Ein Hippie-Leben – zu schön um wahr zu sein
Der Autor und Regisseur Kolin Schult stellte im Rahmen der Reihe „Filmwerkstatt im Gespräch“seinen narrativen Dokumentarfilm „The Big Pink“vor.
Zu schön, um wahr zu sein? Dass es sich tatsächlich so verhält, konnte man zu Beginn des wegen überraschender Enthüllungen heiter diskutierten Abends noch nicht ahnen. Der Wahl-Saarbrücker Autor und Regisseur Kolin Schult stellte im Rahmen der Reihe „Filmwerkstatt im Gespräch“im Kino achteinhalb seinen narrativen Dokumentarfilm „The Big Pink“vor – benannt nach dem rosafarbenen Haus im Staat New York, in dem Bob Dylans Hauskapelle „The Band“ihr erstes eigenständiges Album „Music from Big Pink“aufnahm.
Der 1996 mit dem renommierten Grimme-Preis ausgezeichnete Streifen rekonstruiert die Geschichte einer Salon-Hippie-Familie: einen libertinären Lebensentwurf, für den (angeblich) François Truffauts Spielfilm „Jules et Jim“Pate stand. Er erzählt von Monica und ihrem Mann Franz, die zunächst eine relative normale Ehe führen und drei gemeinsame Kinder großziehen. Das vierte jedoch ist nicht mehr von Franz; es stammt von seinem besten Freund Adrian, den Franz stillschweigend als Nebenbuhler duldet. Fortan führt Monica eine Ménage-à-trois und zieht, in San Francisco von der Flower-Power-Bewegung infiziert, mit ihren Männern, Kindern und einer Super-8-Kamera durch die Welt.
In Thailand wird ein weiterer Liebhaber, der Österreicher Ekki, in den Kommunen-Traum von der freien Liebe integriert. In Afrika endet die gemeinsame Reise: Franz kehrt ernüchtert nach Europa zurück, Ekki braucht eine Urschrei-Therapie in Kalifornien, Monica und Adrian bleiben mit den Kindern im Senegal. Der Film setzt da ein, wo das – von den mittlerweile erwachsenen Kindern verlassene – Paar nach 20 Jahren dort die Zelte abbricht und weiterzieht nach Pakistan. In Interviews mit den Beteiligten und mittels der privaten Super-8-Aufnahmen lässt Schult die Vergangenheit in Rückblenden lebendig werden.
Über 200 Stunden ungeordnetes Amateur-Material hat er in langwieriger Arbeit sortiert und die Bilder so montiert, dass sie, akustisch illustriert durch einen stimmungsvollen Soundtrack mit Songs der Hippie-Ära, eine überzeugende Kraft entfalten. Und gerade weil die Protagonisten das Erlebte emotional unterschiedlich erinnern, hat die Doku eine umso authentischere Anmutung. Aber: „So, wie Ihr die Geschichte jetzt gesehen habt, hat sie nicht stattgefunden“, verriet Schult im Gespräch mit Lydia Kaminski vom Saarländischen Filmbüro. „Ich habe das erzählt, was die sich vorgestellt haben.“Schult nennt es „die Visualisierung einer Illusion“. In Wahrheit seien „diese Leute“, wie sich im Nachhinein herausgestellt habe, „sehr egoistisch“und „30 Jahre lang auf der Flucht“vor Gläubigern gewesen. Schult: „Die haben sich an jedem, dem sie begegnet sind, maßlos bereichert.“
Zwar habe er vom ersten Drehtag an gespürt, dass „da was nicht stimmt“, und seine Zweifel auch kommuniziert. Entsprechend kritisch sei der Film in der Dokumentarfilm-Szene aufgenommen worden. „Damals gab es ja noch die Vorstellung von der Wahrhaftigkeit des Materials“, sagte Schult lachend. „Für mich war das Ganze unangenehm, weil ich ja auch haftbar war für den Film.“Aber „mir ging es vor allem darum, das Träumerische zu erzählen – die Vision einer Generation.“Weil er „Verständnis und ein Gespür für die Stimmung und die Zeit“hatte: „Weil ich aus ähnlichen Familienstrukturen komme und als Hippie-Kind auf Münchner Straßen aufgewachsen bin.“
Wer ihn nicht kennt: Kolin Schult ist der Sohn des illustren Objektsund Aktionskünstlers HA Schult und der schrillen Schauspielerin und Kunst-Managerin Elke Koska, die früher offiziell als Muse ihres Gatten fungierte. 1982 arbeitete Kolin Schult zunächst als Fotograf, Kameramann und Regieassistent für seinen Vater, den WDR und das ZDF. Seit 1990 realisiert er als Autor, Dramaturg, Regisseur, Produzent und Kameramann Dokumentarfilme und serielle Formate für diverse Fernsehsender und Produktionsfirmen. Ins Saarland verschlug es ihn der Liebe wegen, hier verortet ihn mancher vielleicht eher in kulinarischen Zusammenhängen: 2015 eröffnete Schult mit seiner Partnerin das Restaurant „Auberge Rouge“in Saarbrücken-St. Arnual. Aktuell besinnt er sich jedoch wieder aufs Filmemachen und arbeitet unter anderem die Geschichte seiner eigenen Familie auf: Aus seiner Langzeitdokumentation über seinen Vater gab es hier einen kurzen Trailer zu sehen. Sondergast der Veranstaltung war Hartmut Jörg vom Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe. Er stellte das „Labor für antiquierte Videosysteme“vor, das umfangreiches Material von HA Schult und Kolin Schult digitalisiert hat.