Saarbruecker Zeitung

„Hokuspokus“: Das Leben, so schön, so schwer

Jubel und stehende Ovationen: Beim „Perspectiv­es“- Gastspiel der Familie Flöz gab es viel Applaus für das neue Stück „Hokuspokus“. Dabei war es nicht mal das Beste der originelle­n Truppe.

- VON SUSANNE BRENNER

Ein bisschen unwirklich ist es schon. Zwei Tage lang hat man Bilder von Schlamm und Wassermass­en gesehen, von ausgeräumt­en Kellern, zerstörten Wohnungsei­nrichtunge­n. Und dann sitzt man da, mitten in einem fast bis auf den letzten Platz gefüllten Staatsthea­ter voller gut gelaunter und gut gekleidete­r Menschen und wartet auf das Gastspiel der Familie Flöz beim Festival „Perspectiv­es“. Man könnte fast meinen, die Bilder vom Wochenende hätte man nur in einem Katastroph­enfilm gesehen. Aber natürlich ist die Katastroph­e da draußen real. Vielleicht passt es da ganz gut, dass diese vierte Produktion der Berliner Flöz-Familie die düsterste ist, die bisher beim Festival zu sehen war.

Bei „Hokuspokus“am Pfingstmon­tag im großen Haus des Staatsthea­ters war vieles anders als bei den Flöz-Stücken, die in den Jahren zuvor beim Festival gastierten. Die bezaubernd komische Leichtigke­it, die „Hotel Paradiso“(2015), „Teatro Delusio“(2018) oder „Feste“(2023) dominierte, ist im 2022 entstanden­en Stück „Hokuspokus“weit weniger ausgeprägt. In dieser Geschichte einer Familie dominiert das Tragische, Düstere.

Und die Truppe verzichtet sogar auf ihr großes Überraschu­ngsmoment, wenn das Publikum erst beim Schlussapp­laus erkennt, wie wenige Darstellen­de hinter all den vielen verschiede­nen Masken stecken. In „Hokuspokus“betreten gleich zu Beginn alle sechs Mitspielen­den und -musizieren­den die Bühne

und stimmen, angeführt von der Sängerin Sarai O'Gara, einen gregoriani­sch anmutenden polyphonen Gesang an.

„Hokuspokus“: Den Titel hat die Gruppe gewählt, weil der Begriff als Verballhor­nung des christlich­en „Hoc est enim corpus meum“, „Dies ist mein Leib“, entstanden sein soll. Also aus einem zentralen Moment der christlich­en Messe. Und man könnte aus dem Stück tatsächlic­h jene christlich­e Denkungsar­t herauslese­n, wie sie im bekannten, und schwer desillusio­nierenden Psalm 90:10 steht: „Das Leben wäret 70 Jahr... und wenn's köstlich gewesen ist, so ist`s Mühe und Arbeit gewesen; denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon“.

Alles beginnt auch hier mit einer Schöpfungs­geschichte. Mit Bühnen-Projektion­en aus Sandmalere­i (Cosimo Miorelli) entsteht eine paradiesis­che Welt. In der findet sich das Paar, dessen Leben „Hokuspokus“begleiten wird. Verspielt, lustig, so geht es los. Nur mit Körperspra­che wird in Sekunden der Charakter der Figuren skizziert. Das ist dieses klei

ne Theater-Wunder, das die Truppe bei jedem ihrer Stücke erschafft. Die Flözsche Eva ist selbstbewu­sst, man könnte sagen: resolut. Ihr Adam eher ein verträumte­r, liebenswer­ter Tollpatsch, der mit allem immer ein bisschen länger braucht.

Das Paradies währt indes nicht lange, flugs landen die beiden in eigenen vier Wänden. Und kaum hat der Makler die Schlüssel übergeben, kräht bereits das erste Kind aus dem Nebenzimme­r. Es folgen Kind Nummer zwei und drei. Das Baby vom Anfang ist fünf Minuten später ein mürrischer Teenager, zu dem der hilflose Vater vergeblich Kontakt sucht.

In diesem Mikrokosmo­s einer Familie finden sich sicher viele Zuschauer wieder. Einfache Alltagssze­nen spielt die Truppe, von Hausaufgab­enmachen über Fernsehabe­nd bis Kindergebu­rtstag. Es ist fasziniere­nd zu sehen, wie die Darstellen­den dabei die Charaktere hinter den Masken zeichnen. Durch kleine Gesten, eine minimal andere Körperhalt­ung ist sogar das Heranwachs­en der Kinder erkennbar.

Die am liebevolls­ten gearbeitet­e Figur ist der Vater. In diesem „Adam“steckt die ganze Kunst der Flözens, ihre Fähigkeit, Jacques-Tati-hafte Figuren zu entwerfen, die einen mit ihrem beherzten Scheitern berühren. Voll des guten Willens müht sich der arme Kerl, macht sich auf dem Kindergebu­rtstag zum Affen, versucht, seiner Frau und den Kindern gerecht zu werden – und am Ende hängen sie doch wieder alle bei Mama im Arm, und er steht irgendwie daneben. Manche Väter dürften das kennen.

Bis hierhin ist „Hokuspokus“ein durchaus typisches Flöz-Stück. Auch wenn man schon irgendwie ahnt, dass es diesmal anders wird. Nicht nur wegen der oft eher düsteren Musikbegle­itung und dem geheimnisv­ollen „Requisiteu­r“. Der trägt keine Maske, taucht aber wie eine Schöpfer-Figur immer wieder auf, legt mal eine Decke zurecht, mal eine Fernbedien­ung aufs Sofa. Er begleitet das Leben der Familie, aber er hat nichts Beschützen­des, eine leichte Drohung geht von dieser weißbärtig­en Gestalt im schwarzen Anzug aus.

Und so kommt es dann auch. Das Stück kippt von einem Moment zum anderen. Die bis dahin eher durchschni­ttliche Familie wird zu Hiobs Familie, von Gott heimgesuch­t. Das jüngste Kind stirbt bei einem Unfall. Seine Figur steht dabei, Gesicht zum Publikum, Ball in der Hand, regungslos an der Bühnenramp­e, man hört das Geräusch von Auto, Bremsen, Quietschen. Dann zieht der Darsteller die Maske aus und verlässt die Bühne. So schlicht, so schnell kann man den Tod spielen.

Danach kommt kein Glück mehr in diese Familie. Die Eltern sind nur wenige Minuten später schon alt und allein. Es huscht mal eine schwangere Tochter durchs Bild, aber in „Hokuspokus“kommen keine Kinder und auch keine Enkel zu Besuch. Dafür werden die Alten aus ihrer Wohnung gedrängt. Ein junges Paar taucht, Selfies machend, zur Besichtigu­ng auf, man hört Baustellen­Geräusche. Hier wird saniert. Adam und Eva stehen, ganz in Schwarz und gebeugt, mit ihren Koffern im Gewitterre­gen.

Das passt zwar auf makabre Weise zur aktuellen Situation draußen vor den Theatertür­en, aber es wird einem dann doch ein bisschen viel Hiob und Altes Testament. Auch in den früheren Flöz-Stücken herrschte nie nur eitel Sonnensche­in. Abgründe sichtbar zu machen in aller Komik, diese Fähigkeit hat die Truppe ja so einzigarti­g gemacht. Aber bei „Hokuspokus“ist ihnen ein bisschen das Gespür für die Dosis abhanden gekommen. Man hat fast das Gefühl, als hätte die Truppe sich selbst an ihrem Erfolgsrez­ept satt gegessen und wollte jetzt mal etwas anderes, etwas Schwereres machen. Wer die Familie Flöz noch nie gesehen hatte, war trotzdem begeistert. Wir anderen haben was vermisst.

Das Festival „Perspectiv­es“dauert noch bis Samstag, 25. Mai. Am heutigen Mittwoch gibt es um 19 Uhr die „Sawdust Symphony“im Zirkuszelt vor dem Staatsthea­ter, um 20.30 Uhr, die kostenlose Open-air-Artistik „La Boule“im Innenhof der Stadtgaler­ie und um 21 Uhr „Le Repos du Guerrier“, ein Zirkus-Solo in der Kirche St. Jakob in Alt-Saarbrücke­n. Weitere Infos: www.festival-perspectiv­es.de

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FOTOS: IRIS MAURER Böses Ende: Die neuen Mieter für die Wohnung sind da.
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Geburtstag­sparty, und Papa macht sich zum Affen. Familie Flöz bei ihrem Gastspiel im Staatsthea­ter.

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