Gemischte Bayreuther Glucks-Gefühle
Die Gluck-Festspiele in der Metropolregion Nürnberg wollen den Reform- OperMeister Christoph Willibald Gluck wieder ins Rampenlicht holen. Und schaffen das auch mit Anspruch und Klasse. Aber ein bisschen steht sich das Festival auch selbst im Weg.
Morgens um halb zehn trägt auch ein Kaiser mal kurze Hosen. Und man muss sich mit ihm im Gabel-Duell am Hotel-Büffet ums Rührei balgen. Ob exakt das aber mit dem diesjährigen Festivalmotto der Gluck-Festspiele „Über die Menschlichkeit der Mächtigen“gemeint ist?
Nein, natürlich geht's nicht um allzu Menschliches. Was sich eben mal ergeben kann, nächtigt man zufällig mit dem Ausnahme-Tenor Aco Biscevic, der beim Festival jetzt als höhenstrahlender Kaiser Titus wie auch als sensibler Lied-Sänger glänzte, unterm selben Hoteldach. Und der einem dann morgens nach seinem glanzvollen Abend im Markgräflichen Opernhaus eher leger touristisch begegnet. Aber man kommt dann schon mal ins Nachdenken. Zum einen – wie die Magie der Bühne doch Menschen verändern kann. Und, ob klug gemeinte Festivalmotti immer auch genauso beim Publikum ankommen.
Mit dem Gluck-Festival hat Intendant Michael Hofstetter jedenfalls viel vor. Seine Mission: Christoph Willibald Gluck dem Vergessen entreißen und ihm ein Postament der Musikhistorie sichern. Vor allem aber: seine Musik spielen, seine Opern aufführen.
Der Vorklassiker Gluck (1714-1787) inspirierte nämlich Kollegen gleich ensuite, ob nun Carl Maria von Weber oder auch Richard Wagner. Dass man Gluck heute vor allem als Opernreformer wikipedisiert und damit marginalisiert, der vom Virtuosen-Chichi der barocken Opera seria weg der Oper neue dramatische Kraft schenken, Wort und Musik in Balance bringen wollte, beleuchtet bloß eine Seite der Medaille. Gluck konnte in Perfektion eben auch das, was er zu reformieren gedachte. Und ein geschäftstüchtiger Komponist war er eben auch.
Am Gluck-Revival werkelt man in diversen Festivalkonstellationen, mittlerweile eine gemeinnützige GmbH, bereits seit über zwei Dekaden rund um Nürnberg; Glucks Geburtsort Berching liegt circa 60 Kilometer südlich der Franken-Metropole. Der Dirigent Michael Hofstetter gibt bei dem reichlich ausgedehnten Flächen-Festival mit Terminen in Nürnberg, Fürth, Bayreuth und Berching seit 2020 den Takt vor. Wegen Corona bekam er also gleich einen kräftigen Schuss vor den Bug.
Doch von Motivations-Post-Covid keine Spur bei dem 62-Jährigen. Egal, welches Orchester sich in Bayreuth im Markgräflichen Opernhausgraben aufreiht, der Gießener Ex-GMD befeuert die Musikerinnen und Musiker, dass es nur so eine Lust ist. Ein Tempohexer treibt da an. Das Orchester des J.K. Tyla Pilsen fliegt förmlich durch Mozarts „La Clemenza di Tito“. Hofstetter und die Pilsener lassen im Barock-Theater mit Welterbestatus (schon das macht das Festival einzigartig!) die Musik leuchten. So plastisch, so luzide sind die Klänge. Klar steht da ein ausgewiesener Barockspezialist am Pult, romantischer Mehltau ist ihm quasi wider die Natur.
Trotzdem überrascht und begeistert diese exorbitante Mozart-Frische, die auch die exquisiten Solisten mitreißt. Francesca Lombardi Maz
zulli gibt der intriganten BeinaheKaiser-Gattin Vitellia mit queckem Sopran alles – von lodernder Eifersucht bis zu kläglicher Angst und im Finale auch der souveränen Größe der Geläuterten, die Verantwortung übernimmt. Vero Miller als Vitellia höriger Sesto bannt mit emotionalem Feuer und Khanyiso Gwenxane bettet die Würde des humanistisch gesinnten Titus in edlen Tenorklang – mit bisweilen aber vernehmlichen Vibrato. In der vom slowenischen Opern-Performancekünstler ROCC sparsam, aber wirkungsvoll eingerichteten Bühne glüht dieser Mozart. Ein Juwel.
Doch Moment mal: Was soll das ständig mit Mozart? Gilt es hier nicht Gluck? Nein, passt scho, wie man in Franken sagt. Von Mozarts „Clemen
za“zu Glucks „La Clemenza di Tito“heißt es ja lediglich knapp 40 Jahre retour zur reisen. Nach Neapel. Anno 1752 wurde Glucks Version über den (allerdings dichterisch stark verklärten) römischen Kaiser Titus, der selbst bei jenen Gnade walten ließ, die ihm an die Gurgel wollten, erstmals zelebriert.
Die Gluck-Festspiele stellen nun beide „Gnaden-Opern“gegenüber. Ein reizvoller Vergleich, zumal der Ältere den Jüngeren, Gluck also Mozart, auch musikalisch anregte. Und Titus mal zwei: Das bekräftigt überdies das Festivalmotto. Beide Opern fokussieren schließlich einen Mächtigen, der sich eben nicht allmächtig und rachelüstern gebärdet, sondern human. In Zeiten, als Kaiser, Könige und Grafen noch das Sagen hatten,
hielten ihnen Künstler mit solchen Lehrstücken auf der Bühne vor, dass es auch anders geht als willkürlich. Und heutzutage, wo ein Neu-Despot wie Putin seine Mitmenschen knechtet und seine Nachbarn mit Krieg überzieht, zeigen die GluckFestspiele zu Recht mit ihrem Motto und ihrer Programmierung Flagge.
Doch ist der Vergleich nun fruchtbar? Künstlerisch nur zum Teil. Zwar bringt das Barockorchester der Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach Glucks Oper unter Hofstetters Dirigat zum Funkeln, zupackend direkt mal, auch mal – für unsere Ohren heute – mit Blech extra brut, aber auch süß und fein in innigen Momenten. Und im hoch-transparenten Spiel hört man wohl, wie Gluck die starren Konventionen der Opera seria nuancenreich instrumentierend unterlief. Eine Entdeckung.
Auch die Solisten für das Arienfeuerwerk hat Hofstetter perfekt gewählt. Der gewichtigste Part liegt bei Vanessa Waldhart, die als Vitellia die Intrigen und Rachegelüste mit glasklaren Spitzentönen eiskalt serviert. Und umwerfend die Ausdruckskraft und die Gestaltungslust des (ein rarer Stimmtypus) Sopranisten Bruno de Sá, der als Sesto alles an Emotion hineinpackt.
Erstaunlich aber, dass man just bei einem solchen Festival konzertant eine filetierte „Clemenza“spielte – ohne die zugegebenermaßen ewig langen Rezitative. Stattdessen saß Schauspieler Thorsten Danner als Märchenonkel im milden Lichte einer Schirmlampe und raffte den Inhalt; wohl auch für all jene, die keine Lust hatten, sich vorher einzulesen. Das irritiert dann doch.
Da machte es einem der Konzertabend mit dem überragenden Valer Sabadus entschieden leichter, der sozusagen Händel und GluckArien zum Vergleich stellte – zutiefst ergreifend bei Händels „Scherza, infida“etwa mit seinem schwerelosen Countertenor. Aber auch mit erstaunlicher Emotionstiefe bei Glucks Arien.
Und darüber hinaus? Da fällt auf, dass das Festival tatsächlich in der Region zu verankern, wohl noch eine Herkules-Aufgabe für Intendant Hoftstetter bedeuten dürfte. In der Richard-Wagner-Hauptstadt Bayreuth suchte man Gluck-Plakate und dergleichen jedenfalls vergebens. In Sachen touristisches (Stadt-)Marketing liegt da noch einiges brach.
Aber auch das Festival selbst konterkariert seinen künstlerischen Anspruch und seine Klasse, wenn man etwas scheinbar Banales wie eine Eröffnung nicht ernst nimmt.
Fraglos war es interessant gedacht, den aus Funk und Fernsehen bekannten Benediktinerpater Anselm Grün einzuladen, zum Auftakt der Festspiele über Macht, Mächtige und Menschlichkeit zu reflektieren. Doch sprach der Auflagen-Millionär dann unangekündigt vom Intendanten einfach so ins Halbdunkel des Markgräflichen Opernhauses hinein. Und dies auch noch länglich mäandernd. Etlichen kam das wie eine ungebetene Sonntagspredigt vor. Sie quittierten das mit Füßescharren und Buh-Rufen. Fast schon ein Eklat.
Allerdings auch eine (ungewollte) Anknüpfung ans Festival-Motto. Zumindest bei Teilen des angeblich so kunstsinnigen Publikums fehlte es offenkundig doch an jeglicher Clemenza – ob man die nun mit Milde, Gnade oder auch Mitgefühl mit dem fast 80-jährigen Pater übersetzen will. Ganz zu schweigen vom fehlenden Respekt. Man hätte ja auch einfach mal zuhören können.
Das Festival dauert noch bis 18. Mai. www-gluck-festival.de