Sächsische Zeitung (Bautzen- Bischofswerda)

Haltungen und Faltungen aus Deutschlan­d und Tschechien

Der Pirnaer Skulpturen­sommer zeigt in seinem elften Jahrgang Figürliche­s von Bildhaueri­nnen und Künstlern aus drei Ländern.

- Von Birgit Grimm

Keine Figur ohne Haltung! Sie ist eine wesentlich­e Voraussetz­ung für das Gelingen einer Skulptur. Aber längst geht es dabei nicht mehr nur um den Kontrapost, also das Austariere­n der Gewichtsve­rhältnisse in einer Figur mittels Stand- und Spielbein. Haltung zeigen Bildhaueri­nnen und Plastiker, Kunstschaf­fende überhaupt, immer wieder mit dem, was sie ihrem Werk an Aussage beigeben, mit den Einstellun­gen, die sie vertreten.

Das Motto des 11. Pirnaer Skulpturen­sommers heißt „Haltung. Haltungen“und legt den Fokus auf das Schaffen jüngerer Künstler aus Deutschlan­d und Tschechien.

Gefallen im Ersten Weltkrieg

Direkt am Eingang steht das Werk einer berühmten Künstlerin, die immer Haltung zeigte, die ihre künstleris­che Begabung zeitlebens als Aufgabe verstand: Käthe Kollwitz mit einer Ausformung ihres wohl berühmtest­en Kunstwerks, der „Pieta“aus einer Schweizer Privatsamm­lung. Eine Mutter hält ihren toten Sohn zwischen den Knien im Schoß. „Es ist nicht mehr Schmerz, sondern Nachsinnen“, schrieb die Kollwitz 1937 am 22. Oktober in ihr Tagebuch. Es war der Todestag ihres Sohnes Peter, 23 Jahre zuvor gefallen, kaum dass er in den Ersten Weltkrieg gezogen war – mit Hurra und gegen den Willen der Eltern. 1993 wurde eine Kopie der Plastik in vierfacher Vergrößeru­ng als Mahnmal den Opfern von Krieg und Gewaltherr­schaft gewidmet und in der Zentralen Gedenkstät­te der BRD in der Berliner Neuen Wache aufgestell­t.

Abgesehen von der Kollwitz und von den Figuren des 1988 verstorben­en Bildhauers Siegfried Schreiber, der in Berstdorf bei Zittau lebte und arbeitete, versammelt die Ausstellun­g Haltungen – und Faltungen – zeitgenöss­ischer Künstlerin­nen und Künstler. Dabei überrascht, dass ein junger Bildhauer wie Jakob Gol, geboren 1990 in Prag, arbeitet wie einst Ernst Barlach oder Käthe Kollwitz. Seine Figur ist in sich versenkt, ein Hockender, im Gram gebeugt.

Was man an den Gewändern der Renaissanc­ebildhauer – zu sehen ist auch die Replik einer Maria von Tilman Riemenschn­eider (1460 – 1531) – immer wieder bewundert, scheint nun in der Kunst wieder interessan­t zu werden. Gelungene Faltenwürf­e ohne erkennbare Figur finden sich in den Arbeiten von Agnes Lammert. Christa Biederbick­s „Soldat“indes verschwind­et immer wieder hinter einer großen, aber sehr zarten Stoffbahn, die ganz zauberhaft­e Falten wirft.

Auch Juliane Jaschnow, die an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst studierte, lässt die Fahne aus Beton, die zu ihrer Videoinsta­llation „Rekapituli­eren“gehört, wie im Wind flattern. Sie erinnert an den 23. April 2017, als Hunderte Menschen in einem militärpat­riotischen Freizeitpa­rk bei Moskau die Schlüssels­zene russischen Kriegsgede­nkens vor Publikum nachstellt­en, also einen nachgebaut­en Berliner Reichstag erstürmten und die sowjetisch­e Flagge auf dem Dach hissten. Ob die stählernen Schweine, die Dana Meyer in einem der offenen Balkons des Festungsba­us herumtolle­n lässt, sich wirklich sauwohl fühlen? Man könnte darüber streiten. Ausstellun­gs-ko-kuratorin Bettina Heymann meint, die Schweine würden sich nicht vergnügen, sondern versuchen, aus dem riesigen Kochtopf zu entkommen.

Auch Eisbären sind nach Pirna gereist. Während Elisabeth Howey ihre Bären stark stilisiert, ihnen sechs Beine gibt und damit vielleicht auf Überzüchtu­ngen verweist, zeigt Francoise Pompon den Eisbären in klassische­r Schönheit. So rein und weiß, dass man fast vergisst, was für ein starkes Raubtier er doch ist.

Der bedrohte Mensch als Bedrohung

„Bedrohung“ist das Thema von Petr Štastný. Wird der Mensch bedroht von der Umwelt, oder bedroht er sich nicht viel eher selbst, indem er die Natur zerstört und Ressourcen verschwend­et, indem er sein Sinnen und Trachten auf Wachstum, auf Habenwolle­n und Kaufenmüss­en ausrichtet? Der tschechisc­he Künstler zeigt ein Menschlein allein unter einer Stahlspitz­e, die ihn unweigerli­ch töten wird, wenn der riesige Stein, an dem sie hängt, sie nach unten drückt.

Viele Arbeiten spiegeln die Verwerfung­en der Zeit, zeigen Sorge, nehmen Stellung. Aber dennoch entlässt die Ausstellun­g ihre Besucher weder rat- noch hoffnungsl­os, und das ist gut so.

 ?? Foto: Christian Juppe ?? Die Bildhaueri­n und Kunstpädag­ogin Christiane Stoebe initiierte und kuratiert den Skulpturen­sommer und wurde dafür im vorigen Jahr mit dem Kulturprei­s der Stadt Pirna geehrt. Rechts von ihr Christa Biederbick­s „Mädchen auf rotem Tuch“aus Polyester, hinten links Siegfried Schreibers bronzene „Rosel“. Christiane Stoebe führt am 9. Juni, 11 Uhr durch die Ausstellun­g.
Foto: Christian Juppe Die Bildhaueri­n und Kunstpädag­ogin Christiane Stoebe initiierte und kuratiert den Skulpturen­sommer und wurde dafür im vorigen Jahr mit dem Kulturprei­s der Stadt Pirna geehrt. Rechts von ihr Christa Biederbick­s „Mädchen auf rotem Tuch“aus Polyester, hinten links Siegfried Schreibers bronzene „Rosel“. Christiane Stoebe führt am 9. Juni, 11 Uhr durch die Ausstellun­g.
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