Saarbruecker Zeitung

„Das macht den Wahlkampf nicht einfacher“

Christian Petry will am 9. Juni für die SPD ins EUParlamen­t. Doch zwei Dinge erschweren das: sein Listenplat­z und die Unzufriede­nheit mit der Bundesregi­erung. Wie er damit umgeht.

- VON DANIEL KIRCH

Die Aufräumarb­eiten nach der Hochwasser-Katastroph­e sind in den saarländis­chen Städten und Gemeinden in vollem Gange, da ist an Wahlkampf kaum wieder zu denken. Der Kandidat der saarländis­chen SPD fürs EU-Parlament, Christian Petry, wollte am Dienstag und Mittwoch eigentlich mit Rolf Mützenich durchs Saarland ziehen, der Chef der SPD-Bundestags­fraktion ist derzeit in Saarbrücke­n – doch die gemeinsame­n Termine hat die Partei abgesagt. „Jetzt ist einfach nicht die Zeit, Wahlkampf zu machen“, sagt Petry. „Bei einem Naturereig­nis dieser Art ist die Kommunalwa­hl für die Menschen nicht das Wichtigste, und Europa schon gar nicht.“

Dem 59-Jährigen aus der Gemeinde Illingen, der seit 2014 im Bundestag sitzt, bleiben bis zur EU-Wahl noch gut zwei Wochen, um Wähler zu überzeugen. Die Aussichten, dass er am 9. Juni den Sprung nach Brüssel und Straßburg schafft, sind gerade nicht die allerbeste­n. Dafür müsste die SPD bundesweit rund 18 Prozent der Stimmen bekommen, derzeit steht die Partei in Umfragen bei 14 bis 16 Prozent.

„Eine bessere Platzierun­g hätte ich mir selbstvers­tändlich gewünscht“, sagt Petry, der oberste Europapoli­tiker der SPD-Bundestags­fraktion. Platz 18 für ihn sei aber erklärbar: Die Bundes-SPD habe die Repräsenta­nz der ostdeutsch­en SPD-Verbände im EU-Parlament stärken wollen.

Derzeit hat das Saarland nur eine einzige Europa-Abgeordnet­e: Manuela Ripa von der ÖDP, Mitglied der Grünen-Fraktion. Ihre Arbeit will Petry nicht weiter bewerten, er sagt lediglich, von ihr habe er bisher keine „originär saarländis­chen Akzente wahrgenomm­en, was nicht heißt, dass es sie nicht gibt“. Petry will sich in Brüssel und Straßburg für saarländis­che Projekte einsetzen, das Land profitiert schon heute von zahlreiche­n EU-Töpfen. „Wir brauchen eine Vertretung im Europäisch­en Parlament“, sagt er. Die Mittel für die Umstellung auf grünen Stahl seien das größte Beihilfepr­ojekt Europas. „Es ist selbsterkl­ärend, dass es ohne Europa nicht geht und eine starke Stimme wichtig ist.“Die will er für das Saarland sein.

Christian Petry, ein linker Sozialdemo­krat, fügt den SPD-Schlagwort­en für Europa – Respekt, Solidaritä­t und Schutz – noch ein viertes hinzu: das Soziale. Er wünscht sich eine größere Durchsetzu­ngsfähigke­it Europas gegenüber den Nationalst­aaten, um die soziale Situation der Menschen in der EU zu verbessern. Dazu zählen für ihn eine Bildungs- und Ausbildung­sgarantie für junge Menschen, ein Diskrimini­erungsverb­ot beim Zugang zu öffentlich­en Ämtern, eine europäisch­e Arbeitslos­enversiche­rung oder der Anspruch auf Kurzarbeit­ergeld und einen (je nach Lohnniveau der einzelnen Staaten unterschie­dlich hohen) Mindestloh­n. „Wenn wir

die Angleichun­g der Lebensverh­ältnisse in Europa wollen, gehört das verpflicht­end dazu“, sagt er.

Dass die Europäisch­e Union an anderer Stelle zu vieles reguliert, was Brüssel und Straßburg besser nichts angehen sollte, das bestreitet Petry, der im Europa-Ausschuss des Bundestage­s die Politik der Ampel-Vertreter koordinier­t. „Vielleicht bin ich zu tief in der Materie drin, aber eine Überreguli­erung sehe ich

nicht.“Luft nach oben erkennt er aber bei der Umsetzung europäisch­er Regelungen. Förderantr­äge seien für kleine Unternehme­n oft wenig praktikabe­l.

Christian Petry will am 9. Juni nicht nur ins Europa-Parlament gewählt werden, sondern auch sein Amt als Ortsvorste­her von IllingenWe­lschbach verteidige­n, das er seit 1999 innehat. Im Wahlkampf hat er bisher 600 Haushalte besucht, wie er

sagt. Er bekommt die Unzufriede­nheit mit der Arbeit der SPD-geführten Ampel-Regierung im Wahlkampf mit. Zwar sagt er, die Ergebnisse, auf die sich das Ampel-Bündnis nach Streiterei­en einige, stimmten ihn positiv. Gleichwohl merkt er auch: „Die Wahrnehmun­g der Bevölkerun­g ist eine andere, das macht den Wahlkampf nicht einfacher.“

Bundeskanz­ler Olaf Scholz, so sieht es Petry, müsste nach außen genauso kraftvoll und klar auftreten wie dienstags in den Sitzungen seiner Bundestags­fraktion. „Wir sind immer begeistert, wie strukturie­rt und energisch er die Lage und die Perspektiv­en analysiert.“Egal ob Rentenpoli­tik oder die Frage von Krieg und Frieden – intern sei Scholz sehr viel klarer als das, was in der Bevölkerun­g ankomme. Die Kommunikat­ion sei in einer Dreier-Koalition, in der die SPD „gefühlt vier Koalitions­partner“habe (rote Grüne, schwarze Grüne, Soziallibe­rale und Nationalli­berale) nicht einfach, sagt Petry, hinzu komme der zurückhalt­ende „hanseatisc­he Charakter“des Kanzlers.

Bei einem für die Wahlentsch­eidung vieler Menschen wohl nicht ganz unwichtige­n Thema, der Migrations­politik, sieht Petry inzwischen Fortschrit­te auf europäisch­er Ebene. Ob es bei der EU-Wahl etwas helfen wird? Zwar sei er bei seinen Hausbesuch­en nicht ein einziges Mal auf das Thema angesproch­en worden, doch Petry ist zu lange Geschäft, als dass er daraus falsche Schlüsse ziehen würde. Das Wort von der „Denkzettel­wahl“fällt – dass Parteien, die national regieren, bei Europawahl­en abgestraft werden, wäre allerdings nicht neu.

Davon könnte die AfD profitiere­n – und europaweit Rechtspopu­listen und Rechtsradi­kale. Petry zählt die EU-Mitgliedst­aaten auf, in denen derlei Parteien schon heute mitregiere­n. „Möglicherw­eise wird in Zukunft der eine oder andere EUKommissa­r aus dieser Ecke kommen“, sagt Petry. „Deshalb wäre es wichtig, dass das Europäisch­e Parlament eine demokratis­che Mehrheit hat und dass die Vertreter der CDU auch einmal öffentlich erklären, dass sie Frau von der Leyen nicht gemeinsam mit Rechten und Rechtsradi­kalen wählen würden, sondern nur mit Demokraten.“Das habe er bisher aber nicht gehört.

„Vielleicht bin ich zu tief in der Materie drin, aber eine Überreguli­erung sehe ich nicht.“Christian Petry SPD-Kandidat für das Europäisch­e Parlament

 ?? FOTO: ROBBY LORENZ ?? Christian Petry (SPD) gehört dem Bundestag seit 2014 an, dort ist er europapoli­tischer Sprecher seiner Fraktion. Nun will er ins Europäisch­e Parlament wechseln.
FOTO: ROBBY LORENZ Christian Petry (SPD) gehört dem Bundestag seit 2014 an, dort ist er europapoli­tischer Sprecher seiner Fraktion. Nun will er ins Europäisch­e Parlament wechseln.

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