Ein Grundgesetz und seine Umsetzung
Seit 75 Jahren herrscht Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann – oder?
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“: Im Januar 1949 beschließt der Hauptausschuss im Parlamentarischen Rat einstimmig die Aufnahme dieses Satzes ins deutsche Grundgesetz, festgeschrieben in Artikel 3 Absatz 2. Das Plenum folgt dem Entwurf im Mai 1949.
Ein revolutionärer Schritt
Und gerade die Schlichtheit dieses Satzes, ohne weitere Details oder Einschränkungen, garantiert den Frauen in der Bundesrepublik Deutschland Rechtsgleichheit in allen Bereichen. Damals ein revolutionärer Schritt, auf den die breite Öffentlichkeit nicht so recht vorbereitet war. Besonders das Patriarchat in Ehe und Familie galt es aufzuweichen, wofür allerdings auch Frauen ihr Rollenverständnis überdenken mussten. Es herrschte eine vorgeschriebene Aufgabenverteilung: der Mann verdiente den Unterhalt, die Frau kümmerte sich um Haushalt und Familie, sie war verpflichtet den Gatten und den Nachwuchs zu umsorgen und den Haushalt entsprechend zu führen. Dem Mann gehörte der komplette Güterstand, auch von der Frau in die Ehe Eingebrachtes. Die Frau durfte nur mit Einverständnis des Ehemannes eine Arbeit aufnehmen und hatte auch sonstige ehelichen Pflichten zu erfüllen. Ein durch und durch patriarchisches System sollte verändert werden.
Nun ist das Grundgesetz zwar bindend, aber die Rechtsgleichheit war aus genannten Gründen noch lange nicht hergestellt. Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) standen die Gesetze und Verordnungen, insbesondere auf den Gebieten von Ehe, Familie und Arbeit. Diese standen den Zielen der Gleichberechtigung im neuen Grundgesetz entgegen. Doch auch daran hatte man 1949 gedacht. Bis der Gesetzgeber eine neue Lösung findet, bleibt das alte Gesetz in Kraft, mit einer Frist bis Ende März 1953. Diese Frist, das BGB an den Grundsatz der Gleichberechtigung anzupassen konnte nicht eingehalten werden. Erst im Mai 1957 verabschiedet der Deutsche Bundestag das „Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts“, das sogenannte Gleichberechtigungsgesetz. Auch erstmal nur Theorie.
Artikel 3 im Grundgesetz wurde 1957 um den Satz erweitert: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“In den letzten 75 Jahren wurde an der Beseitigung der Nachteile stetig gearbeitet, um Gesetzesänderungen und -erweiterungen wurde gerungen, dafür auch gestritten und demonstriert. Heute muss man feststellen, dass Gleichberechtigung zwar gesellschaftlich akzeptiert ist, aber die Gleichstellung, insbesondere im Erwerbsleben, längst nicht erreicht ist.
Fortschritte in der Gleichberechtigung
Zwar gab es bereits 1901 erste studierende Frauen, damals in Baden und Frauen konnten seit 1918 das aktive und passive Wahlrecht wahrnehmen, aber Rechtsgrundlage lieferte erst der Eintrag in Artikel 3 des Grundgesetzes. Da dennoch immer mehr Frauen eine Arbeit aufnahmen wurde bereits 1952 das Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter eingeführt, kurz das Mutterschutzgesetz.
Mit Elisabeth Schwarzhaupt (CDU) wurde 1961 erstmals eine Frau Bundesministerin und mit Annemarie Renger (SPD) erstmals eine Frau Bundestagspräsidentin. Die Bundeswehr öffnet 1975 den Offiziersdienst im Sanitätsdienst für Frauen, später auch den Militärmusikdienst.
1977 folgte ein entscheidender Schritt: In der Reform des Eheund Familienrechts wurde die vorgeschriebene Aufgabenverteilung gestrichen. Fortan galt das gleichberechtigte Partnerschaftsprinzip. Frauen konnten uneingeschränkt arbeiten gehen und „eigenes“Geld verdienen. Der Mutterschaftsurlaub wird 1979 eingeführt. Neben den bisherigen Schutzfristen erhalten in einem Arbeitsverhältnis stehende Mütter einen viermonatigen Urlaub, der mit Bundesmitteln vergütet wird. Während des Mutterschaftsurlaubs herrscht Kündigungsverbot.
1980 folgt das Übereinkommen der Bundesregierung zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau. Darin wird auch das Recht auf gleiches Entgelt und auf Gleichbehandlung für Frauen bei gleichwertiger Arbeit verankert. Stellenausschreibungen von nun an geschlechtsneutral formuliert werden. In den Folgejahren werden zahlreiche Gesetzesänderungen und Verordnungen verabschiedet, die sich insbesondere auf Erziehungsgeld und -zeiten sowie rentenrechtliche Benachteiligungen beziehen. Heide Simonis (SPD) wird die erste Ministerpräsidentin eines Bundeslandes.
1994 tritt das Zweite Gleichberechtigungsgesetz in Kraft. Es beinhaltet unter anderem eine Verschärfung des gesetzlichen Verbots von Benachteiligungen bei Stellenausschreibungen, Einstellungen und dem beruflichen Aufstieg von Frauen sowie die Förderung von Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Bundesverwaltungen und Gerichten des Bundes.
Das Gleichberechtigungsgebot im Grundgesetz wird um den Passus ergänzt: „Der Staat fördert die
tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“. Bis heute wird ständig an Elterngeld, Elternzeit, aber auch an der Kinderbetreuung und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gebastelt und auch Verbesserungen erzielt. Und die Beseitigung bestehender Nachteile muss weiter gehen: Noch immer verdienen Frauen in Deutschland mehr als 20 Prozent weniger als Männer und sind in vielen Führungspositionen deutlich unterrepräsentiert.