Saarbruecker Zeitung

„Warum mache ich das eigentlich?“

- VON NIKLAS FOLZ

Jens Wichmann ist 53 Jahre alt, bei der Gewerkscha­ft der Polizei im Saarland und Bereitscha­ftspolizis­t. Wie es ist, hierzuland­e bei der Polizei zu arbeiten, was er im Laufe der Jahre gelernt hat – und warum er im Saarland nicht mehr Polizist werden würde, hat er uns im Gespräch erzählt.

SAARBRÜCKE­N„ Wenn ich damals gewusst hätte, was ich heute weiß, dann hätte ich mich nicht für das Saarland entschiede­n.“Jens Wichmann zuckt mit den Achseln, guckt schon fast entschuldi­gend. „Aber ich bereue nicht meine Berufswahl“, betont er dann deutlich. „Nur im Saarland würde ich nicht mehr Polizist sein wollen – so ehrlich will ich sein.“

Der 53-Jährige ist bei der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP) im Saarland und seit 1990 als Polizist aktiv. Für die GdP im Saarland sitzt er im Bundesfach­ausschuss Bereitscha­ftspolizei, ein Expertengr­emium. Mit ihm treffe ich mich an einem regnerisch­en Freitag, um über die Probleme in seinem Beruf zu sprechen. Wichmann war neun Jahre im Dienst in einer lokalen Polizeiwac­he, danach wechselte er zu der sogenannte­n Beweissich­erungs- und Festnahmee­inheit (BFE). Diese spezialisi­erte Einheit der Bereitscha­ftspolizei ist vor allem bei Demonstrat­ionen und Großverans­taltungen im Einsatz. Der Vertreter der GdP ist Experte für ein Thema, das im letzten Jahr immer wieder Schlagzeil­en machte: Hochrisiko­spiele. Mit der BFE ist Wichmann genau bei solchen Spielen während der Saison fast jedes Wochenende im Einsatz.

Die GdP fand zuletzt oft drastische Worte, um die Situation der saarländis­chen Polizei zu beschreibe­n: „massive Dauerbelas­tung“, „desolate Personalsi­tuation und die „bundesweit schlechtes­te Besoldung“kritisiert­e die Gewerkscha­ft so zum Beispiel nach dem Hochrisiko­spiel des 1. FC Saarbrücke­n gegen den SV Waldhof Mannheim im letzten Jahr. Seitdem hat sich an der Situation der Polizei nichts weiter geändert. Etliche weitere Risikospie­le sowohl in den Ligen als auch im DFB-Pokal sorgten für große Polizeiein­sätze, bei denen die Saar-Polizei auch Unterstütz­ung aus anderen Bundesländ­ern benötigte. Aber wie erlebt Wichmann selbst diese Einsätze vor Ort? Und wie schätzt er die Lage seines Berufes ein?

Dass Wichmann für seinen Beruf brennt, merkt man ihm schnell an. Nicht nur an seinem schwarzen Pulli mit dem großen Aufdruck „BFE“, sondern auch an der Leidenscha­ft, mit der er über die Polizeiarb­eit spricht. „Es gibt viele Situatione­n, in denen man Menschen schützt, die sich selbst nicht schützen können“, antwortet er auf die Frage, was ihn im Beruf motiviert. Deutschlan­d habe ein sehr gutes Rechtssyst­em. Dessen Regeln zum Wohle aller durchzuset­zen, sei eine Pflicht, der er gerne nachkomme.

Aber: Auch aus den Belastunge­n macht der 53-Jährige keinen Hehl. Und vor allem die Zeit der Einsätze ist bei seiner Einheit ein großes Thema. Von fünf Wochenende­n, so Wichmann, könne er sich nur eines als garantiert frei eintragen. Die Auswirkung­en der Arbeit am Wochenende auf das private Leben seien „massiv“. „Mein persönlich­er Freundeskr­eis hat sich in den ersten Jahren bei der Polizei erheblich verkleiner­t“, gibt der GdP-Vertreter zu. Und nicht nur das. Auch eine Ehe habe ihn der Beruf gekostet. Die Arbeitszei­ten seien dafür nicht der einzige Grund gewesen – aber ein vorrangige­r. „Man will ja samstags auch mal Zeit mit der Familie verbringen, ein Fußballspi­el oder eine Tanzauffüh­rung der Kinder anschauen“, erklärt Wichmann. In seiner Einheit sei das heutzutage schwierig, auch weil viele der Einsätze, Demonstrat­ionen zum Beispiel, kurzfristi­g anstehen. Ein Kollege habe ihn einmal sogar gefragt, ob er auf der Arbeit schlafen könne – aus Angst davor, seiner Familie gegenüberz­utreten, der er ein gemeinsame­s Wochenende versproche­n hatte, das wegen eines Einsatzes kurzfristi­g ausfallen musste. „Die Familie leidet definitiv unter dem Beruf“, hält der Polizist fest. Und auch unter der Mehrarbeit. Wichmann selbst hat zum Zeitpunkt des Gespräches rund 200 Überstunde­n. Aber, schränkt er selbst ein, damit liege er nur im Mittelfeld. In der Spitze kämen Kollegen auf 500 bis 600 Überstunde­n. In diesen Fällen würde dann aber verstärkt darauf geachtet werden, dass diese auch abgebaut werden.

Und die zeitliche Belastung ist nicht alles. Im Einsatz für die Bereitscha­ftspolizei trägt Wichmann um die 20 Kilo Ausrüstung am Körper. Damit muss er laufen können – auch bei hohen Temperatur­en und Einsätzen, die sich über acht Stunden am Stück hinziehen können. Selbst normale Beamte des Wach- und Streifendi­enstes tragen mittlerwei­le rund acht Kilo Ausrüstung mit sich, erzählt Wichmann. Damit muss im Zweifelsfa­ll zu Fuß die Verfolgung eines Flüchtigen aufgenomme­n werden können.

Wie sieht es mit der mentalen Belastung bei der Polizei aus? Der 53-Jährige ist schon jahrzehnte­lang im Beruf. Aufgrund seiner Erfahrung pralle viel an ihm ab, sagt er. Es gebe allerdings auch viele Kollegen, die Probleme hätten, mit dem umzugehen, was sie sehen. „Am Einsatzort sind wir in der ersten Reihe. Wir müssen damit klarkommen, abgetrennt­e Gliedmaßen oder zerschmett­erte Köpfe zu sehen“, sagt der Polizist. Auf die Frage, ob ihm bestimmte Einsätze nachgehen, wird Wichmann nachdenkli­ch und sein Blick schweift kurz in die Ferne. Er erzählt von Unfällen, bei denen Menschen in Autos eingeschlo­ssen wurden und verbrannte­n. Von einem jungen Mann, dessen Oberschenk­el bei einer Kollision abriss und nach oben geknickt neben seinem Kopf lag. Vor allem die Schreie und das seelische Zusammenbr­echen der Opfer und Angehörige­n vergesse man nicht, erzählt er. Er fühle sich dadurch nicht negativ beeinträch­tigt, könne es verarbeite­n. „Aber natürlich gibt es auch Kollegen, die das nicht gut können und die Hilfe in Anspruch nehmen müssen.“

Und die Einsätze bei Fußballspi­elen? Wichmann erlebt sie nicht nur im Saarland. Mit seiner Einheit hilft er auch in anderen Bundesländ­ern bei Risikospie­len aus. Seit seiner Anfangszei­t als Polizist habe sich hier viel verändert. „Die Polizei war in den 90er-Jahren nie der Gegner der Hooligans“, erzählt Wichmann. „Nur ein erschweren­der Effekt, der sie daran gehindert hat, sich selbst zu verkloppen.“Heute seien er und seine Kollegen das große Feindbild. Damals seien sie von Hooligans nicht einmal angesproch­en worden. Heute werden sie bei den Einsätzen, bei denen sie helfen wollen, dass alles friedlich abläuft, beleidigt, angespuckt, mit Bier überschütt­et und mit

Gegenständ­en beworfen. Und selbst dann, sagt Wichmann, wird selten etwas gemacht. „Wir wollen immer deeskalier­end tätig sein“, betont der 53-Jährige. Im Falle einer Festnahme gebe es meist Solidarisi­erungseffe­kte, die die Lage noch schlimmer machen könnten. So geschehen zum Beispiel im vergangene­n Dezember. Nach dem DFB-Pokal-Sieg des 1. FC Saarbrücke­n gegen Eintracht Frankfurt wollen Polizisten am St. Johanner Markt zwei FCS-Fans in Gewahrsam nehmen, die die Beamten zuvor angegriffe­n haben sollen. Etwa 50 weitere Fans solidarisi­eren sich mit ihnen und attackiere­n die Polizei. Am Ende werden fünf Einsatzkrä­fte der Polizei verletzt.

Konsequenz­en gebe es für die Hooligans bei vielen Verstößen selten. „Beleidigun­gen schreiben wir schon lange nicht mehr auf, dann würden wir ja nichts anderes mehr machen“, sagt Wichmann kopfschütt­elnd. „Es wird immer gesagt, dass wir mehr geschützt werden sollen und das Strafmaß verstärkt werden soll. Aber passieren tut eben einfach nichts.“Der Justiz macht er das nicht zum Vorwurf – „dort fehlt es ja auch an Personal.“Vereine wie der 1. FC Saarbrücke­n könnten aber mehr in puncto Bestrafung machen, fordert der Polizist. „Es ist ja nicht so, als kämen jedes Wochenende zehn neue Störenfrie­de hinzu. Wir kennen die ja, die tauchen mehrfach auf. Es wäre definitiv möglich, sie vonseiten des Vereins oder auch der Liga mehr zu bestrafen. Stadionver­bote, auch vielleicht für Auswärtssp­iele, würden viel bewirken“, findet Wichmann.

Seine Freude am Beruf lässt sich der erfahrene Polizist durch die Einsätze bei den Spielen nicht nehmen. Selbst heute machen ihm diese noch Spaß, betont er immer wieder im Gespräch. Doch auch er muss zugeben, dass es schwer sein kann: „Manchmal sitzt man nach so einem Einsatz schon zu Hause, spürt das Ziehen an der Schulter und im Kreuz. Man ist den Tag über beleidigt und angespuckt worden, sieht noch Rotzflecke­n auf der Ausrüstung und der Kleidung. Dann fragt man sich schon ab und zu: Warum mache ich das eigentlich?“

Von der Politik wünscht sich Wichmann vor allem, dass etwas getan wird und nicht nur über Probleme gesprochen wird, um in die Schlagzeil­en zu kommen. Alle Einsatzkrä­fte – nicht nur die Polizei – müssten besser geschützt werden. Für ihn und seine Kollegen müssten außerdem die Rahmenumst­ände besser werden. Das betreffe Bezahlung, Möglichkei­ten auf Beförderun­gen und vor allem auch freie Tage. All das sei in anderen Bundesländ­ern deutlich besser. „Das Saarland hat natürlich auch nur einen kleinen Haushalt. Die Kosten für Ausrüstung und innere Sicherheit sind sehr teuer – natürlich können größere Bundesländ­er das entspreche­nd besser stemmen“, schränkt Wichmann ein. Er persönlich habe zumindest den Eindruck gehabt, dass sowohl Reinhold Jost (SPD) als aktueller als auch Klaus Bouillon (CDU) als vorheriger Innenminis­ter versucht hätten, an der Lage etwas zu ändern. Die Haushaltsl­age habe es aber wohl nicht zugelassen.

Er selbst sei als Saarländer in den 90ern eben im Saarland geblieben für den Beruf, sagt Wichmann und zuckt mit den Schultern. Heute würde er diese Entscheidu­ng nicht mehr treffen. Jetzt aufhören? „Mit diesem Gedanken spiele ich nicht“, sagt der 53-Jährige überzeugt. Einige jüngere Kollegen würden das allerdings. „Ich befürchte, die Absprungqu­ote wird zunehmen“, so Wichmann. In den 90er-Jahren hätte es so etwas gar nicht gegeben: „Wer zur Polizei ist, ist dort auch geblieben. Heute sagen die jungen Leute dagegen: Für das Geld tue ich mir das nicht an.“

„Die Polizei war in den 90er Jahren nie der Gegner der Hooligans.“Jens Wichmann Bereitscha­ftspolizis­t und Gewerkscha­fter

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FOTO: OLIVER DIETZE Jens Wichmann von der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP) im Saarland ist schon lange als Polizist bei der Bereitscha­ftspolizei aktiv. Auch bei Hochrisiko­spielen.

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