Sächsische Zeitung (Bautzen- Bischofswerda)
Grauer Gasriese steigt in grüne Energiewelt ein
Nach dem Abschied vom russischen Gas stellt sich der Leipziger Konzern VNG als Wasserstoff-versorger auf – und schreibt wieder schwarze Zahlen.
Der russische Gashahn ist abgedreht, der Leipziger Gasriese VNG mitten in der Energiewende. Jedes Jahr investiert Ostdeutschlands umsatzstärkster Konzern mit Sitz in Leipzig mittlerweile 200 bis 300 Millionen Euro, um sein zukünftiges Geschäftsmodell mit Wasserstoff und Biogas aufzubauen – und sein Erdgas aus anderen Quellen zu beziehen. Nachdem die Pipelines aus Russland gekappt sind, kommt inzwischen umso mehr Gas von den traditionellen Lieferanten aus Norwegen.
Und sogar mit dem staatlichen Energiekonzern Sonatrach in Algerien hat man jetzt einen Liefervertrag über die Pipeline durch Italien abgeschlossen. Sonatrach investiert derzeit Milliardensummen, um seine Exporte nach Europa auszubauen. VNG ist dabei das erste Unternehmen in Deutschland, das seit Januar deren Gas bezieht.
Große Teile des Bedarfs deckt VNG nun auch mit verflüssigtem LNG-GAS, das zu mehr als 80 Prozent aus den USA stammt, sowie an den großen Handelsmärkten, bei denen die Herkunft allerdings unklar ist. Trotz der großen Unsicherheiten zog Vorstandschef Ulf Heitmüller am Dienstag eine positive Bilanz des vergangenen Jahres. Die VNG habe 2023 ein Konzernergebnis von 380 Millionen Euro eingefahren – nach einem drastischen Minus im Kriegs- und Krisenjahr 2022. „Trotz stark schwankender Märkte konnten wir ein außergewöhnliches Ergebnis erwirtschaften, das weit über unseren Erwartungen liegt“, betonte Heitmüller.
Erdgas sei nach wie vor der zweitgrößte Energieträger in Deutschland. Unruhige Märkte würden dabei eben auch Chancen bieten, die man genutzt habe. Dass der Vng-umsatz von 36,2 auf 23,2 Milliarden Euro einbrach, habe in erster Linie an den deutlichen Preiseinbrüchen und an der relativ milden Winter-witterung gelegen. Die Aktionäre – neben dem baden-württembergischen Energiekonzern ENBW mit knapp 80 Prozent gehören dazu acht ostdeutsche Städte – sollen 40 Millionen Euro Dividende erhalten, kündigte Finanzvorstand Bodo Rodestock an. Auf Dresden entfallen knapp 1,9 Millionen Euro, auf Leipzig 2,2 Millionen.
Neben den neuen Importeuren will die VNG vor allem den Wasserstoff-hochlauf in Ostdeutschland ankurbeln, betonte Heitmüller. In den Aufbau der Infrastruktur habe das Unternehmen allein voriges Jahr fast 200 Millionen Euro investiert. „Bis zum
Jahr 2035 beabsichtigen wir, bis zu fünf Milliarden Euro zu investieren.“Bis 2045 will die VNG ihr Erdgas-geschäft komplett durch grüne Gase ersetzen.
Herzstück des Umbaus ist zurzeit der modellhafte Energiepark Bad Lauchstädt, der die gesamte Wertschöpfungskette für grünen Wasserstoff – der mit Windkraft erzeugt wird – abbilden soll. Mehrere Partner investieren dort 210 Millionen Euro.
Die geplanten acht Windräder seien mittlerweile errichtet, berichtete Vngtechnikvorstand Hans-joachim Polk. Für das Elektrolyseur-gebäude sei Richtfest gefeiert worden, der 30-Megawatt-elektrolyseur werde noch dieses Jahr fertig. Ab nächstem Jahr soll der grüne Wasserstoff über eine 25 Kilometer lange Pipeline zur Total-energies-raffinerie nach Leuna und zu anderen Kunden im mitteldeutschen Chemiedreieck transportiert werden. „Wir wollen Mittel- und Ostdeutschland bei der Dekarbonisierung unterstützen und den Strukturwandel mitgestalten“, so Polk.
Auf Import angewiesen
Parallel arbeitet die VNG mit dem norwegischen Energieunternehmen Equinor daran, den Rostocker Hafen zu einer Drehscheibe für dekarbonisierten Wasserstoff aus norwegischem Erdgas zu machen. Eine Mega-anlage soll ab 2030 jedes Jahr bis zu 230.000 Tonnen Wasserstoff produzieren. In Sachsen-anhalt ist mit dem niederländischen Unternehmen HYCC ein Groß-elektrolyseur mit bis zu 500 Megawatt Leistung geplant. Außerdem will sich die VNG am Aufbau eines viel diskutierten Wasserstoffkernnetzes zwischen Verbrauchs- und Erzeugungsregionen beteiligen. „Unsere Transformation gewinnt deutlich an Fahrt“, betonte Polk.
Allerdings werde Deutschland auch zukünftig auf den Import von grünem Wasserstoff angewiesen sein. Daher werden unter anderem Wasserstoff-lieferungen aus Chile ab dem Jahr 2028 vorbereitet.
Der Bestand an Biogas-anlagen hat sich indessen nicht vergrößert: Die Vng-tochter Balance besitzt nach wie vor 40 Anlagen in Nord- und Ostdeutschland. Diese seien aber modernisiert worden, so Polk. Sie tragen jetzt rund 100 Millionen Euro zum Umsatz bei.
Dieses Jahr könnten weitere Anlagen hinzukommen. Die Ausweitung auf neue Produkte, Netze und Märkte führt derweil auch zum Aufbau des Personals: Die Zahl der Beschäftigten bei der VNG kletterte voriges Jahr von knapp 1.600 auf 1.700 – darunter sind sehr viele junge Leute.