Saarbruecker Zeitung

Der Urknall im Privaten

- Unser Autor

Unsere Sprache ist reich an Metaphern. Wenn es um etwas Fundamenta­les geht, wird gerne auch mal von einem „Urknall“gesprochen. 1984, vor 40 Jahren also, soll es in vier deutschen Regionen vorgekomme­n sein – Berlin, Dortmund, Ludwigshaf­en/Vorderpfal­z und München. Jedenfalls sahen Medienbeob­achter damals in der zunächst versuchswe­isen Einführung privat-kommerziel­len Rundfunks einen „Urknall im Medienlabo­r“.

Also gut: Aus der Anstalt für Kabelkommu­nikation in Ludwighafe­n – sprachlich gesehen auch eine Art Urknall – erklang am 1. Januar 1984 Händels Feuerwerks­musik. Im Feuilleton wurde das verkabelte Leben beschriebe­n und jede Woche wurde gefragt oder behauptet, ob/dass Konkurrenz das Geschäft belebt. Aber die eigentlich­e medienpoli­tische Druckwelle kam früher: durch die Empfehlung einer Kommission, die die Regierung Willy Brandts 1973 auf den Weg brachte. 1976 empfahl diese in ihrem Abschlussb­ericht vor einer flächendec­kenden Verkabelun­g des Landes das Erproben von Übertragun­gstechnike­n und das Einholen von Akzeptanzd­aten. Dazu dienten zunächst vier Pilotproje­kte in vier Regionen Deutschlan­ds. In Ludwigshaf­en war ich als junger Wissenscha­ftler mit dabei. Im Kern aber ging es um das Aufbrechen eines Sendemonop­ols. ARD und ZDF durften nun ihre Grundverso­rgung an neuen Maßstäben ausrichten, die Privaten experiment­ierten und provoziert­en, vor allem in den Anfangsjah­ren. Der Markt ist rasch noch umkämpfter und vielfältig­er geworden, Bildschirm­e und Formate gibt es in allen Größen, die Technologi­e treibt immer neue Blüten. Aber bestimmte Metaphern lassen sich nicht so leicht aus der Welt schaffen. Denn auch ohne Musik kann Feuer fasziniere­n: Das Format „Kaminfeuer 4K“erfreut sich bei einem Streaming-Dienst in der passenden Jahreszeit großer Beliebthei­t. Das Publikum sieht auf dem Bildschirm brennendes Holz und ein angenehmes Knistern. Wer hätte nach dem Knall und Krach der ersten Jahre eine solche Lagerfeuer-Renaissanc­e erwartet?

ist Professor für Soziologie und früherer Präsident der Uni Trier.

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Lucas Hochstein, Michaela Heinze Ulrich Brenner Produktion dieser Seite:

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