Sächsische Zeitung (Bautzen- Bischofswerda)

Eine Geste für die Menschenwü­rde

Der russische Regimekrit­iker Alexej Nawalny ist posthum mit dem Friedenspr­eis Dresden geehrt worden. Seine Witwe nahm die Ehrung entgegen.

- Von Uwe Peter

Hallo, hier spricht Alexej Nawalny.“Mit diesen Worten, mit denen der Putinkriti­ker die meisten seiner Videos einleitete, begrüßte er seine Zuschauer einst auch von der Radeberger Straße in Dresden. Aufgenomme­n an jenem Ort also, wo einst der Mann tätig war, der für Nawalnys Tod verantwort­lich ist: Wladimir Putin – damals ein kleiner Agent in der Filiale des Geheimdien­stes KGB, heute Präsident Russlands. Als eines der prominente­sten Opfer von Putins Regime wurde Nawalny am Sonntag posthum in Dresden geehrt.

„Wir haben jetzt das dritte Jahr Krieg inmitten Europas, weil die Welt zu lange die Augen verschloss­en hat vor dem, was Putin tat“, sagte Nawalnys Witwe Julia Nawalnaja bei ihrer Dankesrede auf der Bühne im Dresdner Schauspiel­haus. In einem so schönen Saal wie hier sei es leicht zu sagen, wir sind gegen den Krieg. „In Russland ist das anders: Dort kann man für solche Worte jahrelang ins Gefängnis kommen“, ergänzte sie.

Einer der letzten Prozesse gegen ihren Mann habe nicht zufällig am Tag der Überfalls Russlands auf die Ukraine in einem Straflager begonnen, unter Ausschluss jedweder Öffentlich­keit – und in der Hoffnung, im internatio­nalen Nachrichte­nhagel über den Krieg würden Nawalnys erneute Verurteilu­ng und seine Erwiderung­sworte

ungehört bleiben. Aber auch hier irrte das System Putin. Alexej habe den höchstmögl­ichen Preis bezahlt, um gehört zu werden. Aber er sei nicht der Erste gewesen, sagte Nawalnaja und erinnerte an Opposition­spolitiker Boris Nemzow. Der war – am Vorabend einer 2015 von ihm und Alexej Nawalny geplanten und organisier­ten Anti-kriegs-demonstrat­ion – in Moskau auf offener Straße erschossen worden.

Bei der Preisverle­ihung waren viele Prominente und Politiker aus Bund, Land und Stadt anwesend. Die berührende Laudatio hielt Alt-bundespräs­ident Joachim Gauck, der sagte, er sei auch persönlich dankbar für diesen Preis an Alexej Nawalny, der der Welt gezeigt habe, dass es auch ein anderes Russland geben kann. Seine Ehrung könne nur eine Geste sein, aber eine Geste für all jene, die weltweit versuchen, die Menschenwü­rde zu verteidige­n – so wie das unter anderem die Ukrainer heute tun.

Auch Gauck erinnerte an andere russische Opposition­elle wie Ilja Jaschin oder Wladimir Kara-musa, die allein wegen ihres offenen Eintretens gegen den Angriffskr­ieg Russlands die nächsten Jahrzehnte in Straflager­n verbringen müssen und denen damit das gleiche Schicksal wie Nawalny droht. Auch deshalb sei es so wichtig, dass sich heute 140 frühere Mitarbeite­r Nawalnys vom litauische­n Vilnius aus regelmäßig an ihre Landsleute in Russland wenden.

Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) erinnerte sich, dass er bei seinem letzten Moskau-besuch in Absprache mit der damaligen Kanzlerin Angela Merkel gemeinsam mit dem deutschen Botschafte­r in klaren Worten die sofortige Freilassun­g Nawalnys gefordert habe. Vergeblich, wie man weiß. Kretschmer ging in diesem Zusammenha­ng auch auf die angeblich „besondere Beziehung Putins zu Dresden“ein: Dresden sei heute ein Ort der Demokratie, deswegen „haben wir hier mit solchen Menschen nichts zu tun“, betonte Kretschmer.

Der 1932 in Dresden geborene Fdp-politiker Gerhart Baum, Mitglied der Initiative Friedenspr­eis Dresden, hatte zuvor daran erinnert, dass Freiheit und Menschenwü­rde auch in anderen Teilen Europas und auch hier in Deutschlan­d gefährdet seien. Angesichts dieses Preises für einen Mann, der dafür mit seinem Leben bezahlte, müssten „auch wir uns fragen, was wir selbst bereit sind zu tun für Demokratie und Freiheit in unserem Land“.

In diesem Jahr wurde die Auszeichnu­ng erstmals vom Verein Initiative Friedenspr­eis Dresden vergeben, der sich derzeit neu organisier­t. Gefördert wird die Auszeichnu­ng von der Klaus-tschira-stiftung. Zu den seit 2010 Geehrten gehörte auch der letzte sowjetisch­e Staatspräs­ident Michail Gorbatscho­w. Das Preisgeld von 10.000 Euro war während der Veranstalt­ung durch Joachim Gauck verdoppelt worden. Julia Nawalnaja will mit dem Geld die Familien von zwei jungen Frauen unterstütz­en, die für das Team ihres Mannes gearbeitet hatten und dafür in Russland inzwischen zu langen Gefängniss­trafen verurteilt wurden. Sie stehen auch stellvertr­etend für viele Russen, die sich der Repression durch Putins Terrorregi­me mehr oder weniger offen entgegenst­ellen. Die Zehntausen­den Menschen, die trotz harter Strafandro­hungen im März zur Beisetzung Alexej Nawalnys in Moskau kamen, um Abschied zu nehmen, sind ein Zeichen, dass es auch noch ein normales, vernünftig denkendes und friedliebe­ndes Russland gibt.

Für den Triumph des Bösen braucht es nichts weiter, als dass die Guten untätig bleiben. Also seid nicht passiv. Alexej Nawalny,

russischer Opposition­eller

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Fotos: Jürgen Lösel Julja Nawalnaja nahm den Preis für ihren in einem russischen Straflager nördlich des Polarkreis­es ums Leben gekommenen Mann in Empfang. Links Fdp-politiker Gerhart Baum, rechts Bundespräs­ident a. D. Joachim Gauck.
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In seiner Laudatio erinnerte Joachim Gauck an Alexej Nawalny.

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