grünes, frisches, saftiges Moos“, beschwört Heydrich mit Engelszungen – und bekommt mächtig Applaus.
Doch das reicht nicht. Heydrich muss sich mit dem dritten Platz begnügen. Ames belegt mit ihrer dunklen, aufrüttelnden Dystopie über ihr geschundenes, diskriminiertes Alter Ego im Jahr 2064 den zweiten Platz. Hinter der Vor- und Vorvorjahressiegerin Brill, die sich am misogynen Ballermann-Partyschlager „Layla“abarbeitet.
Die gebürtigen Saarländerinnen Luisa Maurer (28) und Helena Dröschel (28) sind zwar zum ersten Mal auf einem Poetry Slam, aber üben als Duo eine der sieben Jurorenpositionen aus. „Ich finde es super, wenn sich junge Menschen mit gesellschaftlichen Themen auseinandersetzen, ihre Stimme erheben und dazu etwas sagen“, erklärt Dröschel. „Wir haben vor allem auf den Inhalt geachtet und geschaut, ob uns der Vortrag emotional mitgenommen hat“, erläutert Maurer. „Heute Abend ging es viel um aktuelle Gesellschaftskritik, die Rolle der Frau, sexuelle Orientierung und auch politische Themen wie die Europawahl. Das fanden wir gut. Auch wenn wir Heydrichs Vortrag witzig fanden, kann das Thema Moos damit einfach nicht mithalten. Sorry“, begründen die beiden Juroren ihr Votum.
Brill wird es freuen. Sie wird im November an den 27. deutschsprachigen Poetry-Slam Meisterschaften teilnehmen. Doch davor macht der Dichterdschungel in Saarlouis halt. Am 3. August treten auf der VaubanInsel saarländische Slammerinnen und Slammer auf – auch dieses Mal ist Mynt als musikalischer Support am Start.