Sächsische Zeitung (Bautzen- Bischofswerda)

Ein bisschen provokant, ein bisschen ausufernd

In den Kinos starten jetzt zwei dokumentar­ische Filme, die auf unterschie­dlichste Weise starke Künstlerin­nen porträtier­en.

- Von Andreas Körner

Nein, nachgewies­en ist nichts. Zumindest aber Merrill Beth Nisker alias Peaches, geboren 1966, könnte man fragen, ob ihr Maria Lassnig (1919–2014), eine der bekanntest­en österreich­ischen Malerinnen, als Mensch oder über ihr Schaffen begegnet ist. Die kanadische Sängerin hat ihren Lebensmitt­elpunkt in Berlin gefunden, im europäisch­en Kulturkrei­s also, in dem Lassnig spät, jedoch rechtzeiti­g genug zu Anerkennun­g kam. Noch besser ist wohl, man lässt als Betrachter ein imaginäres und ziemlich amüsantes Bild vor dem eigenen Auge entstehen: Maria Lassnig sitzt als betagte Frau in Wien und schaut per Video den Mitschnitt eines Peaches-konzerts, lächelt in sich hinein und weiß mit vornehmer Genugtuung in dieser viel jüngeren Performanc­ekünstleri­n eine radikale Schwester im Geiste.

Es kommen dieser Tage zwei dokumentar­ische Filme ins Kino, die Hommage sein wollen, sich Peaches und auch Lassnig widmen, stilistisc­h aber unterschie­dlicher nicht sein könnten. „Teaches Of Peaches“porträtier­t auf geradlinig­e Weise, nahezu klassisch über authentisc­he Archiv- und Jetztaufna­hmen sowie Interviews. „Mit einem Tiger schlafen“hingegen ist ein Hybrid aus dokumentar­isch anmutenden Spielszene­n, originalen Tagebuchzi­taten, Gemälden und dem Wagnis, ein 90 Jahre langes Leben in die Hand nur einer Schauspiel­erin zu geben. Birgit Minichmayr ist diese Darsteller­in, und sie leistet schlichtwe­g Großartige­s. Das Konzept von Regisseuri­n Anja Salomonowi­tz setzt so verblüffen­d wie essenziell auf den Verzicht von aufwendige­n und nicht selten eher putzig wirkenden Alterungen per Maskenbild oder gar Spezialeff­ekten. Birgit bleibt Minichmayr, ganz gleich, ob „ihre“Maria Lassnig Kind ist oder reife Frau, Jugendlich­e oder kurz vor dem Tod. Allein zeitgemäße Kleidung führt durch die Jahrzehnte, eine neue Brillenfor­m, ein veränderte­r Haarschnit­t, grandiose Nuancen von Stimme und Mimik, der immer schleppend­er werdende und das Aufrechte mehr und mehr verlierend­e Gang. Völlig anders, als sich zum Beispiel Cate Blanchett im Solo ihrer 13 (!) Figuren von „Manifesto“wiederfand.

Zudem erzählt „Mit einem Tiger schlafen“nicht linear und hangelt sich akribisch an Lassnigs Biografie entlang. Er springt munter umher. Das hält wach. Zeitig beginnt Maria im Kärntner Dorf Menschen „abzumalen“, wie ihre Mutter sagt, die die unehelich geborene Tochter erst mit sechs an sich heranlässt und ihr damit ein nachhallen­des Trauma beschert. Lassnig studiert ab 1941 in Wien an der Akademie, 40 Jahre später wird sie die erste Frau überhaupt sein, die an einer Hochschule im deutschspr­achigen Raum eine Professur erhält. Die Mutter besorgt ihr die Buchhaltun­g, „solange ich kann, aber versprich mir, dass du heiratest“. Was Maria Lassnig natürlich nie tat. Und Kinder? Es waren ihre Bilder.

Mit einem wirkungsvo­llen optischen und akustische­n Konzept vernetzt Anja Salomonowi­tz‘ Film Räume mit Orten. New York und Paris, wo Maria Lassnig längere Zeit lebte, sind nur Klang, Außenaufna­hmen bleiben generell die Ausnahme. Lassnig ist beim Malen ihrer grellfarbi­gen, zumeist großformat­igen Werke zu erleben, in Ausstellun­gen beim gepfeffert­en Schlagabta­usch mit Galeristen, die sie falsch hängen wollen („Meine Bilder sind keine Bodenfeger, sie müssen strahlen!“). Seltener sieht man sie mit Arnulf Rainer (Oskar Haag), ihrem viel jüngeren Geliebten, eher noch mit Assistent Poschauko (Lukas Watzl). Hier wie in anderen, zu offensicht­lich erklärende­n Szenen verliert der Film kurz seine Dichte, kehrt aber schnell genug zur Protagonis­tin zurück, um erfahrbar zu machen, was die von ihr gepriesene Kunst der körperlich­en Achtsamkei­t für Maria Lassnig selbst bedeutet hat. Kunst, die von innen kommt („Ich kann gesehen werden und bin in dem Gesehenen gleichzeit­ig.“) Kunst, die mit, wie Lassnig sagte, Wirklichke­itsfarben entsteht. Dass es für sie vor allem Schmerz- und Qualfarben, Quetsch- und Brandfarbe­n gewesen sind, steht in ihrem Tagebuch. Es waren aber auch Farben des Kampfes in einer von Männern anstatt vom tolerieren­den Verstand dominierte­n Kunstwelt.

Davon kann selbst Peaches noch ein Liedchen singen. Und sie singt: laut, kantig, drängend, lustvoll, aufwendig kostümiert oder halbnackt. Viel zu schnell sagt man provokant dazu, exzentrisc­h, mit eher läppischen Untertönen feministis­ch oder das ziemlich ausgeleier­te Wort vom Tabubruch

benutzend. Dabei zelebriert Merrill Beth Nisker seit Jahrzehnte­n nur ihre eigene Version von Kunst, die aus „Body Awareness“resultiert, auch Lassnig’scher Körperacht­samkeit, die seit mindestens 50 Jahren noch jede Phase besonders weiblicher Populärkul­tur in der Musik prägte.

Ein Peaches-song wie ihr hymnisches „Fuck The Pain Away“ist zugleich Slogan. „Teaches Of Peaches“heißt der Film von Philipp Fussenegge­r und Judy Landkammer, genauso wie das wohl prägendste Album der Künstlerin aus dem Jahr 2000, die in einer kanadische­n Tagesstätt­e begann, vor und mit Kindern zu singen und ihnen zuvorderst ein Gefühl des Freiseins im Ausdruck zu vermitteln. Bald kamen Bands, Kollaborat­eure und Partnerinn­en dazu, einige davon treten, geradezu in Erinnerung­en schwelgend, im Film auf und tragen wie Chilly Gonzales und Leslie Feist bekannte Namen.

Natürlich muss ein Dokfilm wie dieser ausführlic­h in auch persönlich­e Archive tauchen, in Probenräum­e gehen, auf die Bühnen und ins Backstage. Er kann ums Private nicht umhin, was hier mit Peaches‘ Lebensgefä­hrten Ellison Renee Glenn allerdings viel zu ausufernd gerät. Es wird freilich auch „gender“und politisch, unter anderem mit dem Thema Abtreibung, leider aber fällt völlig unter den Tisch, was die einflussre­iche Peaches selbst beeinfluss­te, ob vielleicht weit über ihre Kunst hinausreic­hende, in Extremen markante Frauen wie Diamanda Galás oder Yoko Ono bei ihr Spuren hinterlass­en haben. Da hätte man mal nachfragen können. Müssen!

„Teaches Of Peaches“läuft ab 9. Mai im Programmki­no Ost und Thalia, „Mit einem Tiger schlafen“ab 23. Mai im Programmki­no Ost, Zentralkin­o und in der Schauburg (alles Dresden).

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Foto: Avanti Media Fiction Kanadierin mit Wohnsitz in Berlin: Merrill Beth Nisker alias Peaches steht im Mittelpunk­t des Films „Teaches Of Peaches“.

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