Sächsische Zeitung (Dippoldiswalde)
Jäger der unsichtbaren Spur
Die Bundespolizei Berggießhübel hat massig Schleuserautos in Verwahrung. Die Fahrzeuge können Täter überführen.
Manchmal ist Kommissar Zufall der beste Ermittler. Eine Gruppe Migranten war in Pirna wie aus dem Nichts aufgetaucht. Vom Schleuser keine Spur. Dachte man. Denn als die Aufgegriffenen später das Gelände der Bundespolizei Berggießhübel Richtung Erstaufnahme verließen, entdeckten sie ein bekanntes Vehikel vor dem Dienstgebäude: ihr Schleuserauto.
Der Kastenwagen mit lettischer Zulassung war auf dem Weg zur Autobahn gestoppt worden. Weil mit dem Führerschein etwas nicht stimmte, mussten Fahrer und Fahrzeug mit zur Dienststelle kommen. Der Fahrer war zwar schon entlassen worden. Sein Auto aber blieb festgesetzt und wird ihn nun, wenn die Spuren es hergeben, als Menschenschmuggler verraten.
Die illegale Migration hat die Bundespolizeidirektion Pirna massenhaft in den Besitz von Autos gebracht. Wie ein Sprecher mitteilt, seien aktuell rund 190 Fahrzeuge im Direktionsbereich sichergestellt. Allein die Bundespolizeiinspektion Berggießhübel, zuständig für den Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, hält etwa sechzig Autos aus Schleusungen unter Verschluss.
Werden Schleuser ertappt, müssen sie ihre Wagen in aller Regel der Polizei übergeben. Die Beamten stellen die Fahrzeuge sicher, einerseits vorbeugend, um die Interessen des Eigentümers, zum Beispiel einer Mietwagenfirma, zu schützen. Andererseits können Autos Beweismittel im Strafverfahren sein. Die Sicherstellung soll verhindern, dass die Beweise verschwinden.
So steht der lettische Transporter nun in einem abgezäunten Karree hinter einer verlassenen Fabrik im Pirnaer Umland. Wo genau, will weder die Abschleppfirma, die diesen Platz betreibt, noch die Polizei öffentlich geschrieben sehen. Man will niemanden einladen, sich unerlaubt an den Asservaten zu schaffen zu machen.
René Schröder macht sich heute hier zu schaffen. Er darf das. Der Polizeihauptmeister gehört zum Ermittlungsdienst der Berggießhübler Inspektion. Sein Fach ist die Kriminaltechnik. Sechzehn Jahre schon fährt er mit seinen Koffern voller Utensilien in der Region umher, um heiße Spuren zu suchen und festzuhalten.
Bei dem Transporter aus Lettland kennt man den Fahrer. Und man kennt die Geschleusten. Es fehlt der Nachweis, dass die Geschleusten im Laderaum des Fahrers waren. Ihre Fingerabdrücke müssten sich darin wiederfinden. Beim Suchen hilft: Sekundenkleber.
Der Trick mit dem Klebstoffdampf
Genau genommen ist es Cyanacrylat, ein Inhaltsstoff des Leims. Diese Substanz wird im Fahrzeugheck unter hoher Luftfeuchte verdampft. Die Dämpfe lagern sich an die Fettpartikel der Fingerspuren an, die dadurch erkannt und gesichert werden können. Schröder hat damit gute Erfahrungen gemacht. „Das ergibt schöne Profile.“
Die Nummer mit dem Dampf kommt aber später. Heute ist der Kriminaltechniker hier, um DNA-Proben einzusammeln. Dazu hat der Platzwart einen Opel Movano aus der Wagenmasse heraus bugsiert. Schröder lugt durch die Seitenscheiben.
Dann beginnt er, die Spurenliste auszufüllen, den Plan, an welchen Stellen er Abstriche nehmen wird. Und das sind nicht wenige. „Das Blatt kriege ich voll.“
Der Fall ereignete sich Ende Oktober, eine Woche nach Wiedereinführung der Grenzkontrollen. Eine Frau sieht, wie in Löwenhain Menschen aus dem weißen Kastenwagen mit polnischer Nummer heraus klettern. Die Bundespolizei wird alarmiert. Schon im Nachbarort Geising stoppen Beamte das Auto und verhaften den Fahrer. Er ist nun verdächtig, 23 Syrer ins Land geschmuggelt zu haben.
DNA-Proben gehen zum BKA
Zu dieser Zeit war die Zahl der Aufgriffe im Berggießhübler Inspektionsbereich bereits merklich zurückgegangen, nach einem Sommer im Dauerstress, mit bis zu einem Dutzend Schleusungen und bis zu 140 Geschleusten am Tag. Inzwischen herrscht weitgehend „Frieden“, sagt René Schröder. Zurücklehnen kann er sich nicht. Vieles ist aufzuarbeiten. Und je ruhiger es wird, desto mehr geht es auch wieder ins Detail bei der Kriminaltechnik.
Während der heißen Phase hat sich Schröder auf die Basics konzentriert, auf das „Durchfotografieren“der Wagen. Die Bilder vermitteln den Sachbearbeitern einen ersten Eindruck. Dann wird entschieden, welche Untersuchungen noch nötig sind. Im Fall des Opel Movano wurden weitere mutmaßliche Tatbeteiligte ausfindig gemacht. DNA-Spuren von ihnen aus dem Inneren des Fahrzeugs würden die Beweislast deutlich erhöhen.
„Jetzt machen wir uns mal hübsch!“Der Polizist steigt in einen Schutzanzug, zieht den Mundschutz auf und Handschuhe an, um nicht die eigene DNA großflächig in das Cockpit zu tragen. Dann reißt er die Tüte des ersten Probenröhrchens auf, öffnet die Fahrertür, sprüht destilliertes Wasser auf das Wattestäbchen und beginnt, den Zuziehgriff abzurubbeln.
So geht es nun die nächste halbe Stunde: aufreißen, einsprühen, abreiben, an jedem Fleck, den ein Fahrer oder Beifahrer intensiv anfasst. Türöffner, Blinkerhebel, Schaltknauf, Gurtschloss, Fensterheber, auch das Lenkrad, einmal die Runde rum. Am Ende hat Schröder 17 Spuren eingesammelt. Das Blatt hat nicht ausgereicht.
Die Röhrchen gehen nach Wiesbaden, zum Bundeskriminalamt. Dort werden die DNA-Muster herausgearbeitet und zur Analysedatei hinzugefügt. Die Sammlung enthält weit mehr als eine Million Datensätze, von bekannten Personen und von unbekannten, und steht im Austausch mit den Datenbanken der EU-Länder. Sie gilt als erfolgreichstes kriminalistisches Instrument überhaupt. In etwa einem Monat wird René Schröder die Ergebnisse haben.
Der Opel ist ein Mietwagen. In den nächsten Tagen kommen die Abholer. Etwa fünfzig Prozent der Schleuserautos gehen an die Besitzer zurück, schätzt der Platzwart, oftmals aber mit empfindlichen Kosten, allein fürs Abschleppen und Verwahren laut Bundespolizeidirektion bis zu tausend Euro, zuzüglich weiterer Gebühren.
Von den anderen fünfzig Prozent stehen manche schon seit April hier rum, meist heruntergerittene Kisten mit astronomischer Laufleistung. Auf sie wartet die Versteigerung beim bundeseigenen Auktionshaus, der Vebeg. Verwertung geht vor Schrottpresse, notfalls mit deutlich reduziertem Einstiegsgebot. Bislang, so sagt die Bundespolizei Pirna, hätten alle betreffenden Fahrzeuge veräußert werden können.