Sächsische Zeitung (Bautzen- Bischofswerda)
Ein bisschen provokant, ein bisschen ausufernd
In den Kinos starten jetzt zwei dokumentarische Filme, die auf unterschiedlichste Weise starke Künstlerinnen porträtieren.
Nein, nachgewiesen ist nichts. Zumindest aber Merrill Beth Nisker alias Peaches, geboren 1966, könnte man fragen, ob ihr Maria Lassnig (1919–2014), eine der bekanntesten österreichischen Malerinnen, als Mensch oder über ihr Schaffen begegnet ist. Die kanadische Sängerin hat ihren Lebensmittelpunkt in Berlin gefunden, im europäischen Kulturkreis also, in dem Lassnig spät, jedoch rechtzeitig genug zu Anerkennung kam. Noch besser ist wohl, man lässt als Betrachter ein imaginäres und ziemlich amüsantes Bild vor dem eigenen Auge entstehen: Maria Lassnig sitzt als betagte Frau in Wien und schaut per Video den Mitschnitt eines Peaches-konzerts, lächelt in sich hinein und weiß mit vornehmer Genugtuung in dieser viel jüngeren Performancekünstlerin eine radikale Schwester im Geiste.
Es kommen dieser Tage zwei dokumentarische Filme ins Kino, die Hommage sein wollen, sich Peaches und auch Lassnig widmen, stilistisch aber unterschiedlicher nicht sein könnten. „Teaches Of Peaches“porträtiert auf geradlinige Weise, nahezu klassisch über authentische Archiv- und Jetztaufnahmen sowie Interviews. „Mit einem Tiger schlafen“hingegen ist ein Hybrid aus dokumentarisch anmutenden Spielszenen, originalen Tagebuchzitaten, Gemälden und dem Wagnis, ein 90 Jahre langes Leben in die Hand nur einer Schauspielerin zu geben. Birgit Minichmayr ist diese Darstellerin, und sie leistet schlichtweg Großartiges. Das Konzept von Regisseurin Anja Salomonowitz setzt so verblüffend wie essenziell auf den Verzicht von aufwendigen und nicht selten eher putzig wirkenden Alterungen per Maskenbild oder gar Spezialeffekten. Birgit bleibt Minichmayr, ganz gleich, ob „ihre“Maria Lassnig Kind ist oder reife Frau, Jugendliche oder kurz vor dem Tod. Allein zeitgemäße Kleidung führt durch die Jahrzehnte, eine neue Brillenform, ein veränderter Haarschnitt, grandiose Nuancen von Stimme und Mimik, der immer schleppender werdende und das Aufrechte mehr und mehr verlierende Gang. Völlig anders, als sich zum Beispiel Cate Blanchett im Solo ihrer 13 (!) Figuren von „Manifesto“wiederfand.
Zudem erzählt „Mit einem Tiger schlafen“nicht linear und hangelt sich akribisch an Lassnigs Biografie entlang. Er springt munter umher. Das hält wach. Zeitig beginnt Maria im Kärntner Dorf Menschen „abzumalen“, wie ihre Mutter sagt, die die unehelich geborene Tochter erst mit sechs an sich heranlässt und ihr damit ein nachhallendes Trauma beschert. Lassnig studiert ab 1941 in Wien an der Akademie, 40 Jahre später wird sie die erste Frau überhaupt sein, die an einer Hochschule im deutschsprachigen Raum eine Professur erhält. Die Mutter besorgt ihr die Buchhaltung, „solange ich kann, aber versprich mir, dass du heiratest“. Was Maria Lassnig natürlich nie tat. Und Kinder? Es waren ihre Bilder.
Mit einem wirkungsvollen optischen und akustischen Konzept vernetzt Anja Salomonowitz‘ Film Räume mit Orten. New York und Paris, wo Maria Lassnig längere Zeit lebte, sind nur Klang, Außenaufnahmen bleiben generell die Ausnahme. Lassnig ist beim Malen ihrer grellfarbigen, zumeist großformatigen Werke zu erleben, in Ausstellungen beim gepfefferten Schlagabtausch mit Galeristen, die sie falsch hängen wollen („Meine Bilder sind keine Bodenfeger, sie müssen strahlen!“). Seltener sieht man sie mit Arnulf Rainer (Oskar Haag), ihrem viel jüngeren Geliebten, eher noch mit Assistent Poschauko (Lukas Watzl). Hier wie in anderen, zu offensichtlich erklärenden Szenen verliert der Film kurz seine Dichte, kehrt aber schnell genug zur Protagonistin zurück, um erfahrbar zu machen, was die von ihr gepriesene Kunst der körperlichen Achtsamkeit für Maria Lassnig selbst bedeutet hat. Kunst, die von innen kommt („Ich kann gesehen werden und bin in dem Gesehenen gleichzeitig.“) Kunst, die mit, wie Lassnig sagte, Wirklichkeitsfarben entsteht. Dass es für sie vor allem Schmerz- und Qualfarben, Quetsch- und Brandfarben gewesen sind, steht in ihrem Tagebuch. Es waren aber auch Farben des Kampfes in einer von Männern anstatt vom tolerierenden Verstand dominierten Kunstwelt.
Davon kann selbst Peaches noch ein Liedchen singen. Und sie singt: laut, kantig, drängend, lustvoll, aufwendig kostümiert oder halbnackt. Viel zu schnell sagt man provokant dazu, exzentrisch, mit eher läppischen Untertönen feministisch oder das ziemlich ausgeleierte Wort vom Tabubruch
benutzend. Dabei zelebriert Merrill Beth Nisker seit Jahrzehnten nur ihre eigene Version von Kunst, die aus „Body Awareness“resultiert, auch Lassnig’scher Körperachtsamkeit, die seit mindestens 50 Jahren noch jede Phase besonders weiblicher Populärkultur in der Musik prägte.
Ein Peaches-song wie ihr hymnisches „Fuck The Pain Away“ist zugleich Slogan. „Teaches Of Peaches“heißt der Film von Philipp Fussenegger und Judy Landkammer, genauso wie das wohl prägendste Album der Künstlerin aus dem Jahr 2000, die in einer kanadischen Tagesstätte begann, vor und mit Kindern zu singen und ihnen zuvorderst ein Gefühl des Freiseins im Ausdruck zu vermitteln. Bald kamen Bands, Kollaborateure und Partnerinnen dazu, einige davon treten, geradezu in Erinnerungen schwelgend, im Film auf und tragen wie Chilly Gonzales und Leslie Feist bekannte Namen.
Natürlich muss ein Dokfilm wie dieser ausführlich in auch persönliche Archive tauchen, in Probenräume gehen, auf die Bühnen und ins Backstage. Er kann ums Private nicht umhin, was hier mit Peaches‘ Lebensgefährten Ellison Renee Glenn allerdings viel zu ausufernd gerät. Es wird freilich auch „gender“und politisch, unter anderem mit dem Thema Abtreibung, leider aber fällt völlig unter den Tisch, was die einflussreiche Peaches selbst beeinflusste, ob vielleicht weit über ihre Kunst hinausreichende, in Extremen markante Frauen wie Diamanda Galás oder Yoko Ono bei ihr Spuren hinterlassen haben. Da hätte man mal nachfragen können. Müssen!
„Teaches Of Peaches“läuft ab 9. Mai im Programmkino Ost und Thalia, „Mit einem Tiger schlafen“ab 23. Mai im Programmkino Ost, Zentralkino und in der Schauburg (alles Dresden).