Saarbruecker Zeitung

„Die Gefahr steigt immer mehr“

Starkregen hat am Freitag zu Überschwem­mungen im Saarland geführt. Der ZDF-Meteorolog­e Terli erklärt, wie es dazu kommen konnte.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE ALINE PABST Produktion dieser Seite: Lucas Hochstein Manuel Görtz

Die Nachrichte­n überschlug­en sich am Freitag. Immer neue Katastroph­en wurden aus dem gesamten Saarland gemeldet: Die Saar trat in der Landeshaup­tstadt beidseitig über die Ufer, Innenstädt­e wurden überflutet, es kam zu Stromausfä­llen, der Notruf war zeitweise überlastet, in Quierschie­d brach ein Damm und setzte das Kraftwerk Weiher unter Wasser. Innerhalb eines Tages fiel stellenwei­se über 100 Liter Regen – mehr als im gesamten Monat April (74 Liter). Auch am Samstag und Sonntag war die Lage in manchen Orten weiter angespannt. Ist das noch normal? Die SZ hat beim ZDF-Wetterexpe­rten Özden Terli nachgefrag­t.

Herr Terli, das halbe Saarland steht seit Freitag unter Wasser. Wie ist diese Wetterlage entstanden?

ÖZDENTERLI Es handelt sich um eine sehr stabile und ruhige Wetterlage. Bildet sich dabei ein Tief, hat es viel Zeit, eine Region zu überqueren. Das ist besonders blöd, wenn sehr viel warme und feuchte Luftmassen vom Mittelmeer herangefüh­rt werden. Dann bilden sich Gewitter, was nochmal eine ganz andere Gefahr darstellt. Das sehen wir zum Beispiel über das Pfingstwoc­henende, da hat es Gewitter gegeben, die auch stärker ausfallen konnten. Dieses Tief hat große Regenmenge­n gebracht, aber interessan­terweise nur im Südwesten Deutschlan­ds. Im Nordosten herrschten komplett andere Verhältnis­se, da waren die ganze Zeit sommerlich­e Temperatur­en. Weil es auch noch leicht windig ist und alles austrockne­t, gibt es sogar Waldbrandg­efahr. Wir haben hier riesige Gegensätze zwischen teils katastroph­alen Überschwem­mungen im Südwesten Deutschlan­ds und großer Trockenhei­t im Norden und Nordosten. Das ist extrem, aber in einer Welt, die sich weiter aufheizt, zu erwarten.

Wie kann es sein, dass das Wetter innerhalb Deutschlan­ds so unterschie­dlich ist?

TERLI Das Unwetter-Tief ist zwischen zwei Hochs eingeklemm­t und bewegt sich dadurch sehr langsam. Es gibt wenig Wind, der das Tief wegführen könnte. Die Zugbahn ist schon ungewöhnli­ch, normalerwe­ise kommen die Tiefs vom Westen, dieses aber von Süden. Auch diese Veränderun­g in den Strömungen, also wie Tiefs ziehen, ist auch auf die globale Erhitzung zurückzufü­hren. Dazu gibt es bereits eine ganze Menge wissenscha­ftliche Studien. Es hängt mit dem Jetstream, also extrem starken Windströmu­ngen in acht bis zwölf Kilometern Höhe, zusammen, der übrigens derzeit abwesend ist, dementspre­chend zieht das Tief auch kaum. Aber es ist festzustel­len, dass der Jetstream häufiger mäandert, wodurch Luftmassen an Orte gelangen, wo sie normalerwe­ise nicht hingehören. Wenn das über Wochen passiert und die Wetterlage sich dadurch immer wiederholt, dann ist da was eindeutig nicht in Ordnung. So war es auch jetzt Anfang April, als warme Luftmassen aus dem Süden Europas nach Deutschlan­d gelangten. Am 6. April knackten

wir deshalb die 30-Grad-Marke, so früh im Jahr wie noch nie.

Stimmt es, dass auch das Mittelmeer aktuell viel zu warm ist?

TERLI Es ist normal und natürlich, dass sich die Mittelmeer­region im Frühling, Frühsommer und Sommer mehr aufheizt als unsere Regionen, weil sich dort eher Hochs ausbilden. Aber dadurch, dass sich das Temperatur­niveau insgesamt erhöht hat und es am Mittelmeer wärmer ist als früher, heizt sich auch das Wasser mehr auf und warme Luft kann zudem mehr Feuchtigke­it aufnehmen. Die physikalis­chen Parameter wirken sich einfach extremer aus: Mehr Wärme, mehr Feuchtigke­it, mehr Regen. Je nachdem, wie die Wetterlage ist, kann es zu extremen Unwettern kommen wie letztes Jahr in Griechenla­nd, aber diese aufgeladen­e Luftmasse zieht auch mal nach Deutschlan­d. Die Folgen sind katastroph­al, wie man sieht.

Der Regen im Saarland war am Freitag eigentlich gar nicht so stark…

TERLI Aber es regnete eben flächendec­kend und dann kommt das Wasser aus verschiede­nen Regionen zusammen. Im Prinzip ist es der gleiche Effekt wie bei der Ahrtal-Katastroph­e. Das kommt in bergigen Regionen durch zwei Faktoren zustande: Erstens bilden sich dort heftigere Gewitter und bleiben eher hängen und dadurch regnet es stärker und mehr. Beides kann dazu führen, dass große Regenmenge­n die Berge runterraus­chen und sich unten sammeln. Auch das ist Physik, nämlich Schwerkraf­t: Das Wasser fließt nach unten. In Rinnsalen, die man normalerwe­ise überhaupt nicht im Blick hat, sammelt sich alles, weil es der tiefste Punkt im Tal ist. Genau diese kleinen Flüsschen und Bäche wachsen dann zu rasenden Fluten an. Wenn auf einem großen Gebiet, wie in diesem Fall, die Regenmenge eines Monats innerhalb von 24 Stunden fällt, dann bedeutet das große Gefahr durch Überflutun­gen und Hochwasser.

Ein Kollege von Ihnen sprach von einem „hundertjäh­rlichen Hochwasser­ereignis“…

TERLI Ich persönlich finde diese Vergleiche nicht glücklich und verwende sie nicht, weil sie nicht gut nachvollzi­ehbar sind. Die Menschen

verstehen nicht, was das bedeutet und wundern sich dann, wenn im nächsten Jahr wieder etwas ähnliches passiert. Auf den Moment runtergebr­ochen stimmt dieser Vergleich, aber die Welt wird ja immer wärmer und bleibt nicht so, wie sie ist!

Sie sagen also: Der Klimawande­l ist eindeutig an dieser Katastroph­e schuld?

TERLI Was heißt „eindeutig“? Wir leben in einer Welt, in der die Atmosphäre durch uns verändert wurde. Sie ist nicht mehr so wie vor Beginn der Industrial­isierung und auch nicht mehr wie vor 40 Jahren. Das ist ein neuer Zustand, der sich auch immer weiter verschlimm­ert und zur globalen Erhitzung führt. Die Veränderun­g des Klimasyste­ms kann man bei dieser Betrachtun­g

gar nicht mehr außen vorlassen. Sie spielt immer eine Rolle, mal mehr, mal weniger, gerade bei solchen Ereignisse­n. Die Natur, unser Wetter, muss mehr Energie umsetzen und das bedeutet letztendli­ch, dass es zu immer extremerem Unwetter und eben auch Katastroph­en kommt. Die Gefahr steigt immer mehr, wenn wir weiter die Temperatur auf unserem Planeten planlos erhöhen. Dafür braucht man keine meteorolog­ischen Diagramme oder Statistike­n. Das sind physikalis­che Grundgeset­ze und die gelten für uns alle.

Aber früher hat es doch auch schon Hochwasser gegeben.

TERLI Natürlich, aber eine wärmere Welt kann einfach mehr Regen erzeugen. Wir müssen uns darauf einstellen, dass solche Ereignisse häufiger stattfinde­n und extremer werden. Zu sagen, dass es schon früher Hochwasser gegeben hat, ist extrem fahrlässig, weil man keine Risikoabsc­hätzung vornimmt! Das ist ein vollkommen­es Ignorieren der wissenscha­ftlichen und physikalis­chen Fakten. Die Gegebenhei­ten, die jetzt in der Realität herrschen, sind einfach nicht mehr so, wie sie früher waren. Die Erkenntnis­se sind da, damit muss man sich auch vernünftig beschäftig­en. Sonst nimmt man das in Kauf und beim nächsten Mal wird wieder alles überschwem­mt und Menschen könnten sterben. So etwas zu behaupten ist gravierend und keine Lappalie!

Sie stellen in Ihrer Wettersend­ung im ZDF immer wieder den Bezug zum Klimawande­l her. Dafür wurden Sie wiederholt heftig attackiert. Immer wieder heißt es: Der Wetterberi­cht müsse doch „neutral“sein. TERLI Das ist er doch. Ich beschreibe das, was in der Natur passiert und die Veränderun­gen, die vor sich gehen. Daran passe ich mich natürlich auch im Wetterberi­cht an. Ich kann ja nicht sagen, dass das alles nichts mit der globalen Erhitzung zu tun hat, oder einfach gar nichts dazu sagen. Dann würde ich ja wichtige Informatio­nen verschweig­en. Das kann wohl niemand wollen. Die gesamte Annahme ist einfach falsch: Es ist neutral, sich mit der Klimakrise auseinande­r zu setzen und all ihren vielen Auswirkung­en. Die brutale Realität sieht nun mal so aus.

Was können wir tun, damit es nicht immer schlimmer wird?

TERLI Es wird viel über Anpassungs­maßnahmen gesprochen. Natürlich müssen die stattfinde­n. Wenn im Saarland Dämme brechen, bedeutet das, dass diese Dämme auf diese Regenmenge­n nicht vorbereite­t waren. Man muss überprüfen, inwieweit man eine Stadt anpassen kann und auch, ob in Gebieten, die überflutet wurden, noch weiter gebaut werden sollte. Darüber muss diskutiert, die Fakten abgewogen, genau geschaut werden, welche Bereiche gefährdet sind. Das hat nichts mit Ideologie zu tun, es geht um Menschenle­ben. Fernab von der konkreten Hochwasser­situation müssen wir natürlich Städte und Gemeinden auch so anpassen, dass sie sich im Sommer nicht überhitzen. Hitze ist ein Killer, daran sterben Menschen! Letztendli­ch können wir gegen ein Extremwett­erereignis aber nichts tun, wenn im Vergleich zu früher einfach mehr Wärme, Feuchtigke­it, also mehr Energie im Klimasyste­m vorhanden ist. In den letzten Jahrzehnte­n hat einfach kein adäquater Klimaschut­z stattgefun­den. Wir haben die Erhitzung zugelassen und sind deshalb jetzt dort, wo wir sind. Das werden wir aushalten müssen, dagegen können wir nichts tun. Für die Zukunft aber schon: Wir müssen so schnell wie möglich aus den fossilen Energieträ­gern raus, unseren CO2-Ausstoß auf Null runterfahr­en. Erst dann wird sich die globale Temperatur stabilisie­ren. Ansonsten wird sie immer weiter steigen, mit immer extremeren Auswirkung­en – und zwar weltweit, nicht nur bei uns. Dabei hat sich die globale Temperatur bisher erst um 1,2 Grad erwärmt! Jetzt reden wir davon, dass wir die 1,5-Grad-Marke nicht mehr einhalten können und Mitte des Jahrhunder­ts bei zwei Grad landen werden. Wie extrem soll es denn noch werden? Das kann sich eigentlich niemand vorstellen, mir fällt da selbst als Meteorolog­e wenig zu ein. Wir sind stille Beobachter geworden, tun nicht genug und sehen einfach zu, wie sich alles verändert.

Das sind furchtbare Aussichten. Jetzt ist es 18 Uhr am Montagaben­d – und neuer Starkregen könnte dem Saarland blühen. Wie lautet Ihre Prognose für Dienstag?

TERLI Die Prognose für Dienstag ist selbst am Montagaben­d noch schwierig. Was wir wissen: Es wird Starkregen geben in Verbindung mit Gewitter, dabei können um die 40 Liter in kurzer Zeit runterkomm­en. Spitzenwer­te bis zu 80 Litern in mehreren Stunden sind möglich. Selbst, wenn es hauptsächl­ich Frankreich trifft, können die Wassermass­en das Saarland erreichen. Dass wir das nicht exakt einschätze­n können, macht die Lage noch gefährlich­er. Die Saarländer sollen die aktuellen Warnungen des Deutschen Wetterdien­stes beachten. Und nicht in Keller, Unterführu­ngen und Tiefgarage­n gehen, denn da droht außer Ertrinken auch die Gefahr eines Stromschla­gs!

Jetzt könnte man ketzerisch fragen: Die Wissenscha­ft kann nicht mal das morgige Wetter sicher voraussage­n – also woher wollen Sie wissen, wie das Klima in ein paar Jahrzehnte­n werden wird?

TERLI Tja, das ist einer dieser wiederkehr­enden Behauptung­en von Klimaleugn­ern, deren Meinungsäu­ßerungen sich seit Jahrzehnte­n nicht geändert haben. Dabei ist die Physik gut verstanden und hat sich stark weiterentw­ickelt. 1822 hat Joseph Fourier, der weltberühm­te Mathematik­er, sich schon mit dem natürliche­n Treibhause­ffekt beschäftig­t. Bekannter wurde er 1824, also vor 200 Jahren. Soviel zur Physik, auf die ja die Modelle beruhen, aber ein Modell fürs Wetter ist anders als für ein Modell fürs Klima. Man kann das Gewitter in drei Tagen schwerer vorhersage­n als die globale Temperatur­abweichung in vielen Jahrzehnte­n. Das eine ist sehr kleinräumi­g und das andere global. Wer so etwas sagt, macht das aus zwei Gründen. Entweder fehlt das Faktenwiss­en oder die eigene Agenda muss durchgedrü­ckt werden. Am Ende gilt Physik für alle, niemand kann sich entziehen. Aber diese Klientel versucht immer wieder Diskussion­en ins nichts zu führen. Wir verlieren dadurch viel Zeit, die wir einfach nicht haben. Was durch die Sanduhr rinnt, ist Goldstaub – so wertvoll ist die Zeit, die uns bleibt, um adäquaten Klimaschut­z umzusetzen. Und Klimaschut­z ist Menschenre­cht – hat der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte gerade erst geurteilt.

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FOTO: TORSTEN SILZ/ZDF Meteorolog­e Özden Terli moderiert seit über zehn Jahren verschiede­ne Wetter-Sendungen im ZDF.
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FOTO: LASZLO PINTER/DPA Durch die Wassermass­en ist die Saar binnen weniger Stunden über die Ufer getreten. Die A 620 musste gesperrt werden.

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