Sächsische Zeitung (Bautzen- Bischofswerda)
Bewegender Abschied in Moskau. Tausende trauern um Nawalny
Die Sicherheitsbehörden schickten ein Großaufgebot zur Beisetzung von Putins Gegner - schritten aber nicht ein.
Unter der Anteilnahme Tausender Menschen ist am Freitag der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny auf dem Borissow-friedhof in Moskau beerdigt worden. Zuvor hatte eine kirchliche Trauerfeier stattgefunden, zu der im Innern der Kirche nur die nächsten Angehörigen und enge Freunde zugelassen waren.
Nawalnys Ehefrau Julia war nicht nach Moskau gereist, weil sie Gefahr lief, verhaftet und in ähnlichen Prozessen wie ihr Mann Alexej zu Lagerhaft verurteilt zu werden. Julia Nawalnaja hat in mehreren Reden in den vergangenen Tagen aber angekündigt, sie werde den politischen Kampf ihres Mannes gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin fortsetzen.
Auf der Straße vor der Kirche warteten die Menschen in einer mehrere Kilometer langen Schlange, obwohl bis kurz vor der Zeremonie unklar war, ob überhaupt jemand in die Kirche gelassen würde.
Anhänger Nawalnys organisierten aber auch eine Live-übertragung der bewegenden Zeremonie auf Youtube, sodass Menschen in vielen Ländern am Bildschirm dabei sein konnten.
In dem Stadtteil hatte Nawalny 17 Jahre lang gewohnt. Er war eine Hochburg der Opposition, als im Winter 2011/12 eine Welle des Protestes gegen Putin dessen Macht kurzzeitig ins Wanken brachte. 2015 demonstrierten dort wieder Zehntausende im Gedenken an den Oppositionspolitiker Boris Nemzow, der in unmittelbarer Nähe des Kremls ermordet worden war. Die Hintermänner dieses Attentats sind bis heute nicht ermittelt worden.
Sprechchöre rufen „Nein zum Krieg“
Bereits lange vor der Zeremonie für Nawalny waren die Sicherheitsorgane am Freitag mit einem Großaufgebot vor Ort, sie hatten den Kirchenbereich mit Metallzäunen abgesperrt. Als die Fahrzeuge mit dem Sarg Nawalnys mittags vor dem Gotteshaus in einem Außenbezirk Moskaus ankamen, brandete Beifall auf. Es gab Sprechchöre: „Nawalny“, „Alexej“, „Keine Angst“, „Wir verzeihen nicht“, „Putin ist ein Mörder“, „Russland wird frei sein“.
Auch Rufe „Russland ohne Putin“und „Nein zum Krieg“waren rund um die Beerdigung zu hören. Es ist die Losung, mit der die Nawalny-anhänger aufgerufen hatten, zu den Präsidentenwahlen im März zu gehen. Zahlreiche Menschen sangen Kirchenlieder. Die Sicherheitsbehörden schritten nicht ein. Am Zaun warteten auch Diplomaten westlicher Staaten, unter ihnen sei der deutsche Botschafter Alexander Graf Lambsdorff, teilten die Anhänger Nawalnys auf Youtube mit.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte Putin für den Tod des Kremlgegners verantwortlich gemacht. „Auch ich gehe wie alle anderen davon aus, dass es das Regime war, das ihn getötet hat“, sagte der Spd-politiker Anfang der Woche in Berlin.
In der Moskauer Kirche war der Sarg nach russischer Tradition noch einmal geöffnet worden, wie ein Foto aus dem Inneren zeigte. Der Leichnam war mit roten und weißen Rosen geschmückt. Um den Katafalk hatte sich die Familie versammelt.
Menschenrechtsorganisationen hatten im Vorfeld vor den Risiken einer Teilnahme an der Trauerfeier gewarnt. Sie erinnerten daran, dass die Sicherheitsbehörden seit dem Tod Nawalnys Hunderte Menschen allein deshalb verhaftet hätten, weil sie in Gedenken an den Oppositionellen Blumen an den Denkmälern für die Opfer der Repressionen des Stalinismus niedergelegt hatten. Menschenrechtler rieten daher dazu, keine Fahnen, Fotos von Nawalny, Bänder oder Abzeichen mitzubringen, die in Russland verboten sind. Dazu gehört schon der Buchstabe N in einem Kreis, ein Symbol, das die russische Staatsmacht als „extremistisch“eingestuft hat. Das Tragen kann beim ersten Mal mit bis zu zwei Wochen
Haft bestraft werden, bei Wiederholung drohen bis zu vier Jahre Lager. Gewarnt wurde auch vor Provokationen vermeintlicher „Bürger“.
Schikanen gegen die Familie
Nawalny war offiziell am 16. Februar in dem berüchtigten Straflager Nr. 3 am Rande des Polarkreises gestorben. Seiner Mutter wurde neun Tage lang der Zugang zum Leichnam ihres Sohnes verweigert. Dann forderten die Behörden, sie solle ihren Sohn im Geheimen beerdigen. Ludmilla Nawalnaja weigerte sich jedoch.
Die Schikanen der Behörden gingen bis zur letzten Minute des Abschieds von Nawalny weiter. Die Angehörigen konnten keinen Saal mieten, in dem der Leichnam nach russischer Tradition aufgebahrt werden konnte.
Schwierigkeiten bereitete es auch, eine Kirche für die Trauerfeier und ein Beerdigungsinstitut zu finden. Offensichtlich sei von staatlicher Stelle massiver Druck ausgeübt worden, schrieb die oppositionelle Online-plattform „Meduza“.
Putin hatte am Vortrag in seiner mehr als zweistündigen Rede zur Lage der Nation den Tod seines wichtigsten Widersachers mit keinem Wort erwähnt. Zuvor schon hatte der russische Präsident es peinlich vermieden, auch nur den Namen „Nawalny“auszusprechen.