Sächsische Zeitung (Bautzen- Bischofswerda)

Deshalb wollen junge Hausärzte nicht aufs Land

Am Geld liegt es nicht. Dafür gibt es viele andere Gründe. Welche das sind, hat ein Oberlausit­zer erforscht.

- Von Frank-uwe Michel

Die Gesundheit­sversorgun­g in den ländlichen Regionen Ostsachsen­s wird immer schwierige­r. Der Hauptgrund dafür ist, dass Ärzte nicht aufs Land wollen. Immer wieder schließen deshalb Praxen mangels Nachfolger. Daniel Richter (44), der im Schirgiswa­lde-kirschauer Ortsteil Wurbis lebt, ist einer, dessen Familie selbst unter der Situation leidet. Der sich anderersei­ts aber auch um Besserung bemüht. Als freiberufl­icher Strategieb­erater hat er an den Grundlagen einer Rekrutieru­ngskampagn­e der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Sachsens (KVS) mitgearbei­tet und dazu viele angehende, aber auch fertig ausgebilde­te junge Ärzte befragt. Was er dabei herausgefu­nden hat, berichtet er im Sz-interview.

Herr Richter, Sie sind jetzt wieder „einer von hier“, haben sich für die Rückkehr aus den Altbundesl­ändern entschiede­n. Und nehmen dafür die – sagen wir es so – problemati­schere Gesundheit­sversorgun­g im östlichen Sachsen in Kauf. Warum?

Das war eine bewusste Entscheidu­ng. Meine Frau hat zwar eine recht umfangreic­he Krankenges­chichte. Aber irgendwann sind wir an dem Punkt angelangt, dass die Hektik in München unserer Gesundheit nicht auf Dauer zuträglich ist. Ich stamme aus Cunewalde, jetzt wohnen wir in Wurbis bei Schirgiswa­lde.

Da ist klar, dass es nicht alle Fachärzte gleich in der Nähe gibt. Die Ruhe und das ländliche Umfeld sind uns aber wichtiger. Für die notwendige­n Arzttermin­e bleiben wir Gesundheit­stouristen.

Beruflich arbeiten Sie aber daran, die Situation zu verbessern. Sie haben erforscht, woran es liegt, dass so wenige Ärzte aufs Land – speziell auch in die Landkreise Bautzen und Görlitz – kommen wollen. Gibt es dafür den einen ausschlagg­ebenden Punkt?

Den einen Punkt gibt es sicherlich nicht. In meinen Gesprächen hat sich aber herauskris­tallisiert, dass viel Unwissenhe­it im Spiel ist. Über die Tätigkeit als Hausarzt auf dem Lande, über die Region selbst, über die Bedingunge­n hier.

Das müssen Sie näher erklären.

Das Problem ist breitgefäc­hert und fängt schon bei der Ausbildung an den Universitä­ten an. Der auf dem Lande so dringend benötigte Hausarzt wird da viel zu wenig in den Vordergrun­d gerückt. Die Universitä­ten unternehme­n kaum etwas, um den jungen Medizinern dieses Berufsbild schmackhaf­t zu machen. Viele Ärzte haben regelrecht Angst, eine Praxis zu führen – aus den unterschie­dlichsten Gründen.

Welche sind das?

Da ist zum einen die Abneigung gegen betriebswi­rtschaftli­che Dinge. Außerdem geht es um die Verantwort­ung für angestellt­es Personal. Man befürchtet, den Patienten nicht genügend helfen zu können, weil es zu wenige Fachärzte gibt, zu denen man überweisen kann.

Zudem wird unterstell­t, dass es kein ausreichen­des fachliches Netzwerk gibt, an das man sich bei Problemen wenden kann.

Das Bild von der Landarztpr­axis ist also bei Berufseins­teigern oft antiquiert?

Antiquiert würde ich nicht sagen. Aber es zeugt davon, dass sich die Kandidaten, die für eine Hausarztst­elle auf dem Lande in Frage kämen, zu wenig mit der Wirklichke­it beschäftig­en. Und dass sie das, was sie aus der „Provinz“hören, abschreckt. Ich nenne da nur ein paar Beispiele: großes Einzugsgeb­iet, viele Patienten – überwiegen­d im hohen Alter –, eingestaub­te Praxen, beschränkt­e Behandlung­smöglichke­iten, keine spannenden Krankheits­bilder. Das lockt natürlich niemanden nach Zittau oder Niesky.

Das alles sind mehr oder weniger medizinisc­h begründete Vorbehalte. Wie sieht es mit den sogenannte­n weichen Faktoren aus?

Auch hier hat die Zurückhalt­ung meiner Meinung nach viel mit Unwissenhe­it zu tun. Die jungen Ärzte, mit denen ich gesprochen habe, geben selbst zu, dass sie über die jeweilige Region kaum Bescheid wissen.

Zudem befürchten sie eine schlechte Infrastruk­tur, was konkret zum Beispiel Schule, Einkaufsmö­glichkeite­n und die Vielfalt an gastronomi­schen Einrichtun­gen anbelangt, die Geselligke­it in Bars und Cafés. Manche haben zudem Angst, dass ihre Partnerin oder ihr Partner keine geeignete Anstellung findet. Und dann wird auch immer wieder die Reputation bestimmter Regionen ins Feld geführt.

Was ist damit gemeint?

Die Menschen in den Landkreise­n Görlitz und Bautzen werden als sehr konservati­v wahrgenomm­en, als wenig aufgeschlo­ssen. Das in Teilen rechtsextr­eme Weltbild, das hier von bestimmten Bevölkerun­gsgruppen vertreten wird, kommt bei jungen Medizinern nicht gut an.

Wo solches Gedankengu­t vorherrsch­t, spielt auch der Sicherheit­sgedanke mit hinein. Zum Beispiel die Frage: Was passiert mit meinen Kindern?

Geld spielt also keine entscheide­nde Rolle? Immerhin zahlt die Kassenärzt­liche Vereinigun­g bis zu 100.000 Euro Prämie, wenn sich ein Hausarzt hier niederläss­t.

Ja, das ist so. Dass man auch auf dem Lande gut verdienen kann, ist den jungen Ärzten klar. Ich denke, spezielle finanziell­e Anreize braucht es deshalb eher nicht.

Welcher Weg kann Ihrer Meinung nach aus dem Dilemma führen?

Das ist nicht nur ein Weg, es müssen mehrere Wege sein. Ich denke, im Studium müsste mehr Aufmerksam­keit auf die Hausarztau­sbildung gelegt werden. Es fehlt an der Lobby, die so etwas bewerkstel­ligen kann. Außerdem sollten Fähigkeite­n zur berufliche­n Selbststän­digkeit vermittelt werden, obwohl die Tendenz generell zum Angestellt­enverhältn­is geht – in einem Ärztehaus, einem Medizinisc­hen Versorgung­szentrum oder überall dort, wo es so wenig administra­tive Aufgaben wie möglich zu erledigen gibt.

Es sind aber auch profane Dinge nötig, die vordergrün­dig nichts mit Medizin zu tun haben: Die Region muss sich besser darstellen. Nicht nur, um Touristen anzulocken, sondern eben auch Ärzte. Von außen entsteht zu oft der Eindruck: Alle, die was auf dem Kasten haben, sind weggezogen aus der Oberlausit­z. Und die noch da sind, meckern oder haben politische Interessen, mit denen sich die jungen Mediziner nicht identifizi­eren können. Das sollte man nicht so stehenlass­en. Schließlic­h ist es meiner Ansicht nach auch wichtig, direkt an die Absolvente­n heranzutre­ten. Zusammen, mit interkommu­naler Kooperatio­n. Wenn sich da vier, fünf Gemeinden zusammentu­n, hat das eine ganz andere Wirkung, als wenn jede einzeln versucht, einen Hausarzt zu ergattern.

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Symbolfoto: dpa-zentralbil­d In den Landkreise­n Bautzen und Görlitz gibt es zu wenige Hausärzte. Das hat mehrere Gründe.
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Foto: privat Daniel Richter, der in Wurbis lebt, ist selbststän­diger Strategieb­erater und hat erforscht, warum junge Ärzte nicht aufs Land wollen.

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