Peking diktiert die Regeln seiner Freundschaft mit Moskau
Wladimir Putin und Xi Jinping brauchen einander. Verbündete aber wollen sie nicht sein. Zu hoch ist ihnen das Risiko für ihre Länder.
Eine „Freundschaft ohne Grenzen“wollen sie pflegen, auch wenn die Hindernisse zwischen Moskau und Peking klar auf der Hand liegen. Es ist China, das Russland seine Bedingungen dieser Freundschaft diktiert. Einfach, weil es das kann. Moskau biedert sich seinem Nachbar, mit dem es eine mehr als 4000 Kilometer lange Grenze teilt, zwar seit Langem als „brat“– Bruder – an, wie die Russen sagen. Das Chinesische aber macht allein schon bei den Begrifflichkeiten für „Bruder“einen Unterschied. Peking ist der „gege“, der große Bruder, Moskau ist der „didi“, kleiner Bruder. Seit der russischen Invasion in der Ukraine zeigt sich das so deutlich wie nie zuvor.
China ist das einzige Land, das sich aufgrund der russischen „Spezialoperation“in der Ukraine nicht vollständig vom toxischen Russland abgewendet hat und seine eigenen Technologien produzieren kann. Zudem hat es auch Zugriff auf internationale Produkte. Die Tendenzen der Moskauer Abhängigkeit von Peking machten sich bereits nach der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 bemerkbar. Die westlichen Sanktionen gegen das russische Regime nehmen seitdem nur noch zu. China hat sich zum wichtigsten Wirtschaftspartner Russlands entwickelt. Bereits 2016 war Peking der Haupttechnologielieferant für Moskau. Mittlerweile ist es der einzige.
Auch politisch-militärisch wollen beide Partner sein. Nicht von ungefähr hob Putin bei seiner Rede während der Militärparade zur diesjährigen Feier am 9. Mai, dem „Tag des Sieges“in Russland über NaziDeutschland, auf dem Roten Platz den „Widerstandsgeist und den Mut des chinesischen Volkes“im Zweiten
Weltkrieg hervor, während er die Anti-Hitler-Koalititon beflissen beiseite ließ. Moskau sieht sich zusammen mit Peking als Vorkämpfer gegen das „westliche Hegemoniestreben“. Sie machen gemeinsame Militärübungen, Moskau exportiert seine militärischen Produkte nach Peking und erlaubt den Chinesen die Weiterentwicklung russischer Komponenten für chinesische Rüstungsgüter. Als Quelle militärischer Technik ist Moskau wichtig für Peking.
Zu Verbündeten aber wollen beide nicht werden, weil es für beide zu risikoreich wäre. Als solcher müsste China auf Russland einwirken, auch im Krieg in der Ukraine. Doch Peking will gar nicht eingreifen müssen, will sich nicht in den „Konflikt“einmischen. Genauso wenig will Moskau in chinesische „Probleme“hineinreden, weder in Indien noch in Vietnam oder dem Südchinesischen Meer. Schon gar nicht will es sich in der Taiwan-Frage klar positionieren.
So setzen sie vor allem auf wirtschaftliche Zusammenarbeit. Für Moskau ist das in Zeiten, da es seine Wirtschaft komplett umbaut und auf seinen Krieg in der Ukraine ausrichtet, eine der wichtigsten Aufgaben. Nicht allein die Rüstungsfabriken liefern das Geld, in erster Linie braucht es Einnahmen aus seinen Öl- und Gasverkäufen. Zum ersten Mal seit einem Vierteljahrhundert schrieb Gazprom allerdings ein Minus. Der Kreml nutzt das Unternehmen gern als Instrument, um außenpolitisch seine Muskeln spielen zu lassen. Wegen des Krieges in der Ukraine hatte Gazprom seinen wichtigsten und einträglichsten Kunden verloren: die EU. Nun muss es sich umschauen – in China.
Bereits seit mehreren Jahren wird die Pipeline „Kraft Sibiriens 2“geplant, die die Erdgasfelder Westsibiriens verbinden soll. Bislang wurde Europa von dort versorgt. Doch allein für „Kraft Sibiriens 1“, Russlands wohl teuerste Pipeline, haben beide Seiten mehrere Jahre hart verhandeln müssen, bis 2019 die ersten Kubikmeter Gas vom Tschajanda-Feld in Sacha nach China flossen. Moskau reist mit einer großen Delegation nach Peking, es dürfte verstärkt auch um „Kraft Sibiriens“gehen. Die Russen drängen seit Langem darauf, die Verhandlungen zur 3550 Kilometer langen Röhre voranzubringen. Peking aber hat Zeit. Es wird diese Zeit nutzen, um gute Bedingungen für sich herauszuschlagen.