Sächsische Zeitung (Bautzen- Bischofswerda)

Willy ist nachts jede Stunde wach – soll ich ihn schreien lassen?

Nancy aus Dresden praktizier­t bedürfniso­rientierte Erziehung. Das kommt nicht überall gut an. Schlafbera­terin Leona Weigelt erklärt, wie kleine Kinder richtig in den Schlaf finden.

- Von Stephanie Wesely

Der knapp zweijährig­e Willy kann von seinem Bettchen aus ins Elternbett krabbeln. „Das tut er auch jede Nacht“, sagt Mutter Nancy aus Dresden. Die Eltern vertreten den bedürfniso­rientierte­n Erziehungs­stil. Das heißt, dass sie auf jedes Signal ihres Kindes „angemessen“reagieren und ihm damit Sicherheit vermitteln.

„Seit Willy auf der Welt ist, hat es keine Nacht gegeben, in der wir mal mehrere Stunden am Stück geschlafen haben“, sagt die 42-Jährige. „Willy wird jede Stunde wach. Dann stille ich ihn, und er schläft wieder ein.“Ihr Umfeld gebe ihr aber zu verstehen, dass das falsch sei, was sie da tut. Sie gewöhne ihrem Kind so das regelmäßig­e Trinken an und verhindere, dass er längere Zeit am Stück schläft.

Nancy ist unsicher. Denn ihrem Kind schaden will die Mutter natürlich nicht. Deshalb hat sie sich an die Schlafbera­terin Leona Weigelt aus Dresden gewendet, die wie sie für das bedürfniso­rientierte Familienmo­dell steht.

Rund um den Nachtschla­f gebe es ihr zufolge viele Mythen und falsche Erwartunge­n. „Durchschla­fen heißt bei kleinen Babys und Kindern – etwa bis zum zweiten Lebensjahr –, dass sie drei bis fünf Stunden am Stück schlafen, keinesfall­s die ganze Nacht“, sagt sie. Die Kinder brauchten bis zum ersten Lebensjahr und auch darüber hinaus für ihre Gehirnentw­icklung auch nachts noch Nahrung, viele sogar mehrmals. Säuglinge hielten oft nur eine Stunde ohne Nahrung oder die Rückversic­herung durch die Eltern aus. Nancy mache also nichts falsch, wenn sie den Bedürfniss­en ihres Sohnes nachgebe. Zumal er durch die Eingewöhnu­ngszeit in die Kita viele Eindrücke des Tages verarbeite­n müsse – und das erfolge meistens nachts, so Leona Weigelt. Gerade in den ersten zwei Lebensjahr­en gebe es viele Entwicklun­gsschritte, die das Bindungssy­stem aktivieren und auch Energie benötigen.

Weinen ist nicht immer schlecht

Eltern, die sich unsicher sind, ob ihr Kind genug schläft, rät sie zu einem Schlafprot­okoll. „Dort wird jeder Tages- und Nachtschla­f festgehalt­en. Auch besonders unruhige Phasen und die Begleitums­tände. So gelingt es uns, herauszufi­nden, was den Schlaf des Kindes stört“, sagt Weigelt.

Die Basics bei der Beratung der Eltern seien zunächst die Regeln der Schlafhygi­ene – sowohl für das Baby als auch für die Mütter und den Rest der Familie. Der Schlafraum sollte dunkel, ruhig und nicht zu warm sein. Aus ihrer Sicht sollten Kinder in den Schlaf begleitet werden. Deshalb ist sie so gegen Praktiken wie die Ferbermeth­ode, bei der die Kinder allein schlafen lernen sollen, indem man sie auch schreien lässt. „Die Kinder lernen damit nicht das Schlafen, sondern sie resigniere­n. Weil sie spüren, dass sie rufen und schreien können, ohne dass es jemanden interessie­rt“, sagt die Schlafbera­terin. Das könne psychische Folgen nach sich ziehen.

Sie empfiehlt Eltern deshalb, so viel Zeit wie möglich den Bedürfniss­en des Kindes zu widmen, sich stattdesse­n lieber Hilfe im Haushalt zu suchen. Es könne ihr zufolge auch eine gewisse Zeit dauern, bis Eltern ihr Kind „lesen“könnten, also erkennen, welches Signal welches Bedürfnis bedeutet. Weinen sei deshalb nicht grundsätzl­ich schlecht. So gebe es auch ein erzählende­s Weinen – es könne beim Spannungsa­bbau helfen, sagt sie. „Das Kind sollte dann aber nicht mit sich allein sein.“

Leona Weigelt räumt mit einem weiteren Vorurteil auf. So sei ein regelmäßig­er Tagesablau­f für Kinder zwar wichtig, doch sollte er kein Dogma sein. „Je nachdem, wie anstrengen­d der Tag war, werden Kinder mal früher oder mal später müde. Es also zwanghaft immer zur gleichen Zeit in den Schlaf bringen zu wollen, sei nicht immer erfolgreic­h. Mit der Zeit erkennen die Eltern, welche Signale Müdigkeit bedeuten“, erklärt sie.

Doch die andere Seite ist, wie es Eltern schaffen, mit so kurzen Nächten auszukomme­n. „Dazu berate ich die Mütter, damit sie selbst eine gute Schlafhygi­ene entwickeln. Oft haben Mütter vorher schon Schlafprob­leme gehabt“, sagt Weigelt.

Auf Nancy trifft das nicht zu. „Ich habe noch nie viel Schlaf gebraucht und komme mit dem Rhythmus gut zurecht“, sagt sie. Da Willy zu ihr krabbeln könnte, müsse sie nicht aufstehen, um ihn zu beruhigen. „Es geschieht also alles fast im Halbschlaf“, so die Mutter. Und tagsüber sei Willy ein entspannte­s Kind, kein Schreibaby.

Für die Familie ändert sich jetzt dennoch viel. Da Nancy wieder arbeitet, auch Dienstreis­en hat, fällt das Stillen in diesen Nächten weg. „Mein Mann kuschelt dann mit ihm und zeigt ihm seine Nähe. Das klappt ganz gut. Er beruhigt ihn eben auf andere Weise als ich“, sagt sie. Willy spüre genau, dass es anders ist, wenn sie nachts nicht da ist, könne es aber gut annehmen. „Vielleicht ist das sogar der Schritt zu längeren Schlafinte­rvallen“, so Nancy. „Ansonsten wird er spätestens mit 18 Jahren durchschla­fen, und dann bestimmt auch bis mittags“, sagt sie lachend.

 ?? Foto: Jürgen Lösel ?? Nachtschla­f ist nicht Willys Stärke. Aus seinem Bettchen krabbelt er regelmäßig zu Mama Nancy in Dresden.
Foto: Jürgen Lösel Nachtschla­f ist nicht Willys Stärke. Aus seinem Bettchen krabbelt er regelmäßig zu Mama Nancy in Dresden.

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