Armutsrisiko für Familien mit Kindern sinkt bereits
Die Ampel ringt um die Kindergrundsicherung, die einkommensschwachen Familien mehr staatliche Hilfe verspricht. In die Debatte kommen nun neue Zahlen.
Die Armutsgefahr von Familien mit Kindern ist trotz der deutlich gestiegenen Wohnungsmieten im vergangenen Jahr leicht zurückgegangen. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion hervor. Demnach sank 2023 die sogenannte Armutsrisikoquote – das ist der Anteil der Personen mit einem Einkommen von weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens der Bevölkerung – bei Paaren mit einem Kind von 8,4 Prozent im Jahr 2022 auf 8,1 Prozent im vergangenen Jahr. Bei Paaren mit zwei Kindern reduzierte sich die Armutsrisikoquote noch deutlicher von 11,2 auf 10,4 Prozent, bei drei oder mehr Kindern von 32 auf 30,1 Prozent. Auch bei Alleinerziehenden, die besonders häufig von einer Armutsgefährdung betroffen sind, ging der Anteil von 43,2 auf 41 Prozent zurück.
Das Bundesarbeitsministerium beruft sich in seiner Antwort auf Daten des Mikrozensus. Es verweist zudem auf weitere Zahlen aus der europäischen Erhebung über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-Silc), die ebenfalls den Rückgang der Armutsgefährdungsquoten von Familien mit Kindern signalisieren. Eine Erklärung dürfte neben dem allgemeinen Anstieg von Löhnen und Gehältern darin liegen, dass der Staat vielen Familien finanziell stärker unter die Arme greift als zuvor.
Neben der Erhöhung des Kindergeldes auf 250 Euro pro Kind und Monat Anfang 2023 und der Ausweitung der Wohngeld-Berechtigten spielt dabei auch der Kinderzuschlag für einkommensschwache Familien eine wichtige Rolle: Die Zahl der privaten Haushalte, die den Zuschlag erhalten, ist zuletzt deutlich angestiegen – ebenso die Zahlbeträge, wie aus der Antwort des Ministeriums hervorgeht. Dies dürfte auch die laufende Koalitionsdebatte über die Kindergrundsicherung beeinflussen. Die Grünen dringen auf die Einführung ihres Prestigeprojekts noch in dieser Legislaturperiode, während die FDP bremst – und auch die SPD lieber schrittweise vorgehen will.
Nach den Daten des Arbeitsministeriums erhielten den Kinderzuschlag im Februar bereits rund 413 000 private Haushalte mit gut einer Million Kindern. Im Jahresdurchschnitt 2023 waren es dagegen erst 363 000 Haushalte mit knapp 927 000 Kindern. 2022 war der Zuschlag erst 285 000 Haushalten mit gut 736 000 Kindern bekannt. 2021, als die Ampel die Kindergrundsicherung im Koalitionsvertrag vereinbart hatte, profitierten erst 728 000 Kinder von dem Zuschlag – das sind fast 300 000 weniger als heute.
Auch die ausgezahlten Beträge sind mittlerweile deutlich höher: Erhielten die bedürftigen Haushalte 2021 noch durchschnittlich 339 Euro Kinderzuschlag, waren es im vergangenen Jahr bereits knapp 429 Euro – oder 90 Euro mehr im Monat.
Geschuldet sind die höheren staatlichen Hilfen auch dem Mietenanstieg. Wie aus der Antwort des Ministeriums ebenfalls hervorgeht, stiegen die Angebotsmieten für Erst- und Wiedervermietungen 2023 auf durchschnittlich 10,55 Euro pro Quadratmeter netto kalt an, während es 2020 noch 9,16 Euro waren. Die höchsten Nettokaltmieten mussten 2023 in Berlin, Bayern und Hamburg bezahlt werden. Doch auch in Nordrhein-Westfalen stiegen die Mieten stark von durchschnittlich 7,95 Euro 2020 auf 9,05 Euro 2023 an.
„Gute Sozialpolitik sollte darin bestehen, soziale Bedürftigkeit durch vernünftige Löhne, stabile Preise und geringe Steuern zu verringern“, sagte AfD-Politiker René Springer. Stattdessen treibe die Politik immer mehr Familien in die soziale Abhängigkeit. „Das ist eine ungute Entwicklung, die die Nachhaltigkeit unserer sozialen Sicherungssysteme extrem gefährdet“, kritisierte Springer.
Die Ampel will dagegen die Absicherung einkommensschwacher Familien weiter verbessern. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) hatte einen Gesetzentwurf vorgelegt, der vorsieht, Kindergeld, Kinderzuschlag und die Kinder-Leistungen im Bürgergeld zur Kindergrundsicherung zusammenzufassen. Die FDP kritisierte, dass Paus dafür die Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit (BA) um Tausende Stellen aufstocken wolle und die neuen Leistungen den Arbeitsanreiz für viele Eltern verringern könnte. „Die zusätzlich geplante Geldleistung hatte zwei Bedingungen“, sagte FDP-Chef Christian Lindner am Wochenende. „Erstens nicht mehr
Bürokratie, sondern weniger. Jetzt ist von 5000 neuen Staatsdienern die Rede. Zweitens nicht weniger Arbeitsanreiz, sondern mehr. Jetzt sagen Studien, dass sich für 70 000 Menschen Arbeit nicht mehr lohnen könnte.“Im parlamentarischen Verfahren sei jetzt zu prüfen, „ob und wie die politischen Bedingungen erfüllt werden können“.
Bei einem Treffen der Vize-Chefs der Ampel-Fraktionen am vergangenen Donnerstag soll es eine Annäherung, aber keinen Durchbruch gegeben haben. „Wir wollen kein mangelhaftes schnelles Gesetz, sondern ein gutes Gesetz. Die SPD kann sich daher nach wie vor eine stufenweise Einführung der Kindergrundsicherung vorstellen“, sagte SPD-Fraktionsvize Sönke Rix. „Am Ende muss es aber noch in dieser Wahlperiode materielle Verbesserungen für Familien geben. Uns sind hierbei die Alleinerziehenden und die arbeitende Mitte wichtig.“Zudem seien mehr und bessere Kita- sowie Bildungsangebote nötig. Darauf dringt auch die FDP.