Sächsische Zeitung (Bautzen- Bischofswerda)
Deshalb wollen junge Hausärzte nicht aufs Land
Am Geld liegt es nicht. Dafür gibt es viele andere Gründe. Welche das sind, hat ein Oberlausitzer erforscht.
Die Gesundheitsversorgung in den ländlichen Regionen Ostsachsens wird immer schwieriger. Der Hauptgrund dafür ist, dass Ärzte nicht aufs Land wollen. Immer wieder schließen deshalb Praxen mangels Nachfolger. Daniel Richter (44), der im Schirgiswalde-kirschauer Ortsteil Wurbis lebt, ist einer, dessen Familie selbst unter der Situation leidet. Der sich andererseits aber auch um Besserung bemüht. Als freiberuflicher Strategieberater hat er an den Grundlagen einer Rekrutierungskampagne der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsens (KVS) mitgearbeitet und dazu viele angehende, aber auch fertig ausgebildete junge Ärzte befragt. Was er dabei herausgefunden hat, berichtet er im Sz-interview.
Herr Richter, Sie sind jetzt wieder „einer von hier“, haben sich für die Rückkehr aus den Altbundesländern entschieden. Und nehmen dafür die – sagen wir es so – problematischere Gesundheitsversorgung im östlichen Sachsen in Kauf. Warum?
Das war eine bewusste Entscheidung. Meine Frau hat zwar eine recht umfangreiche Krankengeschichte. Aber irgendwann sind wir an dem Punkt angelangt, dass die Hektik in München unserer Gesundheit nicht auf Dauer zuträglich ist. Ich stamme aus Cunewalde, jetzt wohnen wir in Wurbis bei Schirgiswalde.
Da ist klar, dass es nicht alle Fachärzte gleich in der Nähe gibt. Die Ruhe und das ländliche Umfeld sind uns aber wichtiger. Für die notwendigen Arzttermine bleiben wir Gesundheitstouristen.
Beruflich arbeiten Sie aber daran, die Situation zu verbessern. Sie haben erforscht, woran es liegt, dass so wenige Ärzte aufs Land – speziell auch in die Landkreise Bautzen und Görlitz – kommen wollen. Gibt es dafür den einen ausschlaggebenden Punkt?
Den einen Punkt gibt es sicherlich nicht. In meinen Gesprächen hat sich aber herauskristallisiert, dass viel Unwissenheit im Spiel ist. Über die Tätigkeit als Hausarzt auf dem Lande, über die Region selbst, über die Bedingungen hier.
Das müssen Sie näher erklären.
Das Problem ist breitgefächert und fängt schon bei der Ausbildung an den Universitäten an. Der auf dem Lande so dringend benötigte Hausarzt wird da viel zu wenig in den Vordergrund gerückt. Die Universitäten unternehmen kaum etwas, um den jungen Medizinern dieses Berufsbild schmackhaft zu machen. Viele Ärzte haben regelrecht Angst, eine Praxis zu führen – aus den unterschiedlichsten Gründen.
Welche sind das?
Da ist zum einen die Abneigung gegen betriebswirtschaftliche Dinge. Außerdem geht es um die Verantwortung für angestelltes Personal. Man befürchtet, den Patienten nicht genügend helfen zu können, weil es zu wenige Fachärzte gibt, zu denen man überweisen kann.
Zudem wird unterstellt, dass es kein ausreichendes fachliches Netzwerk gibt, an das man sich bei Problemen wenden kann.
Das Bild von der Landarztpraxis ist also bei Berufseinsteigern oft antiquiert?
Antiquiert würde ich nicht sagen. Aber es zeugt davon, dass sich die Kandidaten, die für eine Hausarztstelle auf dem Lande in Frage kämen, zu wenig mit der Wirklichkeit beschäftigen. Und dass sie das, was sie aus der „Provinz“hören, abschreckt. Ich nenne da nur ein paar Beispiele: großes Einzugsgebiet, viele Patienten – überwiegend im hohen Alter –, eingestaubte Praxen, beschränkte Behandlungsmöglichkeiten, keine spannenden Krankheitsbilder. Das lockt natürlich niemanden nach Zittau oder Niesky.
Das alles sind mehr oder weniger medizinisch begründete Vorbehalte. Wie sieht es mit den sogenannten weichen Faktoren aus?
Auch hier hat die Zurückhaltung meiner Meinung nach viel mit Unwissenheit zu tun. Die jungen Ärzte, mit denen ich gesprochen habe, geben selbst zu, dass sie über die jeweilige Region kaum Bescheid wissen.
Zudem befürchten sie eine schlechte Infrastruktur, was konkret zum Beispiel Schule, Einkaufsmöglichkeiten und die Vielfalt an gastronomischen Einrichtungen anbelangt, die Geselligkeit in Bars und Cafés. Manche haben zudem Angst, dass ihre Partnerin oder ihr Partner keine geeignete Anstellung findet. Und dann wird auch immer wieder die Reputation bestimmter Regionen ins Feld geführt.
Was ist damit gemeint?
Die Menschen in den Landkreisen Görlitz und Bautzen werden als sehr konservativ wahrgenommen, als wenig aufgeschlossen. Das in Teilen rechtsextreme Weltbild, das hier von bestimmten Bevölkerungsgruppen vertreten wird, kommt bei jungen Medizinern nicht gut an.
Wo solches Gedankengut vorherrscht, spielt auch der Sicherheitsgedanke mit hinein. Zum Beispiel die Frage: Was passiert mit meinen Kindern?
Geld spielt also keine entscheidende Rolle? Immerhin zahlt die Kassenärztliche Vereinigung bis zu 100.000 Euro Prämie, wenn sich ein Hausarzt hier niederlässt.
Ja, das ist so. Dass man auch auf dem Lande gut verdienen kann, ist den jungen Ärzten klar. Ich denke, spezielle finanzielle Anreize braucht es deshalb eher nicht.
Welcher Weg kann Ihrer Meinung nach aus dem Dilemma führen?
Das ist nicht nur ein Weg, es müssen mehrere Wege sein. Ich denke, im Studium müsste mehr Aufmerksamkeit auf die Hausarztausbildung gelegt werden. Es fehlt an der Lobby, die so etwas bewerkstelligen kann. Außerdem sollten Fähigkeiten zur beruflichen Selbstständigkeit vermittelt werden, obwohl die Tendenz generell zum Angestelltenverhältnis geht – in einem Ärztehaus, einem Medizinischen Versorgungszentrum oder überall dort, wo es so wenig administrative Aufgaben wie möglich zu erledigen gibt.
Es sind aber auch profane Dinge nötig, die vordergründig nichts mit Medizin zu tun haben: Die Region muss sich besser darstellen. Nicht nur, um Touristen anzulocken, sondern eben auch Ärzte. Von außen entsteht zu oft der Eindruck: Alle, die was auf dem Kasten haben, sind weggezogen aus der Oberlausitz. Und die noch da sind, meckern oder haben politische Interessen, mit denen sich die jungen Mediziner nicht identifizieren können. Das sollte man nicht so stehenlassen. Schließlich ist es meiner Ansicht nach auch wichtig, direkt an die Absolventen heranzutreten. Zusammen, mit interkommunaler Kooperation. Wenn sich da vier, fünf Gemeinden zusammentun, hat das eine ganz andere Wirkung, als wenn jede einzeln versucht, einen Hausarzt zu ergattern.