„Making of Berlin“verspricht Spannung
Eine Theatertruppe aus Belgien mag es geheimnisvoll. Was wird Yves Degryse beim „ Making of Berlin“in die Alte Feuerwache zaubern?
ist Fakt, was Fiktion? Was ist wahr, was erfunden? Als die belgische Theatergruppe Berlin im Vorjahr beim Festival Perspectives im E-Werk einen real existierenden Meisterfälscher auf die Bühne brachte, der sich am Ende die Maske vom Gesicht riss und sich als schauspielender „Vertreter“des Fälschers vorstellte, kam man als Zuschauerin ganz schön ins Schleudern. Dabei lebt das Theater bekanntlich gerade davon, dass es uns etwas vorspielt, was dennoch nicht gelogen ist. Das Publikum jedenfalls, und liest man die Tournee-Liste der Produktion „True Copy“(wahre oder genaue Kopie), nicht nur das Saarbrücker, war von den Belgiern begeistert.
Jetzt kommt die Gruppe um den Schauspieler und Regisseur Yves Degryse erneut zu den Perspectives. Am Freitag und Samstag (17./18. Mai) gastiert sie in der Alten Feuerwache in Saarbrücken. Auch dieses Mal trägt ihre Produktion wieder einen doppeldeutigen Titel: „Making of Berlin“. Bezieht der sich nun auf die Arbeitsweise der Gruppe oder mehr auf den Ort, von dem diese Produktion, die Dokumentar-Film und Theaterspiel mischt, handelt? Sie reiht sich ein in eine ganze Serie von Städteporträts, die sich so unterschiedliche Orte wie Jerusalem, Moskau und Käffer im Nirgendwo wie Iqualit (Nunavut-Territorium/Kanada), Bonanza (Colorado/USA) und Zvizdal (bei Tschernobyl) vorgenommen hat. Das Zvizdal-Porträt gibt einen Eindruck davon, wie viel Zeit und Aufwand die Truppe investiert, um ihre Produktionen zu kreieren. Fünf Jahre lang sind Yves Degryse und sein Kollege Bart Baele zusammen mit einer Journalistin und einem Dolmetscher immer wieder in das Dorf Zvizdal an
der Grenze Ukraine/Belarus gefahren, um in dem verseuchten Sperrgebiet von Tschernobyl mit den beiden einzig verbliebenen Bewohnern, einem Ehepaar von über 80 Jahren, in Kontakt zu kommen.
Ob das Paar überhaupt dazu bereit wäre, mit ihnen zu reden, sich filmen zu lassen, war ungewiss. „Während andere Theatermacher den Text eines Stückes wählen, wählen wir eine Stadt und öffnen dort eine kleine Tür zu den Menschen und ihren Geschichten, wir kriechen immer tiefer in sie hinein“. So erklärte der künstlerische Kopf Degryse in einem Interview die besonders Arbeitsweise von Berlin. Aus Zvizdal brachte Berlin am Ende 80 Stunden Filmmaterial mit, das sie zu einer 70-minütigen Aufführung mit zwei Zuschauertribünen, zwei Projektionswänden und im Maßstab eins zu eins nachgebauten Modellen komprimierten.
Man müsse bereit sein, Zeit zu
verlieren, um Theater zu gewinnen, erklärt Yves Degryse dazu. Wenn man Menschen lange genug verfolge, stoße man immer wieder auf universelle Dilemmata. „Zvizdal“, das Premiere 2016 hatte, ist heute immer noch weltweit „on tour“. In „Making of Berlin“kriecht die Berlin-Truppe immer tiefer in Friedrich Mohr und dessen Geschichte hinein. Mohr hat 1945 als Orchesterwart ein schier unglaubliches Vorhaben miterlebt: Während auf Berlin die Bomben fielen, wollte der Dirigent der Berliner Philharmoniker noch einmal Siegfrieds Trauermarsch aus Wagners „Götterdämmerung“auf
führen, und zwar geschützt in einem Bunker. Da es einen einzigen Bunker, der das ganze Orchester gefasst hätte, nicht gab, dann eben verteilt auf sieben Räume, das Ganze sollte im Rundfunk übertragen werden.
Damals klappte es nicht, deshalb versuchen Degryse und sein Team dem betagten Mohr nun seinen größten Wunsch doch noch zu erfüllen. Wie in jedem Stück der Gruppe Berlin, gibt es auch hier eine überraschende Wendung. Überraschend auch für Degryse und sein Team? Sie suchten sich ihre Protagonisten intuitiv aus und „was sie sagen, wird zu unserem Drehbuch“. Man bereite jedoch alle Fragen und möglichen Szenarien akribisch vor, sagt der Regisseur dazu. In „The Making of Berlin“verwende er sogar eine „mathematische Formel für die möglichen Verzweigungen der Handlungsstränge“.
Auch dieses Stück, das erste, dass Degryse ohne die beiden Mitbegrün
der der Gruppe Bart Baele und Caroline Rochlitz realisierte, kombiniert wieder dokumentarischen Film mit Live-Performance vor Publikum. Und war es bei „True Copy“die Malerei, so spielt diesmal die Musik als Kunstform eine wirkungsvolle Rolle. Ist der Dokumentarfilm „Making of Berlin“wirklich ein Dokumentarfilm? Welche Wahrheit wird ans Licht kommen und welche Rolle spielt die Stadt Berlin? Allzu viel sollte man nicht verraten, sind sich sogar die Theaterkritiker mal einig, um dem Publikum den Genuss nicht zu vererben.
Auch dieses Stück kombiniert wieder dokumentarischen Film mit Live-Performance vor Publikum.
„The Making of Berlin“, am Freitag,
17. Mai, um 20 Uhr und Samstag, 18. Mai, um 18 Uhr in der Alten Feuerwache, Saarbrücken. Gespielt wird in niederländischer, deutscher und englischer Sprache mit deutschen und französischen Übertiteln. Karten und weitere Informationen: www.festival-perspectives.de