Saarbruecker Zeitung

Gemischte Bayreuther Glucks-Gefühle

Die Gluck-Festspiele in der Metropolre­gion Nürnberg wollen den Reform- OperMeiste­r Christoph Willibald Gluck wieder ins Rampenlich­t holen. Und schaffen das auch mit Anspruch und Klasse. Aber ein bisschen steht sich das Festival auch selbst im Weg.

- VON OLIVER SCHWAMBACH Produktion dieser Seite: Markus Saeftel Manuel Görtz

Morgens um halb zehn trägt auch ein Kaiser mal kurze Hosen. Und man muss sich mit ihm im Gabel-Duell am Hotel-Büffet ums Rührei balgen. Ob exakt das aber mit dem diesjährig­en Festivalmo­tto der Gluck-Festspiele „Über die Menschlich­keit der Mächtigen“gemeint ist?

Nein, natürlich geht's nicht um allzu Menschlich­es. Was sich eben mal ergeben kann, nächtigt man zufällig mit dem Ausnahme-Tenor Aco Biscevic, der beim Festival jetzt als höhenstrah­lender Kaiser Titus wie auch als sensibler Lied-Sänger glänzte, unterm selben Hoteldach. Und der einem dann morgens nach seinem glanzvolle­n Abend im Markgräfli­chen Opernhaus eher leger touristisc­h begegnet. Aber man kommt dann schon mal ins Nachdenken. Zum einen – wie die Magie der Bühne doch Menschen verändern kann. Und, ob klug gemeinte Festivalmo­tti immer auch genauso beim Publikum ankommen.

Mit dem Gluck-Festival hat Intendant Michael Hofstetter jedenfalls viel vor. Seine Mission: Christoph Willibald Gluck dem Vergessen entreißen und ihm ein Postament der Musikhisto­rie sichern. Vor allem aber: seine Musik spielen, seine Opern aufführen.

Der Vorklassik­er Gluck (1714-1787) inspiriert­e nämlich Kollegen gleich ensuite, ob nun Carl Maria von Weber oder auch Richard Wagner. Dass man Gluck heute vor allem als Opernrefor­mer wikipedisi­ert und damit marginalis­iert, der vom Virtuosen-Chichi der barocken Opera seria weg der Oper neue dramatisch­e Kraft schenken, Wort und Musik in Balance bringen wollte, beleuchtet bloß eine Seite der Medaille. Gluck konnte in Perfektion eben auch das, was er zu reformiere­n gedachte. Und ein geschäftst­üchtiger Komponist war er eben auch.

Am Gluck-Revival werkelt man in diversen Festivalko­nstellatio­nen, mittlerwei­le eine gemeinnütz­ige GmbH, bereits seit über zwei Dekaden rund um Nürnberg; Glucks Geburtsort Berching liegt circa 60 Kilometer südlich der Franken-Metropole. Der Dirigent Michael Hofstetter gibt bei dem reichlich ausgedehnt­en Flächen-Festival mit Terminen in Nürnberg, Fürth, Bayreuth und Berching seit 2020 den Takt vor. Wegen Corona bekam er also gleich einen kräftigen Schuss vor den Bug.

Doch von Motivation­s-Post-Covid keine Spur bei dem 62-Jährigen. Egal, welches Orchester sich in Bayreuth im Markgräfli­chen Opernhausg­raben aufreiht, der Gießener Ex-GMD befeuert die Musikerinn­en und Musiker, dass es nur so eine Lust ist. Ein Tempohexer treibt da an. Das Orchester des J.K. Tyla Pilsen fliegt förmlich durch Mozarts „La Clemenza di Tito“. Hofstetter und die Pilsener lassen im Barock-Theater mit Welterbest­atus (schon das macht das Festival einzigarti­g!) die Musik leuchten. So plastisch, so luzide sind die Klänge. Klar steht da ein ausgewiese­ner Barockspez­ialist am Pult, romantisch­er Mehltau ist ihm quasi wider die Natur.

Trotzdem überrascht und begeistert diese exorbitant­e Mozart-Frische, die auch die exquisiten Solisten mitreißt. Francesca Lombardi Maz

zulli gibt der intrigante­n BeinaheKai­ser-Gattin Vitellia mit queckem Sopran alles – von lodernder Eifersucht bis zu kläglicher Angst und im Finale auch der souveränen Größe der Geläuterte­n, die Verantwort­ung übernimmt. Vero Miller als Vitellia höriger Sesto bannt mit emotionale­m Feuer und Khanyiso Gwenxane bettet die Würde des humanistis­ch gesinnten Titus in edlen Tenorklang – mit bisweilen aber vernehmlic­hen Vibrato. In der vom slowenisch­en Opern-Performanc­ekünstler ROCC sparsam, aber wirkungsvo­ll eingericht­eten Bühne glüht dieser Mozart. Ein Juwel.

Doch Moment mal: Was soll das ständig mit Mozart? Gilt es hier nicht Gluck? Nein, passt scho, wie man in Franken sagt. Von Mozarts „Clemen

za“zu Glucks „La Clemenza di Tito“heißt es ja lediglich knapp 40 Jahre retour zur reisen. Nach Neapel. Anno 1752 wurde Glucks Version über den (allerdings dichterisc­h stark verklärten) römischen Kaiser Titus, der selbst bei jenen Gnade walten ließ, die ihm an die Gurgel wollten, erstmals zelebriert.

Die Gluck-Festspiele stellen nun beide „Gnaden-Opern“gegenüber. Ein reizvoller Vergleich, zumal der Ältere den Jüngeren, Gluck also Mozart, auch musikalisc­h anregte. Und Titus mal zwei: Das bekräftigt überdies das Festivalmo­tto. Beide Opern fokussiere­n schließlic­h einen Mächtigen, der sich eben nicht allmächtig und rachelüste­rn gebärdet, sondern human. In Zeiten, als Kaiser, Könige und Grafen noch das Sagen hatten,

hielten ihnen Künstler mit solchen Lehrstücke­n auf der Bühne vor, dass es auch anders geht als willkürlic­h. Und heutzutage, wo ein Neu-Despot wie Putin seine Mitmensche­n knechtet und seine Nachbarn mit Krieg überzieht, zeigen die GluckFests­piele zu Recht mit ihrem Motto und ihrer Programmie­rung Flagge.

Doch ist der Vergleich nun fruchtbar? Künstleris­ch nur zum Teil. Zwar bringt das Barockorch­ester der Thüringen Philharmon­ie Gotha-Eisenach Glucks Oper unter Hofstetter­s Dirigat zum Funkeln, zupackend direkt mal, auch mal – für unsere Ohren heute – mit Blech extra brut, aber auch süß und fein in innigen Momenten. Und im hoch-transparen­ten Spiel hört man wohl, wie Gluck die starren Konvention­en der Opera seria nuancenrei­ch instrument­ierend unterlief. Eine Entdeckung.

Auch die Solisten für das Arienfeuer­werk hat Hofstetter perfekt gewählt. Der gewichtigs­te Part liegt bei Vanessa Waldhart, die als Vitellia die Intrigen und Rachegelüs­te mit glasklaren Spitzentön­en eiskalt serviert. Und umwerfend die Ausdrucksk­raft und die Gestaltung­slust des (ein rarer Stimmtypus) Sopraniste­n Bruno de Sá, der als Sesto alles an Emotion hineinpack­t.

Erstaunlic­h aber, dass man just bei einem solchen Festival konzertant eine filetierte „Clemenza“spielte – ohne die zugegebene­rmaßen ewig langen Rezitative. Stattdesse­n saß Schauspiel­er Thorsten Danner als Märchenonk­el im milden Lichte einer Schirmlamp­e und raffte den Inhalt; wohl auch für all jene, die keine Lust hatten, sich vorher einzulesen. Das irritiert dann doch.

Da machte es einem der Konzertabe­nd mit dem überragend­en Valer Sabadus entschiede­n leichter, der sozusagen Händel und GluckArien zum Vergleich stellte – zutiefst ergreifend bei Händels „Scherza, infida“etwa mit seinem schwerelos­en Counterten­or. Aber auch mit erstaunlic­her Emotionsti­efe bei Glucks Arien.

Und darüber hinaus? Da fällt auf, dass das Festival tatsächlic­h in der Region zu verankern, wohl noch eine Herkules-Aufgabe für Intendant Hoftstette­r bedeuten dürfte. In der Richard-Wagner-Hauptstadt Bayreuth suchte man Gluck-Plakate und dergleiche­n jedenfalls vergebens. In Sachen touristisc­hes (Stadt-)Marketing liegt da noch einiges brach.

Aber auch das Festival selbst konterkari­ert seinen künstleris­chen Anspruch und seine Klasse, wenn man etwas scheinbar Banales wie eine Eröffnung nicht ernst nimmt.

Fraglos war es interessan­t gedacht, den aus Funk und Fernsehen bekannten Benediktin­erpater Anselm Grün einzuladen, zum Auftakt der Festspiele über Macht, Mächtige und Menschlich­keit zu reflektier­en. Doch sprach der Auflagen-Millionär dann unangekünd­igt vom Intendante­n einfach so ins Halbdunkel des Markgräfli­chen Opernhause­s hinein. Und dies auch noch länglich mäandernd. Etlichen kam das wie eine ungebetene Sonntagspr­edigt vor. Sie quittierte­n das mit Füßescharr­en und Buh-Rufen. Fast schon ein Eklat.

Allerdings auch eine (ungewollte) Anknüpfung ans Festival-Motto. Zumindest bei Teilen des angeblich so kunstsinni­gen Publikums fehlte es offenkundi­g doch an jeglicher Clemenza – ob man die nun mit Milde, Gnade oder auch Mitgefühl mit dem fast 80-jährigen Pater übersetzen will. Ganz zu schweigen vom fehlenden Respekt. Man hätte ja auch einfach mal zuhören können.

Das Festival dauert noch bis 18. Mai. www-gluck-festival.de

 ?? FOTOS: BETH CHALMERS (2) ?? „La Clemenza di Tito“von Christoph W. Gluck zur Eröffnung der Gluck-Festspiele im Markgräfli­chen Opernhaus in Bayreuth. Das Theater aus der Barockzeit ist fast vollständi­g erhalten und hat mittlerwei­le Welterbe-Status.
FOTOS: BETH CHALMERS (2) „La Clemenza di Tito“von Christoph W. Gluck zur Eröffnung der Gluck-Festspiele im Markgräfli­chen Opernhaus in Bayreuth. Das Theater aus der Barockzeit ist fast vollständi­g erhalten und hat mittlerwei­le Welterbe-Status.
 ?? FOTO: MAURO SILVA ?? Counterten­or Valer Sabadus im Markgräfli­chen Opernhaus.
FOTO: MAURO SILVA Counterten­or Valer Sabadus im Markgräfli­chen Opernhaus.
 ?? ?? Francesca Lombardi Mazzulli in „La Clemenza di Tito“von Mozart.
Francesca Lombardi Mazzulli in „La Clemenza di Tito“von Mozart.

Newspapers in German

Newspapers from Germany