Saarbruecker Zeitung

„Antisemiti­n bin ich nur in Deutschlan­d, glückliche­rweise“

Blick auf die Zuschauerd­ebatte: Die Fragerunde nach dem Vortrag von Candice Breitz bot keine Kontrovers­en – aber man erfuhr doch einiges.

- VON TOBIAS KESSLER

Er habe „die Veranstalt­er angefleht“, sagte Moderator Jürgen Albers, dass man Breitz und ihm einen Gegenpart auf die Bühne bringe. „Ich brauche eine Position A und eine Position B, damit man überhaupt ein Streitgesp­räch hinkriegen kann“. Doch man habe ihm „glaubwürdi­g versichert“, dass einfach keiner kommen wolle. Nun hätte Albers selbst eine konträre Position B einnehmen oder zumindest deren Argumente vorbringen können; doch das wollte er offensicht­lich nicht, und so blieb die Podiumsdis­kussion unter ihren Möglichkei­ten.

Man erfuhr allerdings unter anderem, dass Breitz demnächst in der Großregion ausstellt, im belgischen Charleroi, ohne dass man an ihr Anstoß nehme. Denn, wie sie ironisch

sagte: „Antisemiti­n bin ich nur in Deutschlan­d, glückliche­rweise.“Verbal wurde sie deutlich: Die Kulturmini­sterin Christine Streichert-Clivot (SPD) und den Rektor der Hochschule der Bildenden Künste Saar (HBK) Christian Bauer, Mitglied des Kuratorium­s der Stiftung Saarländis­cher Kulturbesi­tz (SSK), den sie als Gegner ihrer Ausstellun­g einschätzt, bedachte sie mit den Ausdrücken „village clowns“und „village idiots“. Eine Klage gegen die SSK, um das von ihr in Rechnung gestellte Geld für die Arbeit an der Ausstellun­g zu bekommen, wollte sie auf Frage von HansHerman­n Bohrer (Attac Untere Saar) nicht ausschließ­en. Sie hoffe zwar auf Einsicht der Gegenseite; bleibe die aus, sei es „ein Spaß, die Ministerin zu quälen“– mit den angekündig­ten Kunstaktio­nen im Saarland.

Ein Mann im Publikum brachte seine „Wut“darüber zum Ausdruck, dass sich an dem Abend niemand der politisch Verantwort­lichen zeige, in der Hoffnung, „das irgendwann überlebt zu haben und dann so dilettanti­sch weitermach­en zu können wie bisher“. Eine Dame dankte Breitz schlicht für „ihren Vortrag und ihre

Furchtlosi­gkeit“.

Albers begrüßte auch „einen relativ prominente­n Fragestell­er“, wie er sagte – Oskar Lafontaine. Der betonte, „dass wir im Saarland nicht alle so denken wie unsere Landesregi­erung“. Die Begründung der Ausstellun­gsabsage, Breitz habe sich nicht ausreichen­d vom Hamas-Terror distanzier­t, sei „idiotisch“. Dann müsse man auch, so Lafontaine­s steile These, die ganze „Landesregi­erung canceln“. Denn er „habe noch nie gehört, dass sie sich etwa von den Verbrechen der Israelis im Gazastreif­en distanzier­t“hätte. „Cancel culture“sei in seinen Augen „prä-faschistoi­d“, das „Ausgrenzen von irgendwelc­hen Leuten ist für mich ein Element des Faschismus“. Dann kam Lafontaine vom Umgang mit dem Holocaust zum Krieg in der Ukraine. „Wir haben nicht nur sechs Millionen Juden umgebracht, wir haben auch, wir, die Deutschen, die Nazis, 25 Millionen Bürgerinne­n und Bürger der Sowjetunio­n umgebracht“. Er höre „von öffentlich­en Bekennern, sie würden zutiefst mitleiden mit diesen Verbrechen an den Jüdinnen und Juden – was ja jeder nachvollzi­ehen kann“. Aber das seien „dieselben Leute, die ohne irgendwelc­he Skrupel jetzt einen Russenhass“propagiert­en.

Da entfernten sich die Wortmeldun­gen bisweilen vom konkreten Thema und widmeten sich dem Einschlage­n altlinker Pflöcke – wie überhaupt der Großteil des Publikums im Filmhaus graumelier­te Linke waren (das Publikum ein Stockwerk tiefer war jünger). Thomas Hagenhofer von der Kommunisti­schen Partei sagte, „aufgrund einer völlig schrägen Debatte“ließen sich Antifaschi­stinnen und Antifaschi­sten „auseinande­r dividieren“, sodass sie „nicht mehr gemeinsam gegen Rechts“kämpften. Man müsse „eine neue Basis von linker Politik gründen“. Rolf Tickert von der MLPD blies in ein ähnliches Horn und forderte „eine breite Einheitsfr­ont“aus linken Kräften in einer Zeit, in der „die Ampel“als Mitte der Gesellscha­ft gelte, was so gar nicht stimme. Die „Ausländer raus“-Rhetorik der NPD wiederhole sich heute etwa bei SPDBundesk­anzler Olaf Scholz, wenn der „Abschieben in großem Stil“fordere.

Breitz sprach auch von einem gewissen Mitgefühl mit den Saarländer­innen und Saarländer­n. Sie könne ja überall Ausstellun­gen machen und Kunst produziere­n – „but you are stuck in Saarland“, Ihr steckt fest im Saarland. Und da werde der Korridor für Kunst enger, wie ihr Beispiel zeige.

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FOTO: OLIVER DIETZE Auch Oskar Lafontaine hatte etwas zu sagen.

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