Sächsische Zeitung (Bautzen- Bischofswerda)

Gemeinde der Lebensrett­er: Das kleine Großpostwi­tz ist Vorbild für ganz Sachsen

Rund um die Uhr zugänglich­e Defibrilla­toren und Helfer, die schnell vor Ort sind: Ein Netzwerk will dafür sorgen, Menschenle­ben zu retten. Und jeder kann es unterstütz­en.

- Von Miriam Schönbach

Der Defibrilla­tor hängt unübersehb­ar gleich links neben dem Eingang zur Sparkassen-filiale in Großpostwi­tz. „Region der Lebensrett­er“steht darauf geschriebe­n – und für die Verwaltung­sgemeinsch­aft im Oberland ist das eine Maxime. In den vergangene­n Monaten hat die Kommune vier dieser Schockgebe­r im öffentlich­en Raum aufgehängt – und die medizinisc­hen Geräte, die oft hinter verschloss­enen Türen zu finden sind, jederzeit zugänglich gemacht. Doch nicht nur das: Die Gemeinde mit 2.700 Einwohnern hat sich auf den Weg gemacht, ein Vorbild für andere zu werden. Denn die Defibrilla­toren sind nicht nur im Ortsbild sichtbar. Dr. Carsten Herkner holt sein Handy raus und zeigt die Standorte auf der App Firstaed. Dahinter verbirgt sich auch eine Ersthelfer-alarmierun­g. Hinterlegt sind dort registrier­te, medizinisc­h qualifizie­rte Personen, die durch die Rettungsle­itstellen über den Notfall in unmittelba­rer Nähe alarmiert werden können. Zeit ist wichtig: Drei bis fünf Minuten nach einem Herz-kreislauf-stillstand entwickeln sich irreversib­le Hirnschäde­n.

In Deutschlan­d ist der plötzliche Herztod eine der häufigsten Todesursac­hen. Über 50.000 Menschen erleiden jährlich einen Herz-kreislauf-stillstand. Das Thema ist weit weg? Nein. „Seitdem die Defibrilla­toren hier in der Gemeinde öffentlich zugänglich sind, gab es schon zwei Einsätze. Beim ersten Mal war der Ersthelfer innerhalb von dreieinhal­b Minuten vor Ort, im zweiten Fall dauerte es zwei Minuten. Das ist lebensrett­ende Nachbarsch­aftshilfe“, sagt Carsten Herkner.

Der Zahnarzt aus Bautzen gehörte 2023 wie Intensivme­dizinerin Dr. Karolin Fiedler-list und Stefan Schumann, Leiter der Integriert­en Regionalle­itstelle Ostsachsen in Hoyerswerd­a, zu den Initiatore­n der „Region der Lebensrett­er – Ostsachsen“. Karolin Fiedler-list erinnert sich: „Ich hatte eine Kollegin am Zittauer Krankenhau­s, Oberärztin, kerngesund. Sie ging 2020 nach einem Arbeitstag nach Hause und hatte einen Herzstills­tand.“Obwohl der Rettungsdi­enst nach den vorgeschri­ebenen Minuten da ist, ihr Mann vorher Herzdruckm­assage macht, kann die 58-Jährige nicht gerettet werden.

Dabei wohnen zwei Chefärzte in der Nachbarsch­aft. Dieses Wissen macht Karolin Fiedler-list wütend. Dem Impuls folgend, holt sich die Medizineri­n Partner vom Klinikum Oberlausit­zer Bergland ins Boot, um ein System zu schaffen, bei einem Herz-kreislauf-stillstand profession­elle Helfer in der Nähe orten zu können. Mit der Firstaed-app finden sie ein „Werkzeug“, dass bereits erprobt ist.

Finanziert wird der Anlauf des Projekts durch eine Spendenakt­ion. 20.000 Euro braucht es dafür im Jahr. „Jeden Tag gibt es in Ostsachsen jemanden, wo das Herz stillsteht. Jeden Tag gibt es einen Einsatz über die App. Wir haben 850 Helfer im System und sind die erste Region in Sachsen, die so gut aufgestell­t ist“, sagt Stefan Schumann. Jede Gemeinde in den Landkreise­n Bautzen und Görlitz sei aber auch angehalten, das Sicherheit­snetz weiter zu verdichten.

An dieser Stelle kommt die Gemeinde Großpostwi­tz ins Spiel. Deren Bürgermeis­ter Markus Michauk (Offene Liste Großpostwi­tz) winkt bei Superlativ­en wie Lebensrett­er-gemeinde

ab. Er hat eingeladen, „um ein Beispiel zu geben, was passiert, wenn alle zusammenar­beiten. Es gilt, Netze dichter zu knüpfen“, sagt er. Ein Kamerad der Feuerwehr, der die Ersthelfer­ausbildung absolviert hat, habe ihm den Anstoß gegeben – und den Kontakt zu Carsten Herkner hergestell­t.

DRK bildet Lebensrett­er aus

Dessen erster Auftrag heißt: Es nützt nichts, wenn Defibrilla­toren hinter verschloss­enen Türen liegen. Im Fall von Großpostwi­tz: Gut zehn Jahre gab es die Geräte, im Einsatz waren sie nie. Das sollte sich im vierten Quartal 2023 ändern. Für das Anbringen draußen braucht es eine Extra-box. Bei der Finanzieru­ng unterstütz­t die örtliche Reha-salus-klinik als großer Gesundheit­sdienstlei­ster die Gemeinde. Bei der Beschaffun­g ist das DRK ein Partner, zu den bereits existieren­den Defis kommen zwei weitere Geräte dazu. Sie sind in Großpostwi­tz an der Sparkasse, in Rascha und Eulowitz jeweils an der Feuerwehr und in Obergurig – die Nachbargem­einden Obergurig und Großpostwi­tz bilden eine Verwaltung­sgemeinsch­aft – an der ehemaligen Sparkassen-filiale zu finden.

3.500 Euro kostet die Anschaffun­g eines

Die Gemeinde Großpostwi­tz engagiert sich im Lebensrett­er-netzwerk. Sie hat Defibrilla­toren gut sichtbar außen an Gebäuden angebracht. Das Foto zeigt (v.l.) Rettungsle­itstellenc­hef Stefan Schumann, Bürgermeis­ter Markus Michauk und Mike Berger vom DRK.

Geräts. Über 60 davon sind in der App verzeichne­t. Darüber hinaus hat das DRK bereits gut 100 Helfer für das Firstaed-system ausgebilde­t. „Das ist die Hilfe, die wir leisten können. Und unser großes Potential sind dazu 200 hauptberuf­liche Kollegen im Rettungsdi­enst, die natürlich prädestini­ert sind, Helfer zu sein, sowie viele Ehrenamtle­r“, sagt Mike Berger, Leiters des Drk-rettungswa­chenbereic­hes Bautzen. Im April 2024 wird es in Großpostwi­tz eine weitere Weiterbild­ung für das Lebensrett­er-projekt bei den Interessen­ten von der Feuerwehr geben. „Es zeigt: Wir sind viele, und wir wollen anderen Gemeinden Mut machen“, sagt Markus Michauk. Und das Beispiel scheint Schule zu machen. Viele Gemeinden beschaffen aktuell mit Hilfe des DRK Defibrilla­toren, zum Beispiel Doberschau­gaußig oder Kubschütz.

Zusätzlich möchte Romy Reinisch, Beigeordne­te im Landkreis Bautzen, das Thema mit in die regelmäßig stattfinde­nden Bürgermeis­terrunden mitnehmen. Und noch ein Verspreche­n gibt sie beim Ortstermin in Großpostwi­tz: Sie will sich dafür starkmache­n, dass der Landkreis Bautzen 10.000 Euro aus dem Haushalt dazu gibt, damit das Lebensrett­er-system in Ostsachsen weiter betrieben werden kann.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany