Russlands alltäglicher Krieg
Nach seiner Amtseinführung belässt Wladimir Putin fast alles beim Alten. Aber eben nur fast. Die wenigen Umbauten haben es in sich – und sind eine schlechte Nachricht für die Ukraine und den Westen.
Wofür der neue russische Verteidigungsminister sorgen soll? Russlands Präsident Wladimir Putin formuliert es so: Es solle ein Gleichgewicht zwischen Butter und Kanonen her, eine „organische Anpassung dieser Beziehung in die Entwicklung unseres Staates“, sagte er dieser Tage vor Kommandeuren unterschiedlicher Militärbezirke in Moskau. Da war der Neue, der Wirtschaftsmann Andrej Beloussow, gerade erst im Amt bestätigt. Er ist die herbeigeholte Superwaffe in Putins Maschinerie des Tötens.
Der Spruch von Kanonen und Butter ist Nazi-Sprech, Reichsminister Rudolf Heß schärfte ihn 1936 den Deutschen ein, als es galt, ziviles Leben der Aufrüstung unterzuordnen, Hitlers Propaganda-Minister Joseph Goebbels wollte „zur Not auf die Butter verzichten, auf Kanonen aber niemals“. Putin, der seinen militärischen Prioritäten mittlerweile alles unterordnet, selbst die Sozial- und die Bildungspolitik, will beides haben: Andrej Beloussow soll für Butter und Kanonen zugleich sorgen.
Das Volk soll von höheren Löhnen profitieren und sonstigen sozialen Annehmlichkeiten (davon ausgenommen sind im Verständnis des Regimes all die, die dieses Regimes mit Brandmarkungen wie „ausländischer Agent“, „Extremist“, „Terrorist“aus der Gesellschaft ausschließt). Es soll auch Opfer bringen für den „großen Sieg“, den ihm Putin und seine
Propagandisten jeden Tag aufs Neue verkaufen. Das Volk kauft fast schon bereitwillig das höllische Päckchen aus Größe und Einzigartigkeit, das sich aus Unsicherheit, Verbitterung und vor allem Angst speist.
Dass Putin den belächelten, in der Ukraine nicht bewährten Sergej Schoigu absetzen würde, damit war zu rechnen. Den Zivilisten Beloussow aber, bis vor Kurzem als Vizepremier für Wirtschaftspolitik zuständig, hatte niemand im Blick. Unlogisch ist der Schritt aber nicht. Putin kennt den 65-jährigen Moskauer seit Jahren als Berater in Wirtschaftsfragen. Noch vor nicht allzu langer Zeit war der stets auf Staatsregulierungen ausgerichtete Ökonom mit seinen eigenwilligen und eher abseitigen Ideen nicht sonderlich gefragt. Nun aber erscheint er geradezu zeitgemäß, zumal er auch Putins Besessenheit teilt, von allerlei Feinden umzingelt zu sein. Der nicht gediente Beloussow ist lediglich der, der das Verteidigungsministerium auf Effizienz trimmen soll, er hat dort keine eigenen Leute, die hinter ihm stehen. Damit sind auch für Putin, den präsidialen Oberbefehlshaber, die Risiken gering, dass sich ihm jemand in den Weg stellen kann. Befehle erteilt der Kremlherrscher selbst. Zusammen mit dem von seinem Posten des Industrie- und Handelsministers auf die Vizepremier-Stelle gewechselten Denis Manturow soll Beloussow die Kriegswirtschaft optimieren.
Putins Personalentscheidungen in seiner neuen Amtszeit sind nicht sonderlich spektakulär. Im Großen und Ganzen soll das beibehalten werden, was es bereits gibt, es soll nur produktiver werden. Das macht die wenigen Umbauten allerdings nicht unbedeutend. Sie sind vielmehr gefährlich. In erster Linie für die Ukraine. Aber auch für den Westen, wo sich viele immer noch im Wunschdenken eingerichtet haben, man müsse doch nur mit Putin reden, schon komme der Frieden und es werde endlich wieder alles, wie es einmal war.
Das wird es nicht. Das Regime in Russland richtet sich auf einen langen Abnutzungskrieg ein und tut alles dafür, als Sieger daraus zu gehen. Es baut das gesamte System um, formt vom Kindergarten an kleine Soldaten. Auf Moskauer Spielplätzen sinnieren bereits Sechsjährige darüber, wohin sie eine Atombombe werfen könnten. Im Moskauer „Siegespark“schießen kleine Jungs mit Plastikwaffen auf zerbeulte Beutepanzer aus der Ukraine, während die Eltern ihre „kleinen Patrioten“stolz fotografieren. Der Krieg, mag er in Russland auch nicht als solcher bezeichnet werden, ist längst in den Alltag eingebettet. Er ist zur Norm geworden und wird die Gesellschaft selbst nach einem wie auch immer gearteten Ende der Kampfhandlungen noch Jahre be
schäftigen.
Der moderne Zar sichert derweil die Macht für sich und seine Umgebung, indem er die Clans, die eng mit ihm verbunden sind, manche noch aus seiner Zeit aus der „Osero“-Datschenkooperative bei Sankt Petersburg, mit wichtigen Posten bedenkt und so das Machtgefüge disponiert. Boris Kowaltschuk, der Sohn seines Kumpanen Juri, ist nun Vorsitzender des Rechnungshofes, Dmitri Patruschew, der Sohn des ehemaligen Sicherheitsrat-Sekretärs Nikolai, dieser grauen Eminenz, steigt zum Präsidentenberater auf. Die Rotenbergs, reich und einflussreich, bedenkt Putin, indem er Roman Starowojt zum Verkehrsminister gemacht hat, und den Rohstoffhändler Gennadi Timtschenko, indem er Sergej Ziwiljow
zum Energieminister ernannt hat. Auch seinen einstigen Leibwächter Alexej Djumin holte er von seinem Gouverneursposten in der Rüstungsregion Tula, unweit von Moskau, wieder näher zu sich, als Berater in
die Präsidialverwaltung. Michail Mischustin bleibt als Ministerpräsident indes weiterhin der leise, effektive Technokrat. Sie alle sind kompetent, und sie sehen sich im Krieg gegen den Westen.