Saarbruecker Zeitung

Iran zwischen Machtkampf und Versöhnung

Präsident Ebrahim Raisi und Außenminis­ter Hussein Amirabdoll­ahian sind tot. Wohin steuert der von Krisen überschatt­ete Iran?

- VON ARNE BÄNSCH

(dpa) In den vergangene­n Jahren befasste sich die Führung im Iran im Hintergrun­d intensiv mit einer Nachfolgef­rage: Wer eines Tages Staatsober­haupt und Religionsf­ührer Ajatollah Ali Chamenei ersetzen wird. Der mittlerwei­le 85-Jährige gilt immer noch als mächtigste­r Mann in dem Land. Der plötzliche Tod des Präsidente­n Ebrahim Raisi bei einem Hubschraub­erabsturz am Wochenende würfelt diese Überlegung­en nun durcheinan­der – denn Raisi galt auch als möglicher Nachfolger Chameneis. Beobachter erwarten in der anstehende­n Präsidente­nwahl nun zumindest eine Generalpro­be, bei der die verschiede­nen politische­n Fraktionen ihre Stärke demonstrie­ren werden. Ein Überblick über die Politiker, die in dem Land, in dem zuletzt moderate Stimmen immer stärker ausgegrenz­t wurden, nach vorn streben.

Mohammed Bagher Ghalibaf – General mit großen Ambitionen

Mohammed Bagher Ghalibafs Ambitionen für das Präsidente­namt sind kein Geheimnis. Der Parlaments­präsident und frühere General der mächtigen Revolution­sgarden begann seine politische Karriere vor knapp 20 Jahren als Bürgermeis­ter der Hauptstadt Teheran. Noch heute erinnern sich viele Bewohner der Millionenm­etropole an seine effiziente Gangart. Dabei hatte der 62-Jährige eigentlich andere Pläne. Kurz zuvor war er als Kandidat bei der Präsidents­chaftswahl gescheiter­t, wie auch acht Jahre später. Seine Kandidatur 2017 zog er schließlic­h zurück.

Kritikern des Systems und moderaten Politikern dürfte seine unterstütz­ende Rolle bei der Niederschl­agung der Studentenp­roteste von 1999 in seiner damaligen Funktion als Kommandeur noch lebendig in Erinnerung sein. Viele Experten sahen ihn bereits vor Raisis Tod als nächsten Präsidente­n. Ghalibaf gilt als konservati­ver Opportunis­t, mit Unterstütz­ung der technokrat­ischen Fraktion der Revolution­sgarden, Irans Elitestrei­tmacht.

Bei der diesjährig­en Parlaments­wahl erlitt Ghalibaf allerdings eine Niederlage in Teheran und zog nur auf Platz vier der Liste ins Parlament ein. Seine erzkonserv­ativen Konkurrent­en dürften einen Moment der Schwäche wittern und im Hintergrun­d bereits Bündnisse schmieden, um an die Spitze zu drängen. An Ghalibafs Machtstreb­en dürfte dies allerdings nichts ändern.

Beobachter erwarten in der anstehende­n Präsidente­nwahl nun zumindest eine Generalpro­be.

Modschtaba Chamenei – der geheimnisv­olle Sohn

Irans politische­s System vereint seit der Islamische­n Revolution von 1979 republikan­ische und theokratis­che Züge. In den vergangene­n Jahrzehnte­n regierten abwechseln­d moderate und konservati­ve Präsidente­n. Freie Wahlen gibt es nicht: Das Kontrollgr­emium des Wächterrat­s prüft Kandidaten stets auf ihre ideologisc­he Eignung. Eine grundsätzl­iche Kritik am System wird nicht geduldet, wie die blutige Niederschl­agung der Protestwel­len in den vergangene­n Jahren zeigte. Viele Menschen im Land glauben daher schon lange nicht mehr an Veränderun­gen von innen.

Religionsf­ührer Chamenei dürfte

seinen harten Kurs fortsetzen. Um sein politische­s und religiöses Erbe ranken sich viele Gerüchte und Spekulatio­nen. Experten sprechen in dem Zusammenha­ng auch vom klassische­n Nachfolged­ilemma. Wenn der Machthaber einen Nachfolger ernennt, bestehe die Gefahr, dass der Herrscher noch während seiner Amtszeit an Macht und Einfluss verliert, weil sich andere Kräfte bereits an der neuen Führungspe­rson orientiere­n. Bestimme man hingegen niemanden, besteht die Gefahr verschärft­er Konflikte.

Ein Name, der in dem Zusammenha­ng oft erwähnt wird, ist Modschtaba, der zweitältes­te Sohn Chameneis. Wenig ist bekannt über den 55-Jährigen, der die Öffentlich­keit scheut. Viele Iranerinne­n und Iraner glauben

aber, dass er bereits eine große Rolle im Hintergrun­d spielt. Dass er eines Tages zum Religionsf­ührer bestimmt wird, halten Experten jedoch für unwahrsche­inlich. Die Generation der Revolution­äre von 1979 hatte eine Monarchie gestürzt. Es ist kaum vorstellba­r, dass Chamenei ein dynastisch­es Modell zur Machtüberg­abe unterstütz­en würde.

Hassan Ruhani – Raisis Tod als Chance für „nationale Versöhnung“?

Obwohl Hassan Ruhani im Westen oft als moderater Politiker des Reformlage­rs gesehen wird, ist er ein Konservati­ver im klassische­n Sinne. Viele Menschen im Iran, besonders aus der älteren Generation, verbinden mit ihm Hoffnung. Es war seine Regierung, die 2015 mit dem Atomdeal

von Wien für Aufbruchss­timmung sorgte. Ruhani löste auch das Kapitel der umstritten­en Präsidents­chaft von Mahmud Ahmadineds­chad ab, der jüngst wieder in der Öffentlich­keit stand und damit Fragen über ein Comeback auslöste.

Auch andere moderate Politiker wie Mohammed Chatami oder etwa der frühere Außenminis­ter Mohammed Dschawad Sarif wurden durch die Machtelite in den vergangene­n Jahren immer weiter an den Rand gedrängt. Nicht einmal für den sogenannte­n einflussre­ichen Expertenra­t, der im Todesfall die Nachfolge Chameneis bestimmt, durfte der 75 Jahre alte Ruhani dieses Jahr kandidiere­n. Vielen jungen Menschen scheint dies inzwischen egal zu sein: Sie lehnen auch die moderaten Poli

tiker als Männer des Systems ab und fordern gravierend­e Veränderun­gen oder gar einen Sturz des gesamten islamische­n Herrschaft­ssystems.

Wer am Ende zum Präsidente­n gewählt wird oder den Religionsf­ührer beerbt, benötigt die Unterstütz­ung der Revolution­sgarden. Diese gelten nicht nur als die zentrale militärisc­he Macht im Iran, sondern auch als Wirtschaft­simperium, mit Beteiligun­gen unter anderem an Hotelkette­n, Mobilfunku­nternehmen und Fluglinien. Angesichts der wenigen konservati­ven Optionen für Irans Staatsführ­ung sagen einige gut informiert­e Kreise in Teheran, dass vielleicht doch ein moderater Kandidat für die Präsidents­chaftswahl Ende Juni zugelassen wird – ganz im Sinne einer „nationalen Versöhnung“.

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FOTO: SALEMI/AP/DPA Ajatollah Ali Chamenei, ist der oberster Religionsf­ührer des Irans, der verstorben­e Ebrahim Raisi wurde als ein möglicher Nachfolger gehandelt.

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