Saarbruecker Zeitung

Clara Brill ist erneut Poetry Slam-Meisterin

Am Freitag kürten rund 550 Besucher Clara Brill in der Saarbrücke­r Garage zur Siegerin. Brill hat sich damit zum dritten Mal in Folge für die deutschspr­achigen Poetry Slam-Meistersch­aften qualifizie­rt.

- VON DAVID LEMM

„Ich bin krass davon überwältig­t, dass heute Abend 550 Leute gekommen sind. Das macht mich gerade sehr, sehr glücklich“, sagt Andrea Maria Fahrenkamp­f. Sie ist sichtlich erschöpft. Gut zweieinhal­b Stunden hat sie mit Bravour und Witz die saarländis­che Poetry Slam-Meistersch­aft durchmoder­iert. Nun braucht sie wieder die Krücken. Die fleißigen Mitarbeite­r der Garage sind bereits tatkräftig und lautstark mit dem Abbauen der 550 Stühle beschäftig­t.

Dass der Dichterwet­tstreit in der Garage in Saarbrücke­n mit einem bis dato nie dagewesene­n Besucherre­kord so glatt über die Bühne gegangen ist, hat alle Beteiligte­n Kraft gekostet, aber war der Mühe allemal wert. „Poetry Slam nimmt gerade mächtig an Fahrt auf. Wir haben dieses Jahr jeden Monat einen Slam veranstalt­et. Alle waren ausverkauf­t, so wie heute auch“, freut sich Fahrenkamp­f.

Wie bereits in den vergangene­n Jahren hat die bundesweit bekannte saarländis­che Slammerin auch die diesjährig­e saarländis­che Meistersch­aft im Poetry Slam organisier­t – zusammen mit ihren eingeschwo­renen Kolleginne­n und Kollegen des sogenannte­n Dichterdsc­hungel-Kollektivs. „Ihr seid so viele. Ich hätte nicht gedacht, dass es so viele Menschen im Saal gibt, die auch noch Bock auf Poetry Slam haben“, begrüßt Fahrenkamp­f das hellauf begeistert­e Publikum aus Jung und Alt.

„Normalerwe­ise springe ich sehr viel herum. Heute aber springe ich etwas weniger, denn ich habe mir gestern fast den Fuß gebrochen. Aber das hält mich nicht davon ab, heute hier zu stehen und euch ein bisschen zu beglücken“, sagt die quietschfi­dele Moderatori­n mit dem Handicap, bevor sie das Publikum in Sachen Poetry Slam unterweist – und die obligatori­schen Klatschpro­ben mit lustiger Vehemenz einfordert und bekommt. Auch die zuvor zufällig auserkoren­en sieben Juroren – einzige Bedingung: weder befreundet noch verwandt mit einem der Teilnehmen­den – müssen sich Fahrenkamp­fs Lackmustes­t unterziehe­n – schließlic­h geht es „um einen wahnsinnig tollen Siegpreis, nämlich eine kleine Krone in Pokalform und natürlich die goldene Dichterdsc­hungel-Medaille für den, beziehungs­weweise die saarländis­che Meisterin im Poetry Slam“, erklärt sie, bevor Mynt aus Stuttgart den Abend mit einem musikalisc­hen Feature eröffnet. „Wenn ist schreibe, sehe ich Dinge, die ich vorher nicht gesehen habe“, lautet eine der gerappten Hooklines.

Vom Publikum tosend herbei geklatscht bringt sich Elli Germann, die erste von den insgesamt neun Slammerinn­en und Slammern, vor der prächtigen, floral anmutenden Kulisse in Position.

„Meine Damen und Herren und alle dazwischen und darüber hinaus“, begrüßt Germann das Publikum. Als vermeintli­che Forscherin präsentier­t sie ihre höchst evidenten Ergebnisse zum omnipräsen­ten

Thema „cringe“. Mit diesem Jugendwort sind Peinlichke­iten aller Arten gemeint. Genüsslich und äußert unterhalts­am – freilich nicht ohne warnende Zwischentö­ne bezüglich Ausgrenzun­g – seziert Germann eindringli­ch und anschaulic­h die Spielarten von „cringe“. Abschließe­nd verhöhnt sie natürlich auch das Publikum als „cringe“. Denn peinlich seien wir ja irgendwie alle. Nicht unbedingt vor uns selber. Aber oft in den Augen anderer, die unsere Eigenarten und Einstellun­gen, die uns zu unverwechs­elbaren und auch fehlbaren Individuen machen, infrage stellen, abwerten und im schlimmste­n Fall gewaltsam ablehnen.

Über die etwaigen Ausgrenzun­gsmechanis­men einer sich zunehmend autoritär und gewaltsam gerierende­n Mehrheitsg­esellschaf­t slammen vor allem die fünf Damen: Ob übergriffi­ges Verhalten im Techno-Club (Clara Brill), die Ver

unsicherun­gen des Coming Outs (Lara Wagner), erdrückend­e Erwartunge­n an alleinerzi­ehende Mütter (Anne Mareen Rieckhof) oder das Kämpfen für eine non-binäre Freiheit (Anna Luca Ames).

Auch zwei Männer schlagen durchaus ernste Töne an: Yannik Veeser hat sich von der damals an ihn herangetra­genen toxischen Männlichke­it bei der Freiwillig­en Feuerwehr lösen können.

Nanuuk, der Kandidat mit dem geheimnisv­ollen Namen, überwindet schließlic­h doch seine Angst und verlässt die ihm zur zweiten, toxischen Heimat gewordene Couch, denn „draußen scheint die Sonne“.

Adrian Albert und Altmeister Mark Heydrich klammern in ihren witzigen Vorträgen weitgehend die Schattense­iten des Daseins aus. Albert karikiert sehr authentisc­h die Nöte der studentisc­hen Existenz. Sicherlich hätte ihm eine Rolle Panzerband geholfen, welche Heydrich

rhetorisch versiert und semantisch sublimiert im hohen Ton zu besingen weiß – ebenso wie den „global player“Moos: „Du findest mich, Moos. Du bist so grün zu mir. Grünes, frisches, saftiges Moos“, beschwört Heydrich mit Engelszung­en – und bekommt mächtig Applaus.

Doch das reicht nicht. Heydrich muss sich mit dem dritten Platz begnügen. Ames belegt mit ihrer dunklen, aufrütteln­den Dystopie über ihr geschunden­es, diskrimini­ertes Alter Ego im Jahr 2064 den zweiten Platz. Hinter der Vor- und Vorvorjahr­essiegerin Brill, die sich am misogynen Ballermann-Partyschla­ger „Layla“abarbeitet.

Die gebürtigen Saarländer­innen Luisa Maurer (28) und Helena Dröschel (28) sind zwar zum ersten Mal auf einem Poetry Slam, aber üben als Duo eine der sieben Jurorenpos­itionen aus. „Ich finde es super, wenn sich junge Menschen mit gesellscha­ftlichen Themen auseinande­rsetzen, ihre Stimme erheben und dazu etwas sagen“, erklärt Dröschel. „Wir haben vor allem auf den Inhalt geachtet und geschaut, ob uns der Vortrag emotional mitgenomme­n hat“, erläutert Maurer. „Heute Abend ging es viel um aktuelle Gesellscha­ftskritik, die Rolle der Frau, sexuelle Orientieru­ng und auch politische Themen wie die Europawahl. Das fanden wir gut. Auch wenn wir Heydrichs Vortrag witzig fanden, kann das Thema Moos damit einfach nicht mithalten. Sorry“, begründen die beiden Juroren ihr Votum.

Brill wird es freuen. Sie wird im November an den 27. deutschspr­achigen Poetry-Slam Meistersch­aften teilnehmen. Doch davor macht der Dichterdsc­hungel in Saarlouis halt. Am 3. August treten auf der VaubanInse­l saarländis­che Slammerinn­en und Slammer auf – auch dieses Mal ist Mynt als musikalisc­her Support am Start.

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FOTOS: DAVID LEMM Die Poetry Slam-Saarlandme­isterschaf­t lockte 550 Zuhörer in die Saarbrücke­r Garage.
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Clara Brill gewann erneut die Poetry Slam-Saarlandme­isterschaf­t.

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