Das Bundesverfassungsgericht
Sechs Vorgaben schrieben die Architekten des Grundgesetzes und im Hintergrund die westlichen Alliierten für den politischen Betrieb im Lande fest: Rechtsstaat, Republik, Demokratie, Bundesstaat, Sozialstaat und offener Staat. Rechtsstaat bedeutet, dass die Staatsgewalten an Verfassung und Gesetz gebunden sind und nicht wie in der DDR als die Vorgaben einer Staatspartei oder an den Führerbefehl wie in der nationalsozialistischen Diktatur.
Ein Prinzip des Rechtsstaats
Rechtsstaat heißt ferner Trennung der und deren Ausbalancierung im Unterschied zu ihrer Konzentration, wie in totalitären oder autoritären Staaten. Die Bindung an Gesetze heißt auch, dass die richterliche Nachprüfbarkeit gewährleistet sein muss durch fachgeschulte und vor allem unabhängige Richter, nicht durch willfährige Richter, wie in Russland, oder Laienrichter. Hans-Ulrich Wehler, nannte das BVG nicht umsonst „die eigentliche Innovation des politischen Systems.“
Die Stellung des BVG
Dem Bundesverfassungsgericht (BVG) obliegt als oberste Institution der Judikative in Deutschland die Überwachung der Bindung aller Staatsgewalt an bestehende Gesetze. Als Hüter der Verfassung haben die Entscheidungen des 1951 gegründeten und in Karlsruhe ansässigen BVG Rechtskraft, in manchen Fällen sogar Gesetzeskraft. Das BVG ist ein politischer Machtfaktor ersten Ranges, ein Mitregent, das „Regieren mit Richtern“ist politische Praxis. Es gliedert sich in zwei Senate zu je acht Richtern, die je zur Hälfte vom Deutschen Bundestag und vom Bundesrat jeweils mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden. Die Amtszeit der Richterbeträgt zwölf Jahre, ohne Möglichkeit zur Wiederwahl. Das BVG wird auf Anruf tätig. Antragsberechtigt sind
je nach Verfahren die Bundesregierung, eine Landesregierung, der Bundestag, der Bundesrat, die Volksvertretung eines Landes, ein Gericht oder im Falle der Verfassungsbeschwerde jedermann. Dadurch ist das BVG ein passives Verfassungsgericht, um einer übergroßen Machtfülle zuvorzukommen. Ihm obliegen Beschlüsse über zentrale Fragen. Eines der Hauptanliegen ist und bleibt Artikel 1, den Schutz und Ausbau der Menschenwürde. Dazu ermahnte das BVG: „Der Staatsgewalt ist in allen Erscheinungsformen die Verpflichtung auferlegt, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. […] Es widerspricht daher der Würde, den Menschen zum bloßen Objekte im Staat zu machen“(BVerfGE 45, 227f).
Weitreichende Kompetenzen
Die kontinuierliche Verletzung der in allen westlichen Verfassungs
staaten verbrieften Grund- und Menschenrechte gehörte zum Alltag in der DDR. Dort verzichtete man bewusst auf Verwaltungsgerichte, die fehlerhafte Aktionen der Staatsgewalt hätten korrigieren können. Dort klaffte eine Lücke, wo sich in der Bundesrepublik das Bundesverfassungsgericht als Hüter des Verfassungsrechts über Regierungs- und Parteienmacht erhob. Aber genau diese Kompetenz, die Überwachung und falls nötig das Verbot demokratiefeindlicher Parteien schützt die Demokratie davor, von innen zu marodieren. Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Erweist sich der Antrag im Hauptverfahren als begründet, erklärt das
BVG die Auflösung der Partei und das Verbot, eine Ersatzorganisati
on zu schaffen. Das BVG kann zudem die Einziehung des Vermögens der Partei aussprechen. Seit der Neuregelung des Art. 21 Abs. 3 GG im Jahr 2017 besteht zudem die Möglichkeit, Parteien von der staatlichen Finanzierung auszuschließen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien. Zweimal hat das Bundesverfassungsgericht bislang ein Parteiverbot ausgesprochen: 1952 wurde die Sozialistische Reichspartei (SRP) verboten und 1956 die Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Mit dem Aufstieg der Populisten in westlichen Staaten häufen sich auch Angriffe auf die Verfassungsgerichte. Verfassungsgerichte auszuschalten und die Gewaltenteilung aufzuheben, sind meist die ersten Bestrebungen. Polen und Ungarn sind hier Negativbeispiele. Die Unabhängigkeit der Justiz ist daher ein demokratieerhaltendes und stets anzustrebendes Gut.