Ein Leben, so schön wie schmerzlich
Die Bestseller-Adaption „ Der Kolibri“breitet ein großes Lebenstableau aus – ein zu großes? Der Film startet in Saarbrücken.
möchte man sich Notizen machen in den ersten Minuten. Wer sind all diese Leute, die durch eine toskanische Villa wuseln, mit ziemlich dünnen Nerven? „Der Kolibri“mag etwas unübersichtlich beginnen, uns mitten hinein werfen in das Leben einer Familie – doch nach und nach dröselt der Film die Beziehungsfäden auf, bringt uns die Figuren näher und breitet ein großes Lebenstableau auf.
Dessen Mittelpunkt ist Marco, Spitzname „Kolibri“, war er einst doch so schmächtig („er ist 14 und sieht aus wie zehn“), dass seine dauerstreitenden Eltern ihm eine Hormontherapie aufzwangen. Von dieser Jugend ab begleitet der Film Marco zu seinen letzten Augenblicken (bei dem der Film etwas mit den Altersmasken der Mimen zu kämpfen hat). In den Jahrzehnten dazwischen durchlebt er Momente des höchsten Glücks und die
schlimmsten Augenblicke, die man gerade noch überstehen kann.
Diese Lebenschronik erzählt die Regisseurin Francesca Archibugi dankenswerterweise nicht so, wie es ein schlechterer Film wohl getan hätte. So gibt es keine brave Chronologie oder eingeblendete Orientierungs
hilfen wie „Rom 1982“oder „Paris 1995“. Hier werden die Zeitebenen mitunter so munter gemischt wie die Karten eines Pokerspiels (eine Leidenschaft von Marco); kurze Erinnerungen, längere Sequenzen, winzige Momente und Zeitsprünge innerhalb eines Schauplatzes geben den Rhythmus vor, der nicht aus dem Tritt kommt.
Marco ist eher der passive Typ, der manchmal aber eine enorme Initiative entwickelt – etwa wenn er glaubt, eine Geistesverwandte, eine Schicksalsgefährtin entdeckt zu haben; – eine Flugbegleiterin, die ebenso wie er im letzten Augenblick nicht in eine Maschine gestiegen ist, die dann abstürzte. Schicksal? Bestimmung? Oder banaler Zufall? Marco jedenfalls lädt sie zum Essen ein – und sie heiraten. Wirklich glücklich wird diese Ehe aber nicht; Marinas bipolare Störung macht das gemeinsame Leben nicht einfacher. Und dann ist da auch eine Gefühlshypothek aus der Jugend: Einst in der Toskana lernte Marco die Französin Luisa kennen. Die große Liebe möglicherweise – aber das Leben kam dazwischen. Nach Jahren nehmen sie wieder Kontakt auf und treffen sich regelmäßig, aber platonisch.
Grundlage des Films ist der preisgekrönte Bestseller von Sandro Veronesi; man spürt, dass die Drehbuchautoren viel in den Film hineinpacken mussten (oder möglichst wenig aus der Vorlage weglassen wollten). Da gibt es Handlungsstränge, aus denen man jeweils einen eigenen Film hätte zwirbeln können; manches wirkt dann zu knapp abgehandelt – der Erzählstrang etwa über Marinas psychische Krankheit, so dass sie vor allem wie ein dauerüberspanntes Ehemonster wirkt und wenig Mitgefühl erweckt. Im letzten Drittel öffnet sich bei einer Pokerpartie noch ein Handlungskistchen, das man als reizvollen Exkurs empfinden kann oder als überflüssig.
Jedenfalls tut sich sehr viel in diesen zwei Kinostunden. Fels in der Handlungs-Brandung ist der grandiose italienische Darsteller Pierfrancesco Favino als Marco. Ihm nimmt man die gutmütige Passivität ab, die manchmal in zupackende Initiative eruptiert, wenn es seine Lebenssituation erzwingt; Favino unterlegt seinem Spiel stets eine leichte Melancholie, mit Blick auf einige biografische Katastrophen und auf ein mögliches anderes Leben, wäre die einstige Teenagerliebe haltbarer gewesen. Hätten Marco und Luisa zusammen ein glücklicheres Leben gehabt? Wer kann das schon sagen? Das Leben, auch das gibt uns der Film mit, ist eben unberechenbar, im Schönen wie im Schrecklichen.