Das Elsass kämpft weiter um eine Sonderrolle
Als Frankreichs Präsident Macron zuletzt Straßburg besucht hat, waren hochrangige Politiker enttäuscht: Sie wollten die Zusage für eine Abspaltung von Grand Est.
mehr Kompetenzen für das Elsass kann man reden, aber es wird keinen institutionellen Urknall in der Region Grand Est geben: Mit dieser Ansage hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Elsass nicht nur Beifall geerntet. Eigentlich war Macron zuletzt im Elsass, um den 15. Dreijahresvertrag zur Stärkung von Straßburg als europäische Stadt – mit einem Budget von 300 Millionen Euro – zu unterzeichnen. Doch dabei nahm die Diskussion um einen elsässischen Sonderstatus wieder an Fahrt auf.
Zum Hintergrund: Im Zuge der frankreichweiten Gebietskörperreform fusionierte das Elsass 2016 mit unter anderem Lothringen zur großen Region Grand Est. Auf die elsässische Kritik an der Riesenregion folgte 2021 die Gründung der Europäischen Gebietskörperschaft Elsass (Collectivité Européenne d'Alsace, CeA) mit mehr Kompetenzen. Dennoch hatten 2022 gut 92 Prozent von 168 456 Menschen in einer Umfrage für den Austritt aus der Region Grand Est gestimmt. Nun soll über die Übertragung von mehr Einfluss auf Straßburg gesprochen werden. „Der Staatspräsident gibt uns einen Monat Zeit, damit die Collectivité européenne d`Alsace und die Région Grand Est gemeinsam einen Vorschlag erarbeiten, um dem Elsass mehr Kompetenzen und Freiheiten zu geben“, erklärte Brigitte Klinkert, Abgeordnete der Renaissance-Partei Macrons vom Département Haut-Rhin, nach Macrons Besuch dem regionalen Nachrichtenportal France Bleu Alsace.
Laut weiteren Berichten hatte Macron erklärt, Infrastrukturfragen sollten weiter von der Region Grand Est bearbeitet werden, auf Tourismus, Handel und Sport könnte aber das Elsass in Form der CeA mehr regionalen Einfluss nehmen. Klinkert zeigte sich von dem Treffen sehr enttäuscht, wie sie der elsässischen Tageszeitung DNA sagte. Sie werde den Kampf ihres Lebens nicht aufgeben. „Mit aller Loyalität gegenüber dem Präsidenten stehe ich dazu, dass es ein Missverständnis gibt. Das Elsass muss aus Grand Est austreten“, teilte sie auch auf Facebook mit.
Auch CeA-Vizepräsident Frédéric Bierry (DVD, Konservative) will sich mit Macrons Ansage nicht zufriedengeben. „Wir können keine Brosamen akzeptieren, sondern müssen die Dinge zu Ende bringen: ein voll institutionelles Elsass“, teilte Bierry auf Facebook mit. Und rief die Menschen im Elsass dazu auf, an den Präsidenten zu schreiben. Trete das Elsass aus der Region aus, könne eine elsässische Verwaltung „einfacher, effizienter und kostengünstiger“arbeiten, sagt Bierry, der sich auch auf die Umfrage beruft. „Die Elsässer haben uns bei der Volksbefragung ein Mandat zum Austritt aus Grand Est erteilt.“
Macrons Absage an einen elsässischen Austritt aus der Region Grand Est sei das Verhalten eines erklärten Autokraten, teilte Jean-Georges Trouillet, Präsident der separatistischen Regionalpartei „Unser Land“mit. „Emmanuel Macron hat auf die legitimen Bestrebungen der Elsässer gespuckt, die seit mehr als zehn Jahren mit Nachdruck und Beständigkeit demokratisch zum Ausdruck gebracht wurden.“Zum Vergleich: Die 142 200 Ja-Stimmen, auf die sowohl Bierry als auch Trouillet anspielen, entsprechen nur 7,1 Prozent der elsässischen Bevölkerung.
Aber nicht alle Politiker im Elsass befürworten eine Loslösung von Grand Est. „Die elsässische Identität besteht über die Schaffung der Region Grand Est fort, daher gibt es keinen Grund für einen Rückschritt, der extrem kostspielig wäre und sich über mehrere Jahre hinziehen würde“, teilte Pia Imbs (DVC, Zentrum), Präsidentin des Städte- und Gemeindeverbands Eurométropole Straßburg, mit. Sie verwies auf die 2021 gegründete CeA, die als Körperschaft erweiterte Kompetenzen besitzt, und auf eine Politik zur Förderung der Regionalsprachen und -kulturen, die Imbs mit ihren Gemeinden hinwirkt.
Imbs selbst habe vor der Gründung von Grand Est Bedenken gehabt – vor einem Verschwinden der elsässischen Identität und einem Verschwimmen des Elsass in einer unverhältnismäßig großen administrativen Einheit. Es habe sich aber herausgestellt, dass die Region Grand Est ein Schwunggeber für das Elsass und die Eurométropole Straßburg sei. Die Ergebnisse könnten sich sehen lassen: „Wir sind die neunte europäische Region für ausländische Investitionen“, sagt Imbs. Dank der Region sei die Investitionskraft im Elsass stärker als vorher.
Imbs gehört auch zu den 36 Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern aus der Region Grand Est, die einen Tag vor Macrons Besuch in Straßburg an den Präsidenten schrieben – um ihn um eine Absage eines elsässischen Regionalstatus zu bitten. So unterzeichneten außer Imbs – für die 33 Gemeinden umfassende Eurométropole Straßburg – auch Jeanne Barseghian (Grüne) und Michèle Lutz (Republikaner) jeweils für die großen Städte Straßburg und Mülhausen.