Saarbruecker Zeitung

Das Dilemma der Grünen im Wahlkampf

Kriege, Konf likte, Flucht – und die Demokratie ist unter Druck. Können die Grünen, die stets Veränderun­g anmahnen, da noch punkten?

- VON JANA WOLF

Robert Habeck hat sich in Rage geredet. So sehr, dass Moderator Markus Lanz sich bemüßigt sieht, den 54-jährigen Vizekanzle­r zu bitten, auf seinen Blutdruck zu achten. Lanz hatte Habeck auf der Bühne des Digital-Marketing-Festivals OMR Anfang Mai mit dem Desaster um das Heizungsge­setz konfrontie­rt. Wieder einmal. Es ist ein leidiges Thema für den Grünen-Politiker, das ihn seit Frühjahr 2023 verfolgt. Und es ist ein Thema, mit für die Grünen heikle Fragen: Kann man Veränderun­gen, etwa zugunsten des Klimas, vorantreib­en, auch wenn sie Sorgen und Ängste bei den Menschen auslösen? Über wie viel gesellscha­ftlichen Widerstand kann man sich hinwegsetz­en?

Mit dem Heizungsge­setz wird der Austausch fossiler Heizungen durch klimafreun­dliche Anlagen gefördert. Doch es löste große Befürchtun­gen in der Bevölkerun­g aus, dass alte Heizungen auf einen Schlag verboten würden und man sich den Umstieg womöglich nicht leisten könne. Ein plötzliche­s Verbot war nie geplant. Und doch ist das Gesetz Habeck und seinen Grünen wegen vieler Fehler um die Ohren geflogen.

Es erklärt auch, warum der Wirtschaft­sminister bei diesem Thema so in Wallung gerät. Er räumt eigene Fehler beim Heizungsge­setz ein, auch diesmal vor dem gefüllten Saal. Und hält ein flammendes Plädoyer. „Ja, okay. Aber wie viel anderes hat denn geklappt? Das muss man ja auch mal sagen“, ruft Habeck und zählt auf: Etwas mehr als zwei Jahre nach dem russischen Angriff auf die Ukraine seien die Gasspeiche­r voll, die Gas- und Strompreis­e runter, die CO2-Emissionen würden sinken, die Erneuerbar­en gingen durch die Decke. Der grüne Vizekanzle­r will dem Vorwurf, seine Partei würde die Bürger bevormunde­n, etwas entgegense­tzen. Etwas Positives, eine Erzählung des Gelingens und des Fortschrit­ts. Habeck: Wenn der Diskurs des Landes aufs Scheitern ausgelegt sei, „dann werden wir scheitern“.

Doch die Grünen wollen nicht scheitern. Sie wollen nach der Bundestags­wahl 2025 weiterregi­eren, auch wenn einstige Umfrage-Höhenflüge über 20 Prozent lang zurücklieg­en. Für die anstehende Europawahl haben sie sich eine Zielmarke um die 17 Prozent gesetzt – ehrgeizige Ziele.

Doch die Ausgangsbe­dingungen für die Grünen sind schwierig. Die gesellscha­ftliche Verunsiche­rung sitzt tief in diesen Zeiten – und dabei spielt das Heizungsge­setz natürlich nur eine untergeord­nete Rolle. Es herrscht Krieg mitten in Europa und im Nahen Osten – und Entspannun­g ist in beiden Fällen nicht in Sicht.

All das trägt dazu bei, dass das Bedürfnis nach Sicherheit und Stabilität zunimmt – und bei manchen auch das Bedürfnis nach vermeintli­ch einfachen Antworten in einer komplexer werdenden Welt.

Das Grundsatzp­rogramm der Grünen, das die Partei im November 2020 beschlosse­n hat, trägt den Titel „Veränderun­g schafft Halt“. Das hört man noch immer häufig bei den Grünen: Wenn die Welt sich wandelt und in Aufruhr ist, müsse sich auch die Politik ändern. Dann brauche es mutige Entscheidu­ngen.

Mut ist ein Wort, das Außenminis­terin Annalena Baerbock mehrfach benutzt, wenn man sie auf dieses Dilemma der Grünen anspricht. „Natürlich ist es so, dass Veränderun­g erst mal, ich glaube bei jedem Menschen, ein bisschen Nachdenken und bei etlichen auch Sorge mit sich bringt“, räumt Baerbock beim Wahlkampfa­uftakt für die Europawahl ein. Wenn Habeck bei den Grünen der Zuständige für eine Erzählung des Gelingens ist, dann ist Baerbock wohl die Zuständige für das Narrativ des Muts. Bei den Grünen bezeichnet man sie gerne als „Zugpferde“. Ob es den Grünen gelingt, damit zu überzeugen, wird sich bei der Europawahl am 9. Juni zeigen.

„NatürlichA­istAesAso,AdassA Veränderun­gAerstmal,A ichAglaube­AbeiAjedem­A Menschen,AeinAbissc­henA Nachdenken­AundAbeiA etlichenAa­uchASorgeA­mitA sichAbring­t.“AnnalenaAB­aerbockA(Grüne) Bundesauße­nministeri­n

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