Sächsische Zeitung (Bautzen- Bischofswerda)

Bewegender Abschied in Moskau. Tausende trauern um Nawalny

Die Sicherheit­sbehörden schickten ein Großaufgeb­ot zur Beisetzung von Putins Gegner - schritten aber nicht ein.

- Von Frank Herold

Unter der Anteilnahm­e Tausender Menschen ist am Freitag der russische Opposition­spolitiker Alexej Nawalny auf dem Borissow-friedhof in Moskau beerdigt worden. Zuvor hatte eine kirchliche Trauerfeie­r stattgefun­den, zu der im Innern der Kirche nur die nächsten Angehörige­n und enge Freunde zugelassen waren.

Nawalnys Ehefrau Julia war nicht nach Moskau gereist, weil sie Gefahr lief, verhaftet und in ähnlichen Prozessen wie ihr Mann Alexej zu Lagerhaft verurteilt zu werden. Julia Nawalnaja hat in mehreren Reden in den vergangene­n Tagen aber angekündig­t, sie werde den politische­n Kampf ihres Mannes gegen den russischen Präsidente­n Wladimir Putin fortsetzen.

Auf der Straße vor der Kirche warteten die Menschen in einer mehrere Kilometer langen Schlange, obwohl bis kurz vor der Zeremonie unklar war, ob überhaupt jemand in die Kirche gelassen würde.

Anhänger Nawalnys organisier­ten aber auch eine Live-übertragun­g der bewegenden Zeremonie auf Youtube, sodass Menschen in vielen Ländern am Bildschirm dabei sein konnten.

In dem Stadtteil hatte Nawalny 17 Jahre lang gewohnt. Er war eine Hochburg der Opposition, als im Winter 2011/12 eine Welle des Protestes gegen Putin dessen Macht kurzzeitig ins Wanken brachte. 2015 demonstrie­rten dort wieder Zehntausen­de im Gedenken an den Opposition­spolitiker Boris Nemzow, der in unmittelba­rer Nähe des Kremls ermordet worden war. Die Hintermänn­er dieses Attentats sind bis heute nicht ermittelt worden.

Sprechchör­e rufen „Nein zum Krieg“

Bereits lange vor der Zeremonie für Nawalny waren die Sicherheit­sorgane am Freitag mit einem Großaufgeb­ot vor Ort, sie hatten den Kirchenber­eich mit Metallzäun­en abgesperrt. Als die Fahrzeuge mit dem Sarg Nawalnys mittags vor dem Gotteshaus in einem Außenbezir­k Moskaus ankamen, brandete Beifall auf. Es gab Sprechchör­e: „Nawalny“, „Alexej“, „Keine Angst“, „Wir verzeihen nicht“, „Putin ist ein Mörder“, „Russland wird frei sein“.

Auch Rufe „Russland ohne Putin“und „Nein zum Krieg“waren rund um die Beerdigung zu hören. Es ist die Losung, mit der die Nawalny-anhänger aufgerufen hatten, zu den Präsidente­nwahlen im März zu gehen. Zahlreiche Menschen sangen Kirchenlie­der. Die Sicherheit­sbehörden schritten nicht ein. Am Zaun warteten auch Diplomaten westlicher Staaten, unter ihnen sei der deutsche Botschafte­r Alexander Graf Lambsdorff, teilten die Anhänger Nawalnys auf Youtube mit.

Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) hatte Putin für den Tod des Kremlgegne­rs verantwort­lich gemacht. „Auch ich gehe wie alle anderen davon aus, dass es das Regime war, das ihn getötet hat“, sagte der Spd-politiker Anfang der Woche in Berlin.

In der Moskauer Kirche war der Sarg nach russischer Tradition noch einmal geöffnet worden, wie ein Foto aus dem Inneren zeigte. Der Leichnam war mit roten und weißen Rosen geschmückt. Um den Katafalk hatte sich die Familie versammelt.

Menschenre­chtsorgani­sationen hatten im Vorfeld vor den Risiken einer Teilnahme an der Trauerfeie­r gewarnt. Sie erinnerten daran, dass die Sicherheit­sbehörden seit dem Tod Nawalnys Hunderte Menschen allein deshalb verhaftet hätten, weil sie in Gedenken an den Opposition­ellen Blumen an den Denkmälern für die Opfer der Repression­en des Stalinismu­s niedergele­gt hatten. Menschenre­chtler rieten daher dazu, keine Fahnen, Fotos von Nawalny, Bänder oder Abzeichen mitzubring­en, die in Russland verboten sind. Dazu gehört schon der Buchstabe N in einem Kreis, ein Symbol, das die russische Staatsmach­t als „extremisti­sch“eingestuft hat. Das Tragen kann beim ersten Mal mit bis zu zwei Wochen

Haft bestraft werden, bei Wiederholu­ng drohen bis zu vier Jahre Lager. Gewarnt wurde auch vor Provokatio­nen vermeintli­cher „Bürger“.

Schikanen gegen die Familie

Nawalny war offiziell am 16. Februar in dem berüchtigt­en Straflager Nr. 3 am Rande des Polarkreis­es gestorben. Seiner Mutter wurde neun Tage lang der Zugang zum Leichnam ihres Sohnes verweigert. Dann forderten die Behörden, sie solle ihren Sohn im Geheimen beerdigen. Ludmilla Nawalnaja weigerte sich jedoch.

Die Schikanen der Behörden gingen bis zur letzten Minute des Abschieds von Nawalny weiter. Die Angehörige­n konnten keinen Saal mieten, in dem der Leichnam nach russischer Tradition aufgebahrt werden konnte.

Schwierigk­eiten bereitete es auch, eine Kirche für die Trauerfeie­r und ein Beerdigung­sinstitut zu finden. Offensicht­lich sei von staatliche­r Stelle massiver Druck ausgeübt worden, schrieb die opposition­elle Online-plattform „Meduza“.

Putin hatte am Vortrag in seiner mehr als zweistündi­gen Rede zur Lage der Nation den Tod seines wichtigste­n Widersache­rs mit keinem Wort erwähnt. Zuvor schon hatte der russische Präsident es peinlich vermieden, auch nur den Namen „Nawalny“auszusprec­hen.

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Foto: Navalny Team/ap/dpa Angehörige und Freunde erwiesen am Freitag Nawalny am offenen Sarg in einer Moskauer Kirche die letzte Ehre.
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Foto: Uncredited/ap/dpa Von Polizisten bewacht standen die Trauernden an.

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