Wer wird die Führung in der EU-Kommission übernehmen?
Rund zwei Wochen vor der Europawahl präsentierten sich am Donnerstag fünf Spitzenkandidaten europaweit im Fernsehen. Eine Debatte kam nicht auf.
BRÜSSEL Ursula von der Leyen stand mit starrem Blick auf der Bühne vor ihrem Pult, hinter ihr leuchtete die riesige Leinwand, auf der alle 15 Minuten die wichtigsten Themen für Europa als Schlagworte auftauchten. Sie wirkte gelangweilt, mitunter fast abwesend. Damit erging es ihr kaum anders als dem Publikum, dem für diesen Donnerstagnachmittag eine länderübergreifende Debatte der Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten für die Europawahl Anfang Juni versprochen wurde, das aber kaum mehr bekam als auswendig gelernte Floskeln.
Wer sich fragt, warum der aktuelle Wahlkampf selbst zwei Wochen vor dem Votum so zäh erscheint, bekam in einer Stunde und 45 Minuten die Antwort. Von der Leyen musste jedenfalls nicht allzu viel Energie oder Kampfeswillen aufwenden, um ihren Anspruch auf eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin der EU zu rechtfertigen. Das lag auch an den meist schwachen Mitbewerbern. Neben dem Luxemburger EU-Kommissar Nicolas Schmit, der für Europas Sozialdemokraten ins Rennen geht, traten die deutsche Grünen-Spitzenkandidatin Terry Reintke, der Liberale Sandro Gozi aus Italien sowie Walter Baier, Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) für die Europäische Linkspartei auf.
Die Diskussion glich zunächst eher einem Abfragen von Positionen durch die beiden Moderatoren, die Zuschauer sowie Anwesenden aus dem Publikum. Das Format der Sendung sah vor, dass Bürger aus den 27 Mitgliedstaaten den Kandidaten ihre Fragen direkt stellen konnten. So schalteten die Moderatoren wie zur unterhaltsamen Punktevergabe beim Eurovision Song Contest regelmäßig in die Hauptstädte, wo zufällig ausgesuchte Zuschauer aus dem Publikum die Gelegenheit hatten, sich an die Protagonisten zu wenden. „Hallo Brüssel“– ein Versuch, Bürgernähe zu demonstrieren?
Es klappte nur bedingt. Vielmehr verwirrte die Organisation der Veranstaltung, die einen Schlagabtausch fast unmöglich machte. Erst nach einer knappen Stunde erkannten Optimisten einen Hauch von Diskussion. Wieder war dies den Rechtspopulisten geschuldet, auch wenn sie nicht einmal einen Vertreter auf der Bühne hatten. Weil deren beide Fraktionen im EU-Parlament, die rechtskonservative Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) sowie die Fraktion Identität und Demokratie (ID), EUweite Spitzenkandidaten ablehnen, waren sie nicht zur Diskussion eingeladen. Doch immer wieder rückten sie trotz der Abwesenheit in den Fokus. Denn wie soll die Gemeinschaft auf den Rechtsruck reagieren, den Umfragen vorhersagen? Man könne nicht über Sicherheit reden, ohne über die Gefahr zu sprechen, „die der Aufstieg der Rechtsextremen mit ihrer Ideologie und ihren Verbindungen zum Kreml darstellt“, sagte die Grüne Reintke.
Kurzzeitig unter Druck geriet von der Leyen. Sie hatte vor einigen Wochen für Aufsehen gesorgt, weil sie für eine mögliche zweite Amtszeit eine Zusammenarbeit mit der EKR nicht ausgeschlossen hatte, zu der auch die postfaschistische Partei der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni gehört, die Fratelli d`Italia.
Schmit bekräftigte am Donnerstag seine Forderung an von der Leyen, ihre roten Linien für mögliche Partnerschaften klar zu ziehen. Abermals wiederholte die Deutsche die von der EVP aufgestellten Prinzipien, die für den Austausch mit allen Gesprächspartnern erfüllt sein müssen: „pro Europa, pro Ukraine, pro Rechtsstaat“. Das schließt ein Bündnis mit beispielsweise der rechtspopulistischen PiS in Polen kategorisch aus.
Aber Meloni? Sie trifft theoretisch die Kriterien. In von der Leyens Worten klingt es so: „Wir müssen eine Mehrheit aufbauen, um Europa voranzubringen und ein starkes Europa zu schaffen.“Die CDU-Politikerin steht kurz vor ihrer zweiten Amtszeit. Die EVP, jener Zusammenschluss der christlich-demokratischen und bürgerlich-konservativen Parteien Europas, liegt in Umfragen so klar vorn, dass von der Leyen sich im Grunde nur selber schlagen kann. Sie erlaubte sich bei dieser Debatte weder Patzer noch Pannen.
Während die fünf Spitzenkandidaten auf der Bühne noch um Stimmen warben, sorgte eine Entscheidung abseits des Scheinwerferlichts für Aufruhr. So wurden alle AfD-EUAbgeordneten „wegen fortgesetzter Verletzung des Zusammenhalts und des Ansehens der Fraktion“aus der ID ausgeschlossen, wie es in einem Antrag von Fraktionschef Marco Zanni hieß.
Offenbar stimmten die italienische Lega, der französische Rassemblement National von Marine Le Pen, Vlaams Belang aus Belgien wie auch die tschechische Delegation von Freiheit und direkte Demokratie für das Ende der fixen Kooperation auf EU-Ebene. Der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Maximilian Krah, hatte mit seiner Äußerung in einem Interview, nach denen nicht jeder SS-Mann ein Verbrecher gewesen sei, zuvor für scharfe Kritik gesorgt – und das Fass zum Überlaufen gebracht.