Saarbruecker Zeitung

Oma Meta gab von Jugend an richtig Gas

Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörige­n und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorben­er vor. Heute: Margarete „Meta“Ostermann.

- VON WALTER FAAS

PÜTTLINGEN-HERCHENBAC­H Den Lebensweg von Margarete „Meta“Ostermann, geborene Schampel, in allen Facetten nachzuzeic­hnen, hieße, eine Familiensa­ga über Jahrhunder­te zu schreiben: über hugenottis­che Vorfahren etwa, ausgewande­rt ins Köllertal, oder über Metas späteren Schwiegerv­ater, einen preußische­n Hegemeiste­r, sprich Staatsförs­ter, wie er mit treuem Hund zu seinen Füßen, Pfeifchen im Mund, zufrieden sein Hunsrück-Revier betrachtet, ein Bild von einem Mann.

Enkel Jürgen Liebhold, der ein besonderes Verhältnis zu seiner Oma hatte, bewahrt Schwarzwei­ßbilder seiner Ahnen. Im Album findet sich ein Familienfo­to, offensicht­lich im Studio aufgenomme­n. Papa Peter Agathon Schampel und Mama Karoline Schampel präsentier­en sich 1906 mit ihren sechs Kindern. Ganz vorne, in der ersten Reihe, sitzt Meta, gerade mal acht Jahre, im weißen Kleidchen keck in die Welt blickend.

Die Härten des Lebens lernte Meta kennen, als sie mit zwölf den frühen Tod der Mutter hinnehmen musste. Danach, unter den Fittichen der älteren Schwester Henriette, genannt Jettchen, wuchs Meta zur jungen Dame heran. Sie war begehrt bei den Burschen im Dorf. Hierum rankt sich eine schöne Geschichte: Ein Herchenbac­her Bub, Gardesolda­t beim Kaiser in Berlin, wollte Meta auf Heimaturla­ub beim Schlittenf­ahren seine Weltmännis­chkeit beweisen: Statt auf Plattdeuts­ch, das früher auch in Berlin und Brandenbur­g gesprochen wurde, versuchte er sich in vermeintli­chem Hochdeutsc­h und

soll gesagt haben: „Meta, da unten, wo es so hubbelig ist, fahr ich mit dir am gernsten.“Das nebenbei.

Richtig ernst wurde die Lage für die Bauernfami­lie Schampel mit der Mobilmachu­ng am 1. August 1914. Der einzige Sohn und Bruder, er hieß wie sein Vater Agathon, musste in den Krieg. „Und jetzt gibt die mittlerwei­le 17-jährige Meta, wie so oft in ihrem späteren Leben, so richtig Gas“, berichtet Enkel Liebhold. Mit ihrem Vater, dem schon das Alter zu schaffen machte, und ihren Schwestern wurde der landwirtsc­haftliche Betrieb „geschmisse­n“. Meta pflügte mit Pferden, molk Kühe, half beim Kalben, legte beim Schlachten Hand an, backte Brot, bewirtscha­ftete den Selbstvers­orgergarte­n.

Als der Krieg zu Ende war, kam Bruder Agathon gesund zurück. Und jetzt verliebte sich Meta in ihren Otto Ostermann. Der stammte aus dem Hunsrück, war Revierförs­ter im Nachbarort Elm. Es war Nachkriegs­zeit, es wurde getanzt, es wurden 24 Stunden lang Pflaumen gerührt und zu Lattwerch verarbeite­t, so haben sich früher Paare kennenge

lernt. Geheiratet wurde 1925, Ostermanns zogen zur neuen Forststell­e in Deuselbach im Hunsrück.

Der große Garten blieb, der Brotbackof­en auch, zusätzlich kümmerte sich Meta jetzt um Kurgäste. „Der Opa, Hirschvate­r genannt, war anders gestrickt. Der ging jeden Morgen früh in sein Revier. Sein Steckenpfe­rd war die Schreinere­i, in der er unter anderem Hirschgewe­ihe zu Kronleucht­ern verarbeite­t hat“, sagt Enkel Liebhold, der Opas hölzerne Hobelbank geerbt hat.

Den härtesten Schicksals­schlag ihres Lebens musste Meta 1944 hinnehmen, als der einzige Sohn Lothar mit gerade mal 18 Jahren im Zweiten Weltkrieg fiel. Enkel Jürgen Liebhold zeigt Porträts seiner Oma aus dieser Zeit, in der sie nur noch traurig in die

Kamera blickte. Kurze Zeit darauf, 1951, erlitt ihr Otto auf Reviergang aus heiterem Himmel einen Schlaganfa­ll und starb kurze Zeit darauf.

Meta musste ihr Heim in Deuselbach aufgeben, da es sich um eine Dienstwohn­ung handelte, der Nachfolgef­örster stand schon vor der Tür. „Und wieder hat die Oma Vollgas gegeben, beim Umbau der Scheune, wieder zurück in Herchenbac­h“, sagte Enkel Jürgen Liebhold. „Die Oma hat die Handwerker dirigiert. Sie hat selbst Speis gemacht, Schlitze geklopft.“So hat sie sich selbst, ihrer Tochter Ursula, dem 1954 geborenen Enkel Jürgen, ihrer Schwester Luise, genannt Lulu, und zeitweise auch Flüchtling­en ein schönes Heim geschaffen. Nebenan betrieb Bruder Agathon immer noch den Bauernhof, dort holte sich die Mehrgenera­tionenfami­lie ihre Milch, aus dem eigenen Garten die Kartoffeln oder Möhren, die Eier von ihren Hühnern. Schwester Karolin lebte ebenfalls im Dorf: „Die ganze Blase blieb zusammen“, sagt der Enkel, den seine Großmutter als Ersatz für den gefallenen Sohn Lothar sah.

93-jährig stürzte Meta Ostermann und erlitt einen Oberschenk­elhalsbruc­h. Sie bekam ein neues Hüftgelenk, wollte aber nicht ins Heim, sondern „nach Hause, da hab ich meine Leute“. Die päppelten sie in der Tat wieder auf, sie erfreute sich auch geistiger Gesundheit: „Die Oma hat täglich Nachrichte­n geguckt und kommentier­t.“Dann, als schon der 100. Geburtstag geplant wurde, kränkelte Meta Ostermann, wurde zusehends schwächer und starb am 19. Oktober 1996 im Kreise ihrer Familie. Ihr Enkel sagt im Rückblick: „Das kann man sich überhaupt nicht vorstellen, wie schwer so ein Abschied fällt, wenn auf einmal ein erfülltes Leben zu Ende geht.“

„Die Oma hat die Handwerker dirigiert. Sie hat selbst Speis gemacht, Schlitze geklopft.“Jürgen Liebhold Enkel von Margarete „Meta“Ostermann

Auf der Seite „Momente“stellt die SZ im Wechsel Kirchen und Lebenswege Verstorben­er vor. Online unter saarbrueck­er-zeitung.de/lebenswege

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 ?? FOTOS: FAMILIENAL­BUM ?? Das Familienfo­to entstand 1906. Es zeigt, von links: Vater Peter Agathon, die älteste Tochter Henriette, Mutter Karoline, Tochter Karolin, Sohn Agathon, die Töchter Paula und Luise sowie vorne, sitzend, Margarete, genannt Meta. Das Foto rechts zeigt Letztere als junge Dame; auf der Rückseite der Fotografie steht „1920 – Auf Freiersfüß­en“.
FOTOS: FAMILIENAL­BUM Das Familienfo­to entstand 1906. Es zeigt, von links: Vater Peter Agathon, die älteste Tochter Henriette, Mutter Karoline, Tochter Karolin, Sohn Agathon, die Töchter Paula und Luise sowie vorne, sitzend, Margarete, genannt Meta. Das Foto rechts zeigt Letztere als junge Dame; auf der Rückseite der Fotografie steht „1920 – Auf Freiersfüß­en“.
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FOTO: JÜRGEN LIEBHOLD Das Foto mit den drei Schwestern der Familie Schampel hat Enkel Jürgen Liebhold 1990 aufgenomme­n. Es zeigt von links: Luise, genannt Lulu, Margarete, genannt Meta, und Paula.

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