Der Campus als Wohlfühl- und Entdeckungsort
An der Saarbrücker Uni wird nicht nur gelehrt und gelernt und geforscht. Man verbringt dort auch Lebenszeit. Wie viel Wohlfühlpotenzial bietet der Campus im Stadtwald? Das hängt davon ab, was man dort sucht. Wir haben uns zu einer kleinen Spurensuche aufgemacht, die nicht den Anspruch erhebt, mehr als eine Momentaufnahme zu sein.
SAARBRÜCKEN Ein Mittwoch im Mai: Uni-Alltag. Schon kurz nach neun suchen auf dem Campus die ersten vergeblich eine Abstellnische für ihr Auto. Einer der größten Parkplätze, gleich vorm Audimax, heißt „Französischer Platz“. Eine Farce: Jeder weiß, dass Französischer Platz Freiflächen, Cafés, Bäume, Lebenskultur meint – das Gegenteil von Blechwüste also.
Wenn es heute um das Visionieren von Lebensräumen geht, kokettiert jede Hochglanzbroschüre früher oder später mit dem Wort „Aufenthaltsqualität“. Wie viel davon hat der Saarbrücker Campus? Zwischen Audimax und Universitätsbibliothek (UB) – ihr gerade 70 Jahre alt gewordener, elfgeschossiger Bücherturm bleibt ein liebgewonnenes Wahrzeichen – hängt an einer Laterne ein Schild, das den Weg zum Philo-Café weist. Es sind keine 100 Meter von der UB aus.
Es lohne nicht, länger als bis halb vier aufzuhaben, sagt der Pächter. Mittags stünden sie zwar Schlange (persische Küche, alles frisch und vegetarisch oder vegan). Aber sonst? „Nein, es ist nicht mehr wie früher.“Früher hatte Amad das Philosophencafé im legendären, 116 Meter langen Gebäude C5 2, dem drittgrößten der Uni für die Fakultät mit der leider kleinsten Bedeutung. Seit 2017 stillgelegt, wird das Gebäude noch bis 2026 kernsaniert. Als der achtgeschossige Riegel gesperrt wurde, zog Amad mit dem Philo-Café ins Ex-Juristen-Café. Klein, aber lauschig, mit Terrasse und Blick auf den Tennis- und Beachvolleyball-Platz. Und auf zwei Großbaustellen: die Erweiterung des Hochschulsportzentrums und dahinter die des neuen Campus-Wohnheims.
Dass auf dem Campus alleine durch das Wohnheim, wie der Wissenschaftsminister orakelt, „mehr Leben in die Bude kommt“(O-Ton Jakob von Weizsäcker, SPD), mag man nicht so recht glauben. Wo sollten die 234 künftigen Wohnheimler abends hin? Muss die Campus-Belebung nicht eher von außen kommen? Ließe er sich nicht, weil schon heute täglich ab 17 Uhr frei zugänglich, als Stadtraum mit Aufenthaltsqualität etablieren? Dann könnte hier wohl auch abends eine Gastronomie überleben. Hat das
Canossa, damals eine Mischung aus Kneipe und Disko, bis in die 90er nicht gezeigt, wie man das macht?
Die AC-Wiese, ehemals der Exerzierplatz der Below'schen Kasernen, vor dem „Ausländer-Café“(politisch korrekt wird es längst nurmehr „ACCafé“genannt) wäre abends zwar wohl nicht unbedingt so belebt wie an diesem Maimorgen wegen des AStAFood-Festivals. Ein zweiter Staden würde das hier nicht. Aber vielleicht doch ein Wohlfühlort. Sein Potenzial ist die mit allen Sinnen zu spürende Melange hier aus Historischem und Heutigem. Aus anerkanntem Erkenntnisort und biografischem Aufbruchsort. Wenn man so will, ist die Uni die große Drehtür ins eigenständige Leben. Symbolisiert die SerraPlastik hinter dem Campus-Eingang nicht genau das? All das macht den Campus zu einem Ort, mit dem man sich als Student tendenziell gerne identifiziert: Viele Gleichaltrige. Ein bisschen wie Schule, nur eben weniger reglementiert und alle reifer und alles viel internationaler. Künftig, meinte kürzlich Uni-Präsident Ludger
Santen, würden Studierende Hochschulen auch nach ihrem Freizeitangebot und Spirit auswählen. Also auch nach der Aufenthaltsqualität.
Man sieht viele, die auf dem Campus zu Fuß unterwegs sind. Ob sie das heillose Flickwerk auf den Trottoirs und Straßen noch wahrnehmen? Weil die weitere Digitalisierung es erfordert, immer neue Gräben aufzureißen, wird das Campus-Boden-Tohuwabohu bleiben. Und die Bauzäune und Absperrungen auch. An einigen Gebäuden legt der Zahn der Zeit schon das Armierungsfleisch frei.
Weil Universitäten Denk- und Gesellschaftslabore sind, der Saarbrücker Uni jedoch der Ruf einer reichlich unpolitischen Hochschule anhängt, ist man fast dankbar, an einer Wand unweit der Großbaustelle C5 2 das zu lesen: „Seit dem 17.1.1, 24:00 Uhr, ist der Musiksaal besetzt. Schließt euch an.“In welchem November formierte sich hier Protest? Gegen was? Anruf bei Thilo Offergeld von der Arbeitsstelle Universitätsgeschichte: Im November 2009 besetzten Studenten im Zuge der Proteste gegen die Bologna-Reform – sie läutete damals die Verschulung der Hochschulen ein – drei Monate lang den Musiksaal. Die Konservierungskonsistenz des Campus erstaunt einen immer wieder. Wer heute an den Plakatwänden, dem vielleicht verlässlichsten Stimmungsbarometer politischer Bewegtheit, nach einschlägigen Zeichen fahndet, findet da nicht viel. Immerhin aber doch Mobilisierungsappelle zur Europawahl à la „Wähl nicht den Rückzug“oder „Wähl nicht dein Sofa“. Wahlenthaltung hilft nur den Rechtsextremisten.
Was auffällt, sind die vielen Plakate, die Studierenden psychosoziale Hilfe anbieten. Seit Corona ist die Nachfrage gestiegen und auch nach Pandemieende nicht mehr abgeflacht. Im Zentrum für internationale Studierende hängt eines (mit Verweis auf die psychotherapeutische Beratungsstelle des Studierendenwerks) gleich an der Tür („Have you ever been a place you're supposed to cherish, but all you can think about is home?“).
Ein Ort, den manche sehr schätzen, ist die Kapelle der KHG (Katholische Hochschulgemeinde), ein „Ort der
Stille“für jeden und jede. Dass die KHG dazu auch noch ein kleines Café betreibt (mit einem wunderhübschen Innenhof), gehört zu den typischen kleinen Entdeckungen, wie sie sich auf dem Campus machen lassen. Nicht zuletzt auch in den Gebäuden: Man hat da einige Augenweiden zu bieten. Sei es die Bibliothek der Naturwissenschaftlich-Technischen Fakultät (der Blick aus dem 3. Stock, wo die Präsenzbibliothek der Musikwissenschaft Asyl gefunden hat!) oder gleich nebenan das neue Hörsaalgebäude der Chemie mit seinem sehenswerten interaktiven Periodensystem an der Längswand. Oder aber man spaziert zurück in Richtung Französischer Platz, der von den ersten Uni-Neubauten der 50er und 60er im Stil englischer College-Anlagen eingefasst ist: Ob der Lesesaal der UB, ein zweiter Ort der Stille auf dem Campus. Ob das Foyer der 1954 fertiggestellten Philosophischen Fakultät (zehn Jahre vor ihrem derzeit kernsanierten, „größeren Bruderbau“). Oder der 1964 eingeweihte Vierflügelkomplex der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät mit dem 836 Plätze fassenden Audimax und dem umlaufenden, geradezu wohltuend verschwenderische Weite ausstrahlenden Foyer – neben der Mensa das bezwingendste Campus-Gebäude.
Eine Straße trennt die IT-Flaggschiffe der Universität vom eigentlichen Campus mit seinen drei topografischen Kern-Arealen – eines rund um den Französischen Platz und die Universitätsbibliothek, dazu der alte UniNukleus entlang der Below-Kasernen und außerdem die nach Norden hin konzentrierten Naturwissenschaften mit dem Physikturm als Landmarke. Unterhalb der Mensa, diesem sanierungsbedürftigen Brutalismus-Denkmal mit ungewisser Zukunft, ist über die Jahre baulich zur Linken wie zur Rechten die neue Innovationsachse entstanden. Neben der Informatik maßgeblich bestückt von außeruniversitären Einrichtungen (DFKI, INM, IZFP, CISPA). Verglichen mit dem übrigen Campus, wirkt das hier alles ziemlich clean, schmucklos, zweckgebunden. Sicher, der eine oder andere Bau ist mehr als reiner Funktionalismus. Und mit dem weitläufigen Platz vor den beiden Max-Planck-Instituten breitet sich auch mal ein weitläufiger, urbaner Platz aus. Aber warum musste der gleich komplett von Plattengrau erdrückt werden?
Es fällt auf, dass entlang dieser „Zukunftsallee“, wie man diesen Teil der Uni schon mal voller Ehrerbietung genannt hat, die Natur dann doch nicht mehr mithalten konnte: Wirklich gewachsene Strukturen sucht man hier vergebens. Genauso wie Plakat- oder Zettel-Ansammlungen, Inbegriffe eines vitalen, kulturgetriebenen Studentenlebens. Mag sein, dass die Aufenthaltsqualität in diesem Uni-Sektor – dem Klischee von Nerds entsprechend – eher im Inneren zu suchen ist: Entlang des Gebäudepotpourris aus einem halben Jahrhundert (beginnend mit dem Fraunhofer-Institut in den 70ern) bleibt sie für den Besucher jedenfalls unersichtlich. Was den Campus dafür seit Kurzem ein Stück weit belebt, sind die vielen, über das Grün verteilten neuen, bunten Sitzmöbel, wo sich inmitten teils parkartiger Ruhezonen abhängen lässt.
Wie aber schätzen die „Studis“selbst die Campus-Attraktivität ein? Stippvisite in der Studierendenvertretung: Der AStA-Vorsitzende Danny Meyer sagt, viele wünschten auch die „Erweiterung der Outdoor-Trainingsstationen“. Wie gewaltig das Bewegungsbedürfnis ist, zeigt die Warteliste für den Hochschulsport. Da stünden noch gut 1500 Leute drauf, so Meyer, der zwei weitere Mankos anspricht: Zum einen fehlen – kein Wunder ob der chronischen UniRaumnot – immer noch viel zu viele Zonen für studentische Arbeits- und Lerngruppen. Und zum anderen diejenigen auf dem Campus, die ihn am Laufen halten. Wenn man die Uni „als sozialen Raum“denke, meint Danny Meyer, gehöre daher auch die Rückkehr der ins Meerwiesertal ausgegliederten Verwaltung aufs Tapet.