Linke fordert kostenlosen Nahverkehr in ganz Europa
Finanziert weden soll das über die europaweite Vermögensteuer, heißt es im Sieben-Punkte-Plan der Partei für eine verkehrspolitische Wende.
Schirdewan muss gar nicht bis nach Montpellier blicken. Templin in Brandenburg genügt ihm. In der südfranzösischen Stadt haben die Stadtverordneten ihren Bürgerinnen und Bürgern im vergangenen Jahr zu Weihnachten ein schönes Geschenk unter den Baum gelegt. Wer in Montpellier oder in einer der 31 umliegenden Gemeinden lebt, fährt ab sofort kostenlos Bus und Tram. Der linke Bürgermeister der Stadt, Michael Delafosse, Mitglied der Sozialistischen Partei, hielt zur Feier des Tages ein Hochamt auf die verkehrspolitische Revolution: gratis durch die Stadt. Für Straßenbahn und Bus zahlen in Montpellier seither nur Touristen und Besucher.
Wenn Linke-Chef Schirdewan jetzt den Sieben-Punkte-Plan seiner Partei für eine verkehrspolitische Wende vorstellt, findet sich unter Punkt drei der Plan: „Kostenfreier Nahverkehr in ganz Europa“. Was Montpellier vor einem halben Jahr eingeführt habe, gebe es in Templin bereits seit 25 Jahren: freie Fahrt mit Bus und Bahn für alle Bürgerinnen und Bürger. Entwickelt haben es die Verkehrsplaner der Stadt auf der Basis der Kurkarte für Besucher und der Jahreskurkarte für Templiner. 44 Euro kostet Einheimische dieses Jahresticket. Damit sind öffentliche Bussen und Bahnen in Templin streng genommen nicht ganz kostenfrei, dafür aber spottbillig. Für umgerechnet 3,67 Euro im Monat fahren Einwohner im gesamten Stadtgebiet ohne Ticket und (fast) kostenlos. Der Bürgermeister von Templin sei übrigens von welcher Partei? Die Linke.
Schirdewan und die Linke wollen Europa in der Endphase dieses Europa-Wahlkampfes nun einen
Schub für das Ziel geben, möglichst einen gesamten Kontinent vom eigenen Auto auf öffentliche Busse und Bahnen umsteigen zu lassen. Ganz nach der Devise: „Für niemanden soll Mobilität am Geld scheitern.“
Also Freifahrt für alle in Bussen und Bahnen des öffentlichen Nahverkehrs in ganz Europa – von Lissabon bis Stockholm. Mitgliedstaaten könnten beispielsweise den Klima-Sozial-Fond nutzen, um in einem ersten Schritt den öffentlichen Nahverkehr zumindest deutlich zu verbilligen. Schon das Neun-Euro-Ticket habe gezeigt: „Kostenloser Nahverkehr ist keine Träumerei, sondern wäre sofort möglich.“Zwar sei die Finanznot vieler Kommunen zu groß, um wie in Templin oder Montpellier kostenlose Fahrten mit Bus und Bahn im Stadtgebiet anbieten zu können. Doch das Geld für kostenlosen Nahverkehr sei da, sagt Schirdewan. Der Linke-Chef will es sich von den Reichen und Superreichen holen und rechnet vor, dass beispielsweise eine europaweite Einführung einer Vermögensteuer in Höhe von einem Prozent rund 286 Milliarden Euro einbringen würde, in Deutschland kämen so durch eine Vermögensteuer etwa 94 Milliarden Euro in die öffentlichen Kassen. Bis es so weit ist, fordert die Linke für alle Abonnenten des 49-Euro-Tickets sechs Freifahrten pro Jahr im Fernverkehr. Und um öffentliche Busse und Bahnen für junge Menschen attraktiver zu machen, trete die Linke für ein landesweites Klimaticket wie in Österreich ein. Schirdewan hat auch hier nachgeschaut: Dort bekämen alle 18-Jährigen zum Geburtstag ein Gratisticket, mit sie ein Jahr lang kostenfrei Busse und Bahnen nutzen können. Das reicht bis Klagenfurt, aber nicht nach Montpellier oder Templin.