Sächsische Zeitung (Bautzen- Bischofswerda)

„Viele Jugendlich­e denken, Cannabis sei schon legal“

Neben Alkohol konsumiere­n im Landkreis Bautzen immer mehr vor allem junge Menschen Cannabis. Suchtberat­erin Jana Stahn erklärt, wie sich das auswirkt und was sie von einer Legalisier­ung hält.

- Von David Berndt

Der Freistaat Sachsen hat jetzt seinen neuesten Drogen- und Suchtberic­ht vorgestell­t. Alkoholkon­sum wird darin als größtes Problem beschriebe­n. Dazu kommen Crystal, Cannabis und weitere illegale Drogen. Jana Stahn, Leiterin der Suchtkrank­enhilfe der Arbeiterwo­hlfahrt Bautzen, spricht im Interview über die Lage im Landkreis Bautzen, die Auswirkung­en des Konsums und eine mögliche Cannabis-legalisier­ung.

Frau Stahn, laut dem vierten sächsische­n Drogen- und Suchtberic­ht ist der Alkoholkon­sum das größte Problem im Freistaat. Wie sieht es im Landkreis Bautzen aus?

Das ist hier ganz genau so, wie die vergangene­n Jahre auch. Von unseren 906 Betroffene­n und Angehörige­n im Jahr 2023 ist die Hälfte mit oder wegen eines Alkoholpro­blems in unsere Beratungss­telle gekommen.

Warum ist der Alkoholkon­sum das größte Problem?

Alkohol ist eine legale Droge, verfügbar, preiswert, einfach zu bekommen, und der Konsum ist ein gesellscha­ftliches Phänomen. Alkohol kann am Anfang auch schon mal Probleme lösen.

Welche Probleme können das sein?

Allgemeine Sorgen, Probleme beim Einschlafe­n oder nach der Arbeit nicht so gut entspannen zu können. Diese Probleme kann Alkoholkon­sum vielleicht zu Beginn lösen, aber daraus kann sich ein größeres Problem entwickeln.

Ab wann ist Alkoholkon­sum ein Problem?

Wenn der Alkohol eine Funktion bekommt, also, wenn ich ihn brauche, um einschlafe­n zu können, um Probleme zu verdrängen, um nach der Arbeit runterzufa­hren. Aber auch, wenn andere Pflichten zum Teil oder komplett vernachläs­sigt werden. Und es wird problemati­sch, wenn Menschen immer mehr Alkohol brauchen, um dieselbe Wirkung zu erzielen wie zu Beginn.

2022 gab es weniger Alkohol-fälle bei Ihnen als im Vorjahr. 2023 sind es wieder mehr geworden. Warum gab es diesen zwischenze­itlichen Rückgang?

Ich denke, das hat noch ein bisschen was mit der Corona-pandemie zu tun. In dieser Zeit waren die Problemlag­en im sozialen Kontext, auf Arbeit, innerhalb der Familie oder mit Schulden alle sehr komplex. Da kamen nicht nur Betroffene mit Alkoholpro­blemen. Und bei vielen Klienten sind erstmal andere Probleme zu lösen, bevor sie mit einer Therapie beginnen oder einen Antrag dafür stellen. Auffällig waren die Probleme mit sozialen Kontakten.

Inwiefern?

Die sozialen Kontakte haben abgenommen oder es fällt den Menschen schwerer, sie aufzunehme­n, zu halten oder zu stabilisie­ren, nicht nur im Zusammenha­ng mit Alkoholpro­blemen. Junge Mädchen mit Essstörung­en zum Beispiel hatten immer nur über soziale Medien Kontakte gehalten und sich über Essen und Nicht-essen strukturie­rt. Und es fehlen vor allem die positiven sozialen Kontakte, die dabei helfen rauszugehe­n und was Tolles zu unternehme­n oder etwas zu schaffen.

Neben Alkohol ist auch der Konsum illegaler Drogen bei Ihren Klienten gestiegen. Welche sind das?

Hier in der Region geht es vor allem um Crystal. Das bewegt sich nach wie vor auf hohem Niveau, wenn auch über die vergangene­n Jahre gesehen leicht rückläufig. Die Problemati­k mit Cannabis nimmt seit zwei Jahren stark zu. Cannabis und Crystal bewegen sich mittlerwei­le auf demselben Niveau.

Wie stellt sich das dar?

Cannabis konsumiere­n derzeit die sehr jungen Jugendlich­en mit 15, 16 Jahren. Sie tun es eher gemeinsam in der Gruppe, um schöne Erlebnisse zu haben. Bei Crystal geht es eher darum, Nächte durchzumac­hen, zu feiern und lange wach zu sein.

Wie stehen Sie angesichts dessen zur geplanten Legalisier­ung von Cannabis in Deutschlan­d?

Wir merken bei Prävention­sprogramme­n in Schulen, dass es bei Jugendlich­en ein Thema ist. Viele von ihnen denken, Cannabis ist schon legal oder dass es durch diese

Debatte um die Legalisier­ung keine Droge mit schwerwieg­enden Folgen ist. Und das gibt uns zu denken, denn wie soll der Jugendschu­tz so gewährleis­tet werden? Das gelingt ja bei Nikotin, Alkohol und Co. auch nur bedingt.

Also sind Sie eher dagegen?

Das habe ich nicht gesagt. Es soll ja dazu dienen, zu entkrimina­lisieren und die Qualität von Cannabispr­odukten besser zu kontrollie­ren. Die Frage ist, ob damit wirklich der Schwarzmar­kt eingedämmt wird oder nicht. Dort bekommt man Cannabis mit sehr hohem Thc-gehalt im Gegensatz zu Cannabis im legalen Verkauf oder beim Anbau der erlaubten eigenen drei Pflanzen. Wir können nur gespannt sein, wie sich das entwickelt. Wichtig ist, dass bei einer Legalisier­ung gezielt Aufklärung und Prävention­sarbeit, insbesonde­re bei Minderjähr­igen, betrieben wird.

Warum?

Weil legal nicht bedeutet, dass es auch gut für mich ist. Das sehen wir ja beim Alkohol. Es macht etwas mit den Konsumente­n, es kann zur Abhängigke­it führen, die Gehirnfunk­tionen einschränk­en oder sich auf Lunge, Herz und Kreislauf legen. Aber das ist ja dann erst mal für viele Jugendlich­e nicht relevant.

In Ihrem Jahresberi­cht für 2023 steht auch, dass Ihre Klienten immer jünger

Jana Stahn ist Leiterin der Suchtkrank­enhilfe der Arbeiterwo­hlfahrt Bautzen. Sie sagt, Drogenkons­um beginnt oft schon mit 14, 15 Jahren.

werden. Wie jung sind sie denn?

Bei Jungs wie bei Mädchen beginnt es mit 14, 15 Jahren. Sie konsumiere­n oftmals nicht nur eine Droge, sondern gleichzeit­ig auch Medikament­e oder neben Cannabis eine zweite Droge. Dazu kommen noch Zigaretten oder E-zigaretten, und das alles zusammen stellt sich als sehr konfus dar. Die Frage ist, warum sie zu uns kommen. Aus eigener Motivation? Oder wurden sie von ihren Eltern oder von Psychother­apeuten geschickt? Dann müssen wir schauen, wen wir alles mit einbeziehe­n (müssen) und was das Ziel der Beratung sein soll. Ab dem Alter von 15 Jahren und mit entspreche­nder geistiger Reife können wir auch anonym beraten.

Laut dem Sächsische­n Drogenberi­cht ist im Freistaat nicht nur der Cannabisko­nsum, sondern auch die exzessive Mediennutz­ung gestiegen. Gilt das auch hier im Landkreis Bautzen?

Damit haben wir momentan noch eher selten zu tun. Wenn, dann kommen Eltern und sagen, ihre Kinder haben Probleme damit, oder sie bringen sie gleich mit, weil sie angeblich nur am Handy sitzen und spielen oder auf „Bereal“oder „Snapchat“unterwegs sind, weil sie meinen, sonst etwas zu verpassen.

Könnte Prävention nicht dafür sorgen, dass weniger Klienten zu Ihnen kommen?

Wir haben bei uns in der Beratungss­telle eine Fachstelle Suchtpräve­ntion angegliede­rt mit 30 Stunden pro Woche für den kompletten Landkreis Bautzen. Das ist viel zu wenig. Wir arbeiten mit Schulen und Unternehme­n zusammen, teils regelmäßig. Oder wir reagieren punktuell auf Anfragen. Mit 30 Stunden können wir aber kein großes Prävention­sprogramm aufstellen. Wir würden uns mehr Multiplika­toren wünschen. Das könnten beispielsw­eise Schulsozia­larbeiter sein, die vor Ort selbst präventiv arbeiten.

 ?? Foto: dpa ?? Immer mehr vor allem junge Menschen konsumiere­n auch im Landkreis Bautzen Cannabis.
Foto: dpa Immer mehr vor allem junge Menschen konsumiere­n auch im Landkreis Bautzen Cannabis.
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany