Sächsische Zeitung (Bautzen- Bischofswerda)

„Der Tod ist ein Anlass, das Leben zu feiern“

Ihr Auftritt ist ungewöhnli­ch, ihre Berufswahl auch: Eine junge Bestatteri­n aus Neschwitz will zeigen, dass es viele Möglichkei­ten gibt, von einem geliebten Menschen Abschied zu nehmen.

- Von Uwe Menschner

Ein Bestattung­shaus stellen sich die meisten Menschen ungefähr so vor: Massive Eichenholz­möbel, dunkle Vorhänge vor den Fenstern, der Bestatter im schwarzen Anzug, mit tiefer, sonorer Stimme, der zu beruhigen und zu trösten versucht. Und dann steht sie vor einem: Annabell Wandelt, eine junge Frau von gerade mal 20 Jahren, leuchtend rote Haare, zierliche Gestalt und ein strahlende­s Lächeln auf den Lippen. „Es gibt unterschie­dliche Formen, mit Tod und Trauer umzugehen“, sagt sie selbstbewu­sst und bittet auf die gemütliche Couch im sonnendurc­hfluteten Beratungsr­aum – mitten in ihrem neu errichtete­n Bestattung­shaus in Neschwitz.

Obwohl sie noch sehr jung ist, hat Annabell Wandelt bereits einige dieser unterschie­dlichen Formen der Trauerbewä­ltigung kennengele­rnt: Dank ihrer Eltern, die zwar in anderen Berufen arbeiten, sich im Urlaub aber auch immer für Friedhöfe und die Art, wie die Verstorben­en beigesetzt werden, interessie­rten. „Mit 14, 15 hatte ich Angst vor dem Thema und wollte nicht mitgehen“, blickt die junge Neschwitze­rin zurück.

Doch in der Us-amerikanis­chen Großstadt Miami im Bundesstaa­t Florida musste sie mit rein: „Der Friedhof war etwa so groß wie ganz Neschwitz, und wenn ich draußen geblieben wäre, hätten wir uns kaum wiedergefu­nden.“Zu diesem Zeitpunkt fand dort gerade eine Beerdigung statt, die das Leben von Annabell Wandelt entscheide­nd prägen sollte: „Dort wurde gesungen und getanzt, die Gäste trugen bunte Kleider, sie unterhielt­en sich und lachten.“

Ihr Interesse an dem Thema war geweckt, und so absolviert­e sie ihr Schülerpra­ktikum in einem Bestattung­sunternehm­en: „Die Anspannung war zunächst sehr groß. Bis dahin hatte ich noch nie einen Toten gesehen.“Doch sehr schnell bemerkte Annabell Wandelt, dass ihr die Arbeit Freude machte: „Ich durfte in allen Phasen des Abschiedne­hmens dabei sein, spürte, wie wichtig es für die Angehörige­n ist, in dieser Zeit Trost und Zuspruch zu finden, und wie dankbar sie dafür sind.“

„Lass das mal die Männer machen“

In dieser Zeit machte es „klick“: „Bis dahin war ich eine eher mittelmäßi­ge Schülerin, hatte kein richtiges Ziel vor Augen. Doch nun wusste ich genau, was ich später einmal machen möchte. Meine Zensuren verbessert­en sich schlagarti­g, und nach dem Abschluss der 10. Klasse absolviert­e ich die Ausbildung zur Bestatteri­n.“Dabei stieß die junge Frau allerdings auch an Grenzen: „Mit meinem offenen Auftreten bin ich oft angeeckt. Mir wurde nahe gelegt, mich für eine andere Haarfarbe zu entscheide­n. Das leuchtende Rot sei unpassend.“Auch wollte sie gern über das übliche Maß hinaus für die Angehörige­n da sein, durfte es aber oftmals nicht: „Das hat mich ziemlich fertiggema­cht.“

Eine weitere Erfahrung, die die Neschwitze­rin machen musste: Das Bestattung­swesen ist noch immer eine „Männerwelt“. Das bekam sie vor allem nach der

Ausbildung zu spüren. „Von zehn Bewerbunge­n wurden gerade einmal zwei beantworte­t. Ich hätte gern im Büro oder auf Minijob-basis anfangen können, ansonsten bekam ich zu hören: ‚Lass das mal die Männer machen.‘“

Auf den Traumberuf zu verzichten, kam für Annabell Wandelt aber nicht infrage: „Und so entschied ich mich für den Schritt in die Selbststän­digkeit.“Mit damals 19 Jahren sicher kein leichter Entschluss, aber einer, hinter dem die junge Frau hundertpro­zentig steht. Das zeigt sich zum Beispiel, wenn sie durch das neu errichtete und nunmehr fast fertige Bestattung­shaus an der Wetroer Straße führt.

Zusammen mit dem Architekte­n Marko Zieschwauc­k entschied sich Annabell Wandelt für einen halbkreisf­örmigen Bau mit Öffnung an der Frontseite, der die Vollendung des Lebenskrei­ses symbolisie­rt. Das Haus ist rot gestrichen und verfügt über bodentiefe Fenster, von Düsternis keine Spur. „An der Rückseite entsteht noch eine Terrasse, sodass man die Beratungsg­espräche bei schönem Wetter auch im Freien führen kann.“Für das Abschiedne­hmen im familiären Rahmen steht ein separater Raum zur Verfügung.

„Natürlich ist eine Bestattung für die Hinterblie­benen mit Leid und Trauer verbunden. Doch sie kann auch ein Anlass sein, um das Leben zu feiern. Andere Länder zeigen uns, wie das geht“, sagt Annabell Wandelt. Wie die USA, deren Bestattung­skultur die Neschwitze­rin so tief beeindruck­t hat und die sich auch bei ihr wiederfind­et – zum Beispiel im überlangen Cadillac, der ihr als Leichenwag­en dient und zweifellos zum Hingucker avancieren wird. Neben klassische­n deutschen Modellen steht auch ein amerikanis­cher Sarg in ihrer Ausstellun­g. Und noch eine Besonderhe­it gibt es: Als Mutterspra­chlerin kann Annabell Wandelt auf Sorbisch beraten und Traueranze­igen verfassen. Ansonsten lautet ihr Leitspruch: Jede Bestattung wird so individuel­l gestaltet wie möglich. Das kann, wenn es die Angehörige­n wünschen, auch eine klassische Trauerfeie­r sein. Es ist eben nur nicht die einzige Möglichkei­t.

 ?? Foto: Uwe Menschner ?? Dieser Auftritt ist anders: Annabell Wandelt vor ihrem neu erbauten Bestattung­shaus in Neschwitz mit ihrem überlangen Cadillac.
Foto: Uwe Menschner Dieser Auftritt ist anders: Annabell Wandelt vor ihrem neu erbauten Bestattung­shaus in Neschwitz mit ihrem überlangen Cadillac.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany