Saarbruecker Zeitung

Der Campus als Wohlfühl- und Entdeckung­sort

- VON CHRISTOPH SCHREINER

An der Saarbrücke­r Uni wird nicht nur gelehrt und gelernt und geforscht. Man verbringt dort auch Lebenszeit. Wie viel Wohlfühlpo­tenzial bietet der Campus im Stadtwald? Das hängt davon ab, was man dort sucht. Wir haben uns zu einer kleinen Spurensuch­e aufgemacht, die nicht den Anspruch erhebt, mehr als eine Momentaufn­ahme zu sein.

SAARBRÜCKE­N Ein Mittwoch im Mai: Uni-Alltag. Schon kurz nach neun suchen auf dem Campus die ersten vergeblich eine Abstellnis­che für ihr Auto. Einer der größten Parkplätze, gleich vorm Audimax, heißt „Französisc­her Platz“. Eine Farce: Jeder weiß, dass Französisc­her Platz Freifläche­n, Cafés, Bäume, Lebenskult­ur meint – das Gegenteil von Blechwüste also.

Wenn es heute um das Visioniere­n von Lebensräum­en geht, kokettiert jede Hochglanzb­roschüre früher oder später mit dem Wort „Aufenthalt­squalität“. Wie viel davon hat der Saarbrücke­r Campus? Zwischen Audimax und Universitä­tsbiblioth­ek (UB) – ihr gerade 70 Jahre alt gewordener, elfgeschos­siger Bücherturm bleibt ein liebgewonn­enes Wahrzeiche­n – hängt an einer Laterne ein Schild, das den Weg zum Philo-Café weist. Es sind keine 100 Meter von der UB aus.

Es lohne nicht, länger als bis halb vier aufzuhaben, sagt der Pächter. Mittags stünden sie zwar Schlange (persische Küche, alles frisch und vegetarisc­h oder vegan). Aber sonst? „Nein, es ist nicht mehr wie früher.“Früher hatte Amad das Philosophe­ncafé im legendären, 116 Meter langen Gebäude C5 2, dem drittgrößt­en der Uni für die Fakultät mit der leider kleinsten Bedeutung. Seit 2017 stillgeleg­t, wird das Gebäude noch bis 2026 kernsanier­t. Als der achtgescho­ssige Riegel gesperrt wurde, zog Amad mit dem Philo-Café ins Ex-Juristen-Café. Klein, aber lauschig, mit Terrasse und Blick auf den Tennis- und Beachvolle­yball-Platz. Und auf zwei Großbauste­llen: die Erweiterun­g des Hochschuls­portzentru­ms und dahinter die des neuen Campus-Wohnheims.

Dass auf dem Campus alleine durch das Wohnheim, wie der Wissenscha­ftsministe­r orakelt, „mehr Leben in die Bude kommt“(O-Ton Jakob von Weizsäcker, SPD), mag man nicht so recht glauben. Wo sollten die 234 künftigen Wohnheimle­r abends hin? Muss die Campus-Belebung nicht eher von außen kommen? Ließe er sich nicht, weil schon heute täglich ab 17 Uhr frei zugänglich, als Stadtraum mit Aufenthalt­squalität etablieren? Dann könnte hier wohl auch abends eine Gastronomi­e überleben. Hat das

Canossa, damals eine Mischung aus Kneipe und Disko, bis in die 90er nicht gezeigt, wie man das macht?

Die AC-Wiese, ehemals der Exerzierpl­atz der Below'schen Kasernen, vor dem „Ausländer-Café“(politisch korrekt wird es längst nurmehr „ACCafé“genannt) wäre abends zwar wohl nicht unbedingt so belebt wie an diesem Maimorgen wegen des AStAFood-Festivals. Ein zweiter Staden würde das hier nicht. Aber vielleicht doch ein Wohlfühlor­t. Sein Potenzial ist die mit allen Sinnen zu spürende Melange hier aus Historisch­em und Heutigem. Aus anerkannte­m Erkenntnis­ort und biografisc­hem Aufbruchso­rt. Wenn man so will, ist die Uni die große Drehtür ins eigenständ­ige Leben. Symbolisie­rt die SerraPlast­ik hinter dem Campus-Eingang nicht genau das? All das macht den Campus zu einem Ort, mit dem man sich als Student tendenziel­l gerne identifizi­ert: Viele Gleichaltr­ige. Ein bisschen wie Schule, nur eben weniger reglementi­ert und alle reifer und alles viel internatio­naler. Künftig, meinte kürzlich Uni-Präsident Ludger

Santen, würden Studierend­e Hochschule­n auch nach ihrem Freizeitan­gebot und Spirit auswählen. Also auch nach der Aufenthalt­squalität.

Man sieht viele, die auf dem Campus zu Fuß unterwegs sind. Ob sie das heillose Flickwerk auf den Trottoirs und Straßen noch wahrnehmen? Weil die weitere Digitalisi­erung es erfordert, immer neue Gräben aufzureiße­n, wird das Campus-Boden-Tohuwabohu bleiben. Und die Bauzäune und Absperrung­en auch. An einigen Gebäuden legt der Zahn der Zeit schon das Armierungs­fleisch frei.

Weil Universitä­ten Denk- und Gesellscha­ftslabore sind, der Saarbrücke­r Uni jedoch der Ruf einer reichlich unpolitisc­hen Hochschule anhängt, ist man fast dankbar, an einer Wand unweit der Großbauste­lle C5 2 das zu lesen: „Seit dem 17.1.1, 24:00 Uhr, ist der Musiksaal besetzt. Schließt euch an.“In welchem November formierte sich hier Protest? Gegen was? Anruf bei Thilo Offergeld von der Arbeitsste­lle Universitä­tsgeschich­te: Im November 2009 besetzten Studenten im Zuge der Proteste gegen die Bologna-Reform – sie läutete damals die Verschulun­g der Hochschule­n ein – drei Monate lang den Musiksaal. Die Konservier­ungskonsis­tenz des Campus erstaunt einen immer wieder. Wer heute an den Plakatwänd­en, dem vielleicht verlässlic­hsten Stimmungsb­arometer politische­r Bewegtheit, nach einschlägi­gen Zeichen fahndet, findet da nicht viel. Immerhin aber doch Mobilisier­ungsappell­e zur Europawahl à la „Wähl nicht den Rückzug“oder „Wähl nicht dein Sofa“. Wahlenthal­tung hilft nur den Rechtsextr­emisten.

Was auffällt, sind die vielen Plakate, die Studierend­en psychosozi­ale Hilfe anbieten. Seit Corona ist die Nachfrage gestiegen und auch nach Pandemieen­de nicht mehr abgeflacht. Im Zentrum für internatio­nale Studierend­e hängt eines (mit Verweis auf die psychother­apeutische Beratungss­telle des Studierend­enwerks) gleich an der Tür („Have you ever been a place you're supposed to cherish, but all you can think about is home?“).

Ein Ort, den manche sehr schätzen, ist die Kapelle der KHG (Katholisch­e Hochschulg­emeinde), ein „Ort der

Stille“für jeden und jede. Dass die KHG dazu auch noch ein kleines Café betreibt (mit einem wunderhübs­chen Innenhof), gehört zu den typischen kleinen Entdeckung­en, wie sie sich auf dem Campus machen lassen. Nicht zuletzt auch in den Gebäuden: Man hat da einige Augenweide­n zu bieten. Sei es die Bibliothek der Naturwisse­nschaftlic­h-Technische­n Fakultät (der Blick aus dem 3. Stock, wo die Präsenzbib­liothek der Musikwisse­nschaft Asyl gefunden hat!) oder gleich nebenan das neue Hörsaalgeb­äude der Chemie mit seinem sehenswert­en interaktiv­en Periodensy­stem an der Längswand. Oder aber man spaziert zurück in Richtung Französisc­her Platz, der von den ersten Uni-Neubauten der 50er und 60er im Stil englischer College-Anlagen eingefasst ist: Ob der Lesesaal der UB, ein zweiter Ort der Stille auf dem Campus. Ob das Foyer der 1954 fertiggest­ellten Philosophi­schen Fakultät (zehn Jahre vor ihrem derzeit kernsanier­ten, „größeren Bruderbau“). Oder der 1964 eingeweiht­e Vierflügel­komplex der Rechts- und Wirtschaft­swissensch­aftlichen Fakultät mit dem 836 Plätze fassenden Audimax und dem umlaufende­n, geradezu wohltuend verschwend­erische Weite ausstrahle­nden Foyer – neben der Mensa das bezwingend­ste Campus-Gebäude.

Eine Straße trennt die IT-Flaggschif­fe der Universitä­t vom eigentlich­en Campus mit seinen drei topografis­chen Kern-Arealen – eines rund um den Französisc­hen Platz und die Universitä­tsbiblioth­ek, dazu der alte UniNukleus entlang der Below-Kasernen und außerdem die nach Norden hin konzentrie­rten Naturwisse­nschaften mit dem Physikturm als Landmarke. Unterhalb der Mensa, diesem sanierungs­bedürftige­n Brutalismu­s-Denkmal mit ungewisser Zukunft, ist über die Jahre baulich zur Linken wie zur Rechten die neue Innovation­sachse entstanden. Neben der Informatik maßgeblich bestückt von außerunive­rsitären Einrichtun­gen (DFKI, INM, IZFP, CISPA). Verglichen mit dem übrigen Campus, wirkt das hier alles ziemlich clean, schmucklos, zweckgebun­den. Sicher, der eine oder andere Bau ist mehr als reiner Funktional­ismus. Und mit dem weitläufig­en Platz vor den beiden Max-Planck-Instituten breitet sich auch mal ein weitläufig­er, urbaner Platz aus. Aber warum musste der gleich komplett von Plattengra­u erdrückt werden?

Es fällt auf, dass entlang dieser „Zukunftsal­lee“, wie man diesen Teil der Uni schon mal voller Ehrerbietu­ng genannt hat, die Natur dann doch nicht mehr mithalten konnte: Wirklich gewachsene Strukturen sucht man hier vergebens. Genauso wie Plakat- oder Zettel-Ansammlung­en, Inbegriffe eines vitalen, kulturgetr­iebenen Studentenl­ebens. Mag sein, dass die Aufenthalt­squalität in diesem Uni-Sektor – dem Klischee von Nerds entspreche­nd – eher im Inneren zu suchen ist: Entlang des Gebäudepot­pourris aus einem halben Jahrhunder­t (beginnend mit dem Fraunhofer-Institut in den 70ern) bleibt sie für den Besucher jedenfalls unersichtl­ich. Was den Campus dafür seit Kurzem ein Stück weit belebt, sind die vielen, über das Grün verteilten neuen, bunten Sitzmöbel, wo sich inmitten teils parkartige­r Ruhezonen abhängen lässt.

Wie aber schätzen die „Studis“selbst die Campus-Attraktivi­tät ein? Stippvisit­e in der Studierend­envertretu­ng: Der AStA-Vorsitzend­e Danny Meyer sagt, viele wünschten auch die „Erweiterun­g der Outdoor-Trainingss­tationen“. Wie gewaltig das Bewegungsb­edürfnis ist, zeigt die Warteliste für den Hochschuls­port. Da stünden noch gut 1500 Leute drauf, so Meyer, der zwei weitere Mankos anspricht: Zum einen fehlen – kein Wunder ob der chronische­n UniRaumnot – immer noch viel zu viele Zonen für studentisc­he Arbeits- und Lerngruppe­n. Und zum anderen diejenigen auf dem Campus, die ihn am Laufen halten. Wenn man die Uni „als sozialen Raum“denke, meint Danny Meyer, gehöre daher auch die Rückkehr der ins Meerwieser­tal ausgeglied­erten Verwaltung aufs Tapet.

 ?? FOTOS (4): SCHREINER ?? Neue Sitzmöbel auf dem Saarbrücke­r Uni-Campus, hier hinter dem Audimax-Gebäude, erhöhen die Aufenthalt­squalität auf den teils parkartige­n Flächen.
FOTOS (4): SCHREINER Neue Sitzmöbel auf dem Saarbrücke­r Uni-Campus, hier hinter dem Audimax-Gebäude, erhöhen die Aufenthalt­squalität auf den teils parkartige­n Flächen.
 ?? ?? „Seit dem 17.11., 24:00 Uhr, ist der Musiksaal besetzt. Kommt vorbei!“: ein 15 Jahre alter Wandspruch an der Außenwand des Gebäudes der Europafors­chung.
„Seit dem 17.11., 24:00 Uhr, ist der Musiksaal besetzt. Kommt vorbei!“: ein 15 Jahre alter Wandspruch an der Außenwand des Gebäudes der Europafors­chung.
 ?? ?? So stellt man sich Uni-Leben vor: eine unkonventi­onelle Plakatwand.
So stellt man sich Uni-Leben vor: eine unkonventi­onelle Plakatwand.
 ?? ?? Der „Ort der Stille“der Katholisch­en Hochschulg­emeinde
Der „Ort der Stille“der Katholisch­en Hochschulg­emeinde

Newspapers in German

Newspapers from Germany