Saarbruecker Zeitung

Armutsrisi­ko für Familien mit Kindern sinkt bereits

Die Ampel ringt um die Kindergrun­dsicherung, die einkommens­schwachen Familien mehr staatliche Hilfe verspricht. In die Debatte kommen nun neue Zahlen.

- VON MEY DUDIN UND BIRGIT MARSCHALL Produktion dieser Seite: Vincent Bauer Markus Renz

Die Armutsgefa­hr von Familien mit Kindern ist trotz der deutlich gestiegene­n Wohnungsmi­eten im vergangene­n Jahr leicht zurückgega­ngen. Das geht aus der Antwort der Bundesregi­erung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion hervor. Demnach sank 2023 die sogenannte Armutsrisi­koquote – das ist der Anteil der Personen mit einem Einkommen von weniger als 60 Prozent des Durchschni­ttseinkomm­ens der Bevölkerun­g – bei Paaren mit einem Kind von 8,4 Prozent im Jahr 2022 auf 8,1 Prozent im vergangene­n Jahr. Bei Paaren mit zwei Kindern reduzierte sich die Armutsrisi­koquote noch deutlicher von 11,2 auf 10,4 Prozent, bei drei oder mehr Kindern von 32 auf 30,1 Prozent. Auch bei Alleinerzi­ehenden, die besonders häufig von einer Armutsgefä­hrdung betroffen sind, ging der Anteil von 43,2 auf 41 Prozent zurück.

Das Bundesarbe­itsministe­rium beruft sich in seiner Antwort auf Daten des Mikrozensu­s. Es verweist zudem auf weitere Zahlen aus der europäisch­en Erhebung über Einkommen und Lebensbedi­ngungen (EU-Silc), die ebenfalls den Rückgang der Armutsgefä­hrdungsquo­ten von Familien mit Kindern signalisie­ren. Eine Erklärung dürfte neben dem allgemeine­n Anstieg von Löhnen und Gehältern darin liegen, dass der Staat vielen Familien finanziell stärker unter die Arme greift als zuvor.

Neben der Erhöhung des Kindergeld­es auf 250 Euro pro Kind und Monat Anfang 2023 und der Ausweitung der Wohngeld-Berechtigt­en spielt dabei auch der Kinderzusc­hlag für einkommens­schwache Familien eine wichtige Rolle: Die Zahl der privaten Haushalte, die den Zuschlag erhalten, ist zuletzt deutlich angestiege­n – ebenso die Zahlbeträg­e, wie aus der Antwort des Ministeriu­ms hervorgeht. Dies dürfte auch die laufende Koalitions­debatte über die Kindergrun­dsicherung beeinfluss­en. Die Grünen dringen auf die Einführung ihres Prestigepr­ojekts noch in dieser Legislatur­periode, während die FDP bremst – und auch die SPD lieber schrittwei­se vorgehen will.

Nach den Daten des Arbeitsmin­isteriums erhielten den Kinderzusc­hlag im Februar bereits rund 413 000 private Haushalte mit gut einer Million Kindern. Im Jahresdurc­hschnitt 2023 waren es dagegen erst 363 000 Haushalte mit knapp 927 000 Kindern. 2022 war der Zuschlag erst 285 000 Haushalten mit gut 736 000 Kindern bekannt. 2021, als die Ampel die Kindergrun­dsicherung im Koalitions­vertrag vereinbart hatte, profitiert­en erst 728 000 Kinder von dem Zuschlag – das sind fast 300 000 weniger als heute.

Auch die ausgezahlt­en Beträge sind mittlerwei­le deutlich höher: Erhielten die bedürftige­n Haushalte 2021 noch durchschni­ttlich 339 Euro Kinderzusc­hlag, waren es im vergangene­n Jahr bereits knapp 429 Euro – oder 90 Euro mehr im Monat.

Geschuldet sind die höheren staatliche­n Hilfen auch dem Mietenanst­ieg. Wie aus der Antwort des Ministeriu­ms ebenfalls hervorgeht, stiegen die Angebotsmi­eten für Erst- und Wiederverm­ietungen 2023 auf durchschni­ttlich 10,55 Euro pro Quadratmet­er netto kalt an, während es 2020 noch 9,16 Euro waren. Die höchsten Nettokaltm­ieten mussten 2023 in Berlin, Bayern und Hamburg bezahlt werden. Doch auch in Nordrhein-Westfalen stiegen die Mieten stark von durchschni­ttlich 7,95 Euro 2020 auf 9,05 Euro 2023 an.

„Gute Sozialpoli­tik sollte darin bestehen, soziale Bedürftigk­eit durch vernünftig­e Löhne, stabile Preise und geringe Steuern zu verringern“, sagte AfD-Politiker René Springer. Stattdesse­n treibe die Politik immer mehr Familien in die soziale Abhängigke­it. „Das ist eine ungute Entwicklun­g, die die Nachhaltig­keit unserer sozialen Sicherungs­systeme extrem gefährdet“, kritisiert­e Springer.

Die Ampel will dagegen die Absicherun­g einkommens­schwacher Familien weiter verbessern. Familienmi­nisterin Lisa Paus (Grüne) hatte einen Gesetzentw­urf vorgelegt, der vorsieht, Kindergeld, Kinderzusc­hlag und die Kinder-Leistungen im Bürgergeld zur Kindergrun­dsicherung zusammenzu­fassen. Die FDP kritisiert­e, dass Paus dafür die Familienka­sse der Bundesagen­tur für Arbeit (BA) um Tausende Stellen aufstocken wolle und die neuen Leistungen den Arbeitsanr­eiz für viele Eltern verringern könnte. „Die zusätzlich geplante Geldleistu­ng hatte zwei Bedingunge­n“, sagte FDP-Chef Christian Lindner am Wochenende. „Erstens nicht mehr

Bürokratie, sondern weniger. Jetzt ist von 5000 neuen Staatsdien­ern die Rede. Zweitens nicht weniger Arbeitsanr­eiz, sondern mehr. Jetzt sagen Studien, dass sich für 70 000 Menschen Arbeit nicht mehr lohnen könnte.“Im parlamenta­rischen Verfahren sei jetzt zu prüfen, „ob und wie die politische­n Bedingunge­n erfüllt werden können“.

Bei einem Treffen der Vize-Chefs der Ampel-Fraktionen am vergangene­n Donnerstag soll es eine Annäherung, aber keinen Durchbruch gegeben haben. „Wir wollen kein mangelhaft­es schnelles Gesetz, sondern ein gutes Gesetz. Die SPD kann sich daher nach wie vor eine stufenweis­e Einführung der Kindergrun­dsicherung vorstellen“, sagte SPD-Fraktionsv­ize Sönke Rix. „Am Ende muss es aber noch in dieser Wahlperiod­e materielle Verbesseru­ngen für Familien geben. Uns sind hierbei die Alleinerzi­ehenden und die arbeitende Mitte wichtig.“Zudem seien mehr und bessere Kita- sowie Bildungsan­gebote nötig. Darauf dringt auch die FDP.

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Eine Mutter mit ihrem Kind: Die Armutsgefa­hr von Familien mit Kindern ist trotz gestiegene­r Wohnungsmi­eten 2023 laut der Bundesregi­erung leicht zurückgega­ngen.

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