„Warum mache ich das eigentlich?“
Jens Wichmann ist 53 Jahre alt, bei der Gewerkschaft der Polizei im Saarland und Bereitschaftspolizist. Wie es ist, hierzulande bei der Polizei zu arbeiten, was er im Laufe der Jahre gelernt hat – und warum er im Saarland nicht mehr Polizist werden würde, hat er uns im Gespräch erzählt.
SAARBRÜCKEN„ Wenn ich damals gewusst hätte, was ich heute weiß, dann hätte ich mich nicht für das Saarland entschieden.“Jens Wichmann zuckt mit den Achseln, guckt schon fast entschuldigend. „Aber ich bereue nicht meine Berufswahl“, betont er dann deutlich. „Nur im Saarland würde ich nicht mehr Polizist sein wollen – so ehrlich will ich sein.“
Der 53-Jährige ist bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP) im Saarland und seit 1990 als Polizist aktiv. Für die GdP im Saarland sitzt er im Bundesfachausschuss Bereitschaftspolizei, ein Expertengremium. Mit ihm treffe ich mich an einem regnerischen Freitag, um über die Probleme in seinem Beruf zu sprechen. Wichmann war neun Jahre im Dienst in einer lokalen Polizeiwache, danach wechselte er zu der sogenannten Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE). Diese spezialisierte Einheit der Bereitschaftspolizei ist vor allem bei Demonstrationen und Großveranstaltungen im Einsatz. Der Vertreter der GdP ist Experte für ein Thema, das im letzten Jahr immer wieder Schlagzeilen machte: Hochrisikospiele. Mit der BFE ist Wichmann genau bei solchen Spielen während der Saison fast jedes Wochenende im Einsatz.
Die GdP fand zuletzt oft drastische Worte, um die Situation der saarländischen Polizei zu beschreiben: „massive Dauerbelastung“, „desolate Personalsituation und die „bundesweit schlechteste Besoldung“kritisierte die Gewerkschaft so zum Beispiel nach dem Hochrisikospiel des 1. FC Saarbrücken gegen den SV Waldhof Mannheim im letzten Jahr. Seitdem hat sich an der Situation der Polizei nichts weiter geändert. Etliche weitere Risikospiele sowohl in den Ligen als auch im DFB-Pokal sorgten für große Polizeieinsätze, bei denen die Saar-Polizei auch Unterstützung aus anderen Bundesländern benötigte. Aber wie erlebt Wichmann selbst diese Einsätze vor Ort? Und wie schätzt er die Lage seines Berufes ein?
Dass Wichmann für seinen Beruf brennt, merkt man ihm schnell an. Nicht nur an seinem schwarzen Pulli mit dem großen Aufdruck „BFE“, sondern auch an der Leidenschaft, mit der er über die Polizeiarbeit spricht. „Es gibt viele Situationen, in denen man Menschen schützt, die sich selbst nicht schützen können“, antwortet er auf die Frage, was ihn im Beruf motiviert. Deutschland habe ein sehr gutes Rechtssystem. Dessen Regeln zum Wohle aller durchzusetzen, sei eine Pflicht, der er gerne nachkomme.
Aber: Auch aus den Belastungen macht der 53-Jährige keinen Hehl. Und vor allem die Zeit der Einsätze ist bei seiner Einheit ein großes Thema. Von fünf Wochenenden, so Wichmann, könne er sich nur eines als garantiert frei eintragen. Die Auswirkungen der Arbeit am Wochenende auf das private Leben seien „massiv“. „Mein persönlicher Freundeskreis hat sich in den ersten Jahren bei der Polizei erheblich verkleinert“, gibt der GdP-Vertreter zu. Und nicht nur das. Auch eine Ehe habe ihn der Beruf gekostet. Die Arbeitszeiten seien dafür nicht der einzige Grund gewesen – aber ein vorrangiger. „Man will ja samstags auch mal Zeit mit der Familie verbringen, ein Fußballspiel oder eine Tanzaufführung der Kinder anschauen“, erklärt Wichmann. In seiner Einheit sei das heutzutage schwierig, auch weil viele der Einsätze, Demonstrationen zum Beispiel, kurzfristig anstehen. Ein Kollege habe ihn einmal sogar gefragt, ob er auf der Arbeit schlafen könne – aus Angst davor, seiner Familie gegenüberzutreten, der er ein gemeinsames Wochenende versprochen hatte, das wegen eines Einsatzes kurzfristig ausfallen musste. „Die Familie leidet definitiv unter dem Beruf“, hält der Polizist fest. Und auch unter der Mehrarbeit. Wichmann selbst hat zum Zeitpunkt des Gespräches rund 200 Überstunden. Aber, schränkt er selbst ein, damit liege er nur im Mittelfeld. In der Spitze kämen Kollegen auf 500 bis 600 Überstunden. In diesen Fällen würde dann aber verstärkt darauf geachtet werden, dass diese auch abgebaut werden.
Und die zeitliche Belastung ist nicht alles. Im Einsatz für die Bereitschaftspolizei trägt Wichmann um die 20 Kilo Ausrüstung am Körper. Damit muss er laufen können – auch bei hohen Temperaturen und Einsätzen, die sich über acht Stunden am Stück hinziehen können. Selbst normale Beamte des Wach- und Streifendienstes tragen mittlerweile rund acht Kilo Ausrüstung mit sich, erzählt Wichmann. Damit muss im Zweifelsfall zu Fuß die Verfolgung eines Flüchtigen aufgenommen werden können.
Wie sieht es mit der mentalen Belastung bei der Polizei aus? Der 53-Jährige ist schon jahrzehntelang im Beruf. Aufgrund seiner Erfahrung pralle viel an ihm ab, sagt er. Es gebe allerdings auch viele Kollegen, die Probleme hätten, mit dem umzugehen, was sie sehen. „Am Einsatzort sind wir in der ersten Reihe. Wir müssen damit klarkommen, abgetrennte Gliedmaßen oder zerschmetterte Köpfe zu sehen“, sagt der Polizist. Auf die Frage, ob ihm bestimmte Einsätze nachgehen, wird Wichmann nachdenklich und sein Blick schweift kurz in die Ferne. Er erzählt von Unfällen, bei denen Menschen in Autos eingeschlossen wurden und verbrannten. Von einem jungen Mann, dessen Oberschenkel bei einer Kollision abriss und nach oben geknickt neben seinem Kopf lag. Vor allem die Schreie und das seelische Zusammenbrechen der Opfer und Angehörigen vergesse man nicht, erzählt er. Er fühle sich dadurch nicht negativ beeinträchtigt, könne es verarbeiten. „Aber natürlich gibt es auch Kollegen, die das nicht gut können und die Hilfe in Anspruch nehmen müssen.“
Und die Einsätze bei Fußballspielen? Wichmann erlebt sie nicht nur im Saarland. Mit seiner Einheit hilft er auch in anderen Bundesländern bei Risikospielen aus. Seit seiner Anfangszeit als Polizist habe sich hier viel verändert. „Die Polizei war in den 90er-Jahren nie der Gegner der Hooligans“, erzählt Wichmann. „Nur ein erschwerender Effekt, der sie daran gehindert hat, sich selbst zu verkloppen.“Heute seien er und seine Kollegen das große Feindbild. Damals seien sie von Hooligans nicht einmal angesprochen worden. Heute werden sie bei den Einsätzen, bei denen sie helfen wollen, dass alles friedlich abläuft, beleidigt, angespuckt, mit Bier überschüttet und mit
Gegenständen beworfen. Und selbst dann, sagt Wichmann, wird selten etwas gemacht. „Wir wollen immer deeskalierend tätig sein“, betont der 53-Jährige. Im Falle einer Festnahme gebe es meist Solidarisierungseffekte, die die Lage noch schlimmer machen könnten. So geschehen zum Beispiel im vergangenen Dezember. Nach dem DFB-Pokal-Sieg des 1. FC Saarbrücken gegen Eintracht Frankfurt wollen Polizisten am St. Johanner Markt zwei FCS-Fans in Gewahrsam nehmen, die die Beamten zuvor angegriffen haben sollen. Etwa 50 weitere Fans solidarisieren sich mit ihnen und attackieren die Polizei. Am Ende werden fünf Einsatzkräfte der Polizei verletzt.
Konsequenzen gebe es für die Hooligans bei vielen Verstößen selten. „Beleidigungen schreiben wir schon lange nicht mehr auf, dann würden wir ja nichts anderes mehr machen“, sagt Wichmann kopfschüttelnd. „Es wird immer gesagt, dass wir mehr geschützt werden sollen und das Strafmaß verstärkt werden soll. Aber passieren tut eben einfach nichts.“Der Justiz macht er das nicht zum Vorwurf – „dort fehlt es ja auch an Personal.“Vereine wie der 1. FC Saarbrücken könnten aber mehr in puncto Bestrafung machen, fordert der Polizist. „Es ist ja nicht so, als kämen jedes Wochenende zehn neue Störenfriede hinzu. Wir kennen die ja, die tauchen mehrfach auf. Es wäre definitiv möglich, sie vonseiten des Vereins oder auch der Liga mehr zu bestrafen. Stadionverbote, auch vielleicht für Auswärtsspiele, würden viel bewirken“, findet Wichmann.
Seine Freude am Beruf lässt sich der erfahrene Polizist durch die Einsätze bei den Spielen nicht nehmen. Selbst heute machen ihm diese noch Spaß, betont er immer wieder im Gespräch. Doch auch er muss zugeben, dass es schwer sein kann: „Manchmal sitzt man nach so einem Einsatz schon zu Hause, spürt das Ziehen an der Schulter und im Kreuz. Man ist den Tag über beleidigt und angespuckt worden, sieht noch Rotzflecken auf der Ausrüstung und der Kleidung. Dann fragt man sich schon ab und zu: Warum mache ich das eigentlich?“
Von der Politik wünscht sich Wichmann vor allem, dass etwas getan wird und nicht nur über Probleme gesprochen wird, um in die Schlagzeilen zu kommen. Alle Einsatzkräfte – nicht nur die Polizei – müssten besser geschützt werden. Für ihn und seine Kollegen müssten außerdem die Rahmenumstände besser werden. Das betreffe Bezahlung, Möglichkeiten auf Beförderungen und vor allem auch freie Tage. All das sei in anderen Bundesländern deutlich besser. „Das Saarland hat natürlich auch nur einen kleinen Haushalt. Die Kosten für Ausrüstung und innere Sicherheit sind sehr teuer – natürlich können größere Bundesländer das entsprechend besser stemmen“, schränkt Wichmann ein. Er persönlich habe zumindest den Eindruck gehabt, dass sowohl Reinhold Jost (SPD) als aktueller als auch Klaus Bouillon (CDU) als vorheriger Innenminister versucht hätten, an der Lage etwas zu ändern. Die Haushaltslage habe es aber wohl nicht zugelassen.
Er selbst sei als Saarländer in den 90ern eben im Saarland geblieben für den Beruf, sagt Wichmann und zuckt mit den Schultern. Heute würde er diese Entscheidung nicht mehr treffen. Jetzt aufhören? „Mit diesem Gedanken spiele ich nicht“, sagt der 53-Jährige überzeugt. Einige jüngere Kollegen würden das allerdings. „Ich befürchte, die Absprungquote wird zunehmen“, so Wichmann. In den 90er-Jahren hätte es so etwas gar nicht gegeben: „Wer zur Polizei ist, ist dort auch geblieben. Heute sagen die jungen Leute dagegen: Für das Geld tue ich mir das nicht an.“
„Die Polizei war in den 90er Jahren nie der Gegner der Hooligans.“Jens Wichmann Bereitschaftspolizist und Gewerkschafter