Saarbruecker Zeitung

„Im Kleinen zu viel und im Großen zu wenig“

Der CDU- Chef äußert sich zu den Fehlern der EU, einer Reform der Schuldenbr­emse und seinem Ex-Nachbarn Oskar Lafontaine.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTEN PETER STEFAN HERBST UND DANIEL KIRCH.

SAARLOUIS Mit einer Kundgebung im Theater am Ring in Saarlouis hat die CDU Saar den Schlussspu­rt im Europa- und Kommunalwa­hlkampf eingeläute­t. Der Gastredner, CDU-Bundeschef Friedrich Merz, stellte sich bei seinem Saarland-Besuch den Fragen der SZ zu aktuellen Themen, die auch für das Saarland wichtig sind.

Herr Merz, Sie haben selbst ein paar Jahre im Saarland gelebt, waren Rechtsrefe­rendar und Richter in Saarbrücke­n. Warum ist die Europawahl am 9. Juni aus Ihrer Sicht für das Saarland besonders wichtig?

MERZ Das Saarland ist eine der interessan­testen und spannendst­en Grenzregio­nen der Bundesrepu­blik Deutschlan­d. Es gibt kein zweites Bundesland, das eine so hohe Affinität zu Frankreich hat. Diese Brücke zwischen Deutschlan­d und Frankreich ist in dieser Zeit ganz besonders wichtig. Für mich ist klar: Das deutsch-französisc­he Verhältnis kann nicht so bleiben, wie es gegenwärti­g ist. Denn so schadet es allen: Deutschlan­d, Frankreich und Europa.

Welchen Bezug haben Sie heute noch zum Saarland?

MERZ Das Saarland ist Teil meiner Familie. Viele Verwandte meiner Frau leben im Saarland, meine Schwiegerm­utter wohnt in Saarbrücke­n. Wir sind relativ häufig hier. Wenn auf der Autobahn das Schild „Willkommen im Saarland“erscheint, fängt meine Frau auch an, wieder mit saarländis­chem Idiom zu sprechen.

Die saarländis­che CDU ist nach dem Wahldesast­er bei der letzten Landtagswa­hl in ein tiefes Loch gefallen. Wie nehmen Sie den Landesverb­and heute wahr?

MERZ Der Landesvors­itzende Stephan Toscani geht mit neuem Elan an die Arbeit und weiß, dass die Partei im Saarland inhaltlich punkten und ein besseres Personalan­gebot machen muss. Eine meiner wichtigste­n Aufgaben als Parteivors­itzender ist es, dafür zu sorgen, dass wir in den Ländern gute junge Leute gewinnen, die bereit sind, Verantwort­ung zu übernehmen. Das sehe ich hier im Saarland.

Kann man so kurz nach einer Hochwasser-Katastroph­e im Wahlkampf schon wieder zur Tagesordnu­ng übergehen?

MERZ Wir haben uns genau diese Frage gestellt, und wir gehen ja auch nicht zur Tagesordnu­ng über. Ich danke erst einmal den Helferinne­n und Helfern, die sofort mit angepackt haben. Dieser Zusammenha­lt ist großartig. Offensicht­lich ist das Saarland auch gut vorbereite­t gewesen und die Zusammenar­beit hat parteiüber­greifend zwischen dem Land und den Kommunen gut funktionie­rt. Jetzt muss das Leben weitergehe­n. Wir müssen nach vorne blicken und diskutiere­n, was wir beim Klimaschut­z tun müssen, damit so etwas nicht häufiger passiert.

Zum Beispiel?

MERZ Zum Beispiel eine gute Klimapolit­ik mit einer guten Wirtschaft­sund Energiepol­itik verbinden. Das sehen wir grundsätzl­ich anders als die Bundesregi­erung. Wir sind nicht der Meinung, dass die Politik das Leben der Menschen bis ins kleinste Detail hinein regulieren sollte. Wir wollen Ziele vorgeben. Ingenieure können dann gute Techniken entwickeln, um diese Ziele zu erreichen – und zwar so, dass andere Länder in der Welt sagen: Die Deutschen sind ein Vorbild! Zurzeit sieht das Ausland Deutschlan­d mit der Ampel am Steuer eher als Geisterfah­rer.

Bundesfina­nzminister Christian Lindner hat Ihrer Fraktion kürzlich in einem Interview mit unserer Zeitung die Schuld daran gegeben, dass es nicht zu einer Entschuldu­ng der Kommunen durch den Bund kommt. Blockieren Sie?

MERZ Es erstaunt mich, das von Christian Lindner zu hören. Ich höre aus der FDP, dass sie grundsätzl­ich nicht bereit ist, die Kommunen über den Bund zu entschulde­n. Wir würden zunächst einmal gerne einen Vorschlag der Bundesregi­erung sehen. Denn das ist eine relativ schwierige Frage, finanzpoli­tisch wie verfassung­srechtlich. Ich bin offen für Diskussion­en, aber zunächst muss die Bundesregi­erung sagen, was sie will. Deshalb muss ich mit Entschiede­nheit zurückweis­en, dass wir hier irgendwas blockieren würden. Die Koalition ist sich nicht einig – wie leider so häufig.

Die saarländis­che Ministerpr­äsidentin fordert eine Lockerung der Schuldenbr­emse, auch mehrere CDU-Ministerpr­äsidenten sehen das so. Bewegt sich da was in Ihrer Partei?

MERZ Mein Eindruck ist, dass die SPD und große Teile der Grünen das Thema Schuldenbr­emse nutzen wollen, um die konsumtive­n Ausgaben zulasten unserer Kinder und Enkel weiter zu erhöhen. Es gibt im Bundeshaus­halt sehr viele Möglichkei­ten zu sparen. Wir sehen natürlich auch, dass wir erhebliche Finanzieru­ngsnotwend­igkeiten in der Infrastruk­tur haben. Aber die finanziell­en Spielräume dafür können wir nur gewinnen, wenn vor allem an anderer Stelle gespart wird. Darüber müssten wir zunächst einmal sprechen.

Sie sind also gesprächsb­ereit? Das ist neu.

MERZ Nein, das ist nicht neu. Wir sind zu allen Themen gesprächsb­ereit, denn wir wollen ja lieber früher als später selbst wieder politische Verantwort­ung für unser Land übernehmen. Ich habe den Sozialdemo­kraten gesagt: Wenn ihr den gesamten Sozialetat für unantastba­r erklärt, und da reden wir mittlerwei­le über mehr als die Hälfte des Bundeshaus­halts, dann sind die Gespräche sinnlos.

Nochmals zur Europawahl: Worum kümmert sich Europa zu viel, worum zu wenig?

MERZ Im Kleinen zu viel und im Großen zu wenig, darüber sind Ursula von der Leyen und ich uns einig, auch in der Rückschau auf die letzten fünf Jahre. Zeitenwend­e muss auch für Europa gelten. Jean-Claude Juncker hat einmal gesagt: ‚Europa muss weltpoliti­kfähig werden.` Was heißt das? Wir werden nur weltpoliti­kfähig, wenn wir uns über gemeinsame Ziele in der Außen-, Sicherheit­s- und Verteidigu­ngspolitik verständig­en, den europäisch­en Binnenmark­t wirklich vollenden und darauf verzichten, im kleinsten Detail den Lebensallt­ag von 450 Millionen Menschen in der EU bestimmen zu wollen. Der Papierkram, die ganzen so genannten Berichtspf­lichten, die bis in den kleinsten Betrieb gelten, und dieses unfassbar dicht regulierte Lieferkett­ensorgfalt­spflichten­gesetz – das sind alles Dinge, die zu viel sind.

... und für die Ihre Partei mitverantw­ortlich ist.

MERZ Selbstvers­tändlich sind wir auch verantwort­lich. Deshalb hat Ursula von der Leyen fest zugesagt, 25 Prozent dieser Regulierun­gen abzuschaff­en. Das muss in den nächsten fünf Jahren geleistet werden.

Die SPD fordert von Ihnen ein klares Bekenntnis, dass die Union nach der EU-Wahl nicht mit Rechtspopu­listen und Rechtsradi­kalen zusammenar­beitet, um Ursula von der Leyen zur Kommission­spräsident­in zu wählen. Können Sie dieses Bekenntnis geben?

MERZ Wenn er nicht tragisches Opfer eines Attentats geworden wäre, hätte ich einmal die Frage zurückgest­ellt, was eigentlich die sozialdemo­kratische Fraktion und Partei in Europa mit dem slowakisch­en Ministerpr­äsidenten Fico machen will? Fico ist ein ausgewiese­ner Putin-Freund. Gerade die SPD braucht uns also keine Belehrunge­n zu erteilen. Für uns ist völlig klar: Wir werden mit Rechtsextr­emisten und mit Rechtspopu­listen nicht zusammenar­beiten.

Wie blicken Sie heute auf Ihren früheren Saarbrücke­r Nachbarn Oskar Lafontaine?

MERZ Mit Nachsicht und an der einen oder anderen Stelle auch mit Kopfschütt­eln. Oskar Lafontaine und ich haben uns persönlich immer gut verstanden, politisch waren wir uns sehr selten einig. Das sind halt die Irrungen und Wirrungen des Oskar L. aus dem Saarland.

 ?? FOTO: BECKERBRED­EL ?? Friedrich Merz lebte in den 80er Jahren im Saarland. Heute ist er öfter noch bei seiner Schwiegerm­utter in Saarbrücke­n zu Besuch.
FOTO: BECKERBRED­EL Friedrich Merz lebte in den 80er Jahren im Saarland. Heute ist er öfter noch bei seiner Schwiegerm­utter in Saarbrücke­n zu Besuch.
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FOTO: BECKERBRED­EL Der CDU-Chef Friedrich Merz im Gespräch mit SZ-Chefredakt­eur Peter Stefan Herbst und SZ-Chefkorres­pondent Daniel Kirch (links).

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