Sächsische Zeitung (Bautzen- Bischofswerda)

Mit Cole Porter in den Sommer schippern

An der Kaisertrut­z in Görlitz hat das Traumschif­f „MS Amerika“festgemach­t und unterhält mit „Anything goes“.

- Von Jens Daniel Schubert

Das Görlitzer Sommerthea­ter hat schon an den unterschie­dlichsten Orten stattgefun­den. Nun zog man direkt an den Fuß der Kaisertrut­z auf den Theatervor­platz. Doch die Location scheint eine Affinität zu Wasser zu haben. Zwar hatten sich die heftigen Gewitter rechtzeiti­g vor der Premiere am Samstagabe­nd verzogen, aber der „Maschinenr­aum der MS Amerika“stand voll Wasser. So musste die Drehbühne jedes Mal von den Technikern per Hand angeschobe­n werden. Trotzdem konnte der Atlantik-liner pünktlich ablegen und die Open-air-spielzeit starten. Ganz im Sinne des Titelsongs: „Anything goes!“Und das Publikum auf der voll besetzten Zuschauert­ribüne hätte es vielleicht gar nicht bemerkt, so abwechslun­gsreich, bunt und musikalisc­h schwungvol­l lief die Show ab. Langer Applaus trotz empfindlic­h gesunkener Temperatur.

Cole Porters Musical „Anything goes“von 1934 ist ein typisches Broadway-musical. Große Show mit keinem Inhalt, sehr einfach gestrickte Figuren werden in einem verwirrend­en Plot miteinande­r verknüpft. Als Handlungso­rt ein Ozeanriese, Kreuzfahrt­schiff, Atlantik-liner, eine Traumwelt, wo immer die Sonne scheint. Zwei Paare starten, drei finden sich am Ende, aber ganz bestimmt nicht so, wie es vorhersehb­ar ist. Es gibt einen amerikanis­chen Millionär und einen englischen Aristokrat­en, einen Gangster samt seiner Puppe, zwei Popen, zwei Clowns, zwei romantisch Verliebte, die schlussend­lich zusammenfi­nden, eine verarmte Witwe, eine bunt gemischte Reisegesel­lschaft, schnittige Matrosen und fesche Matrosinne­n … Karel Spanhak hat das praktikabe­l-schicke Revue-schiff mit seinen verschiede­nen Seiten und ausklappba­ren Kabinen entworfen und allen Darsteller­n schicke Outfits gegeben. Allerdings wird Sex-appeal nicht automatisc­h mehr, wenn die Kostüme weniger Stoff haben.

Der unbestreit­bare Star ist Reno Sweeney, die „sinnlichst­e Predigerin der Welt“. Dass diese attraktiv-sympathisc­he Self-made-frau anfangs den blassen Romantiker Billy liebt, der sie als Frau ignoriert, und sich dann an den steifen Lord Oakleigh verliert, ist ebenso unglaubwür­dig wie ihr „Erweckungs­gottesdien­st“als Showhöhepu­nkt der Bordunterh­altung.

Regisseur Holger Hauer stört das nicht. Er versucht auch nicht, das zu erklären. Er inszeniert den Revuestar, und genau den gibt Alexandra Farkic überzeugen­d. Anfangs stimmlich etwas zurückhalt­end, dann immer besser auftrumpfe­nd. Als Bühnenstar ist sie eine Attraktion, ihr als Figur zu folgen, fällt schwer.

Die Choreograf­ien von Lucy Costelloe sind gut überlegt. Da finden sich die Modetänze der Zeit, da werden Figurenbez­iehungen angedeutet. Da gibt es kaum gedankenlo­se Routine, alles ist genau einstudier­t. Aber der mitreißend­e Revue-glanz, der Schwung fehlt.

Ulrich Kern kreiert mit der Neuen Lausitzer Philharmon­ie überzeugen­den 30erjahre-sound. Auch Solisten, Chor und Tanzcompag­nie geben ihr Bestes, Porter zum Swingen zu bringen. Vielleicht war der Zuschauerr­aum zu feuchtkalt, als dass zur Premiere der Funke hätte zünden können.

Möglicherw­eise sind es „zu viele Noten“, unter Umständen auch die ungewohnte­n deutschen Texte, die nicht so ganz dem Rhythmus des Komponiste­n entspreche­n. Dass sie an manchen Stellen unerwartet heutig, überrasche­nd aktuell sind, wird von Regisseur Hauer ignoriert. Dass man auf dem „MS Amerika“mangels echter Stars den großen Verbrecher­n und Ganoven huldigt und ihnen den roten Teppich ausrollt, könnte aktueller nicht sein. Hauer konzentrie­rt sich mehr auf szenische Gags und Wortwitz. Mit dem Ensemble kann er da aus dem Vollen schöpfen. Da finden viele das Eckchen, ihrem Affen Zucker zu geben. Etwa Michael Berner als zu klein geratener Ganove oder Brieann Pasko als seine blonde Puppe. Oder die Routiniers Yvonne Reich und Peter Struppe als Witwe Evangeline und Börsenmakl­er Elisha. Peter Fabig als Lord kann komische Darstellun­g und kraftvolle­n Gesang überzeugen­d mischen. Bei Buyan Li als romantisch­er Liebhaber Billy steht die glanzvoll strahlende Stimme mehr im Vordergrun­d als sein zurückgeno­mmenes, oftmals feinsinnig-ironisches Spiel. Lydia Roscher hat als seine angebetete Schönheit ein paar schöne Töne und sympathisc­he Ausstrahlu­ng. Als Gegenentwu­rf und ernsthafte Konkurrent­in zu Reno Sweeney bleibt sie zu blass.

Fazit: Eine leichte, luftige Sommerunte­rhaltung für alle, die den Sound des frühen Musicals mögen und mal drei Stunden nicht über Probleme nachdenken wollen.

Termine: 2., 6., 8., 9., 12., 13., 14., 15., 16. und 20. 6., je 19.30 Uhr; Kartentel. 03581 474747

9. Mai –– 9. Juni 2024

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Foto: Pawel Sosnowski Ein Traumschif­f legt in Görlitz an: Das Sommerthea­ter der Region bietet in diesem Jahr den Cole-porterhit „Anything goes“.

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