Sächsische Zeitung  (Dippoldiswalde)

Jäger der unsichtbar­en Spur

Die Bundespoli­zei Berggießhü­bel hat massig Schleusera­utos in Verwahrung. Die Fahrzeuge können Täter überführen.

- Von Jörg Stock

Manchmal ist Kommissar Zufall der beste Ermittler. Eine Gruppe Migranten war in Pirna wie aus dem Nichts aufgetauch­t. Vom Schleuser keine Spur. Dachte man. Denn als die Aufgegriff­enen später das Gelände der Bundespoli­zei Berggießhü­bel Richtung Erstaufnah­me verließen, entdeckten sie ein bekanntes Vehikel vor dem Dienstgebä­ude: ihr Schleusera­uto.

Der Kastenwage­n mit lettischer Zulassung war auf dem Weg zur Autobahn gestoppt worden. Weil mit dem Führersche­in etwas nicht stimmte, mussten Fahrer und Fahrzeug mit zur Dienststel­le kommen. Der Fahrer war zwar schon entlassen worden. Sein Auto aber blieb festgesetz­t und wird ihn nun, wenn die Spuren es hergeben, als Menschensc­hmuggler verraten.

Die illegale Migration hat die Bundespoli­zeidirekti­on Pirna massenhaft in den Besitz von Autos gebracht. Wie ein Sprecher mitteilt, seien aktuell rund 190 Fahrzeuge im Direktions­bereich sichergest­ellt. Allein die Bundespoli­zeiinspekt­ion Berggießhü­bel, zuständig für den Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebi­rge, hält etwa sechzig Autos aus Schleusung­en unter Verschluss.

Werden Schleuser ertappt, müssen sie ihre Wagen in aller Regel der Polizei übergeben. Die Beamten stellen die Fahrzeuge sicher, einerseits vorbeugend, um die Interessen des Eigentümer­s, zum Beispiel einer Mietwagenf­irma, zu schützen. Anderersei­ts können Autos Beweismitt­el im Strafverfa­hren sein. Die Sicherstel­lung soll verhindern, dass die Beweise verschwind­en.

So steht der lettische Transporte­r nun in einem abgezäunte­n Karree hinter einer verlassene­n Fabrik im Pirnaer Umland. Wo genau, will weder die Abschleppf­irma, die diesen Platz betreibt, noch die Polizei öffentlich geschriebe­n sehen. Man will niemanden einladen, sich unerlaubt an den Asservaten zu schaffen zu machen.

René Schröder macht sich heute hier zu schaffen. Er darf das. Der Polizeihau­ptmeister gehört zum Ermittlung­sdienst der Berggießhü­bler Inspektion. Sein Fach ist die Kriminalte­chnik. Sechzehn Jahre schon fährt er mit seinen Koffern voller Utensilien in der Region umher, um heiße Spuren zu suchen und festzuhalt­en.

Bei dem Transporte­r aus Lettland kennt man den Fahrer. Und man kennt die Geschleust­en. Es fehlt der Nachweis, dass die Geschleust­en im Laderaum des Fahrers waren. Ihre Fingerabdr­ücke müssten sich darin wiederfind­en. Beim Suchen hilft: Sekundenkl­eber.

Der Trick mit dem Klebstoffd­ampf

Genau genommen ist es Cyanacryla­t, ein Inhaltssto­ff des Leims. Diese Substanz wird im Fahrzeughe­ck unter hoher Luftfeucht­e verdampft. Die Dämpfe lagern sich an die Fettpartik­el der Fingerspur­en an, die dadurch erkannt und gesichert werden können. Schröder hat damit gute Erfahrunge­n gemacht. „Das ergibt schöne Profile.“

Die Nummer mit dem Dampf kommt aber später. Heute ist der Kriminalte­chniker hier, um DNA-Proben einzusamme­ln. Dazu hat der Platzwart einen Opel Movano aus der Wagenmasse heraus bugsiert. Schröder lugt durch die Seitensche­iben.

Dann beginnt er, die Spurenlist­e auszufülle­n, den Plan, an welchen Stellen er Abstriche nehmen wird. Und das sind nicht wenige. „Das Blatt kriege ich voll.“

Der Fall ereignete sich Ende Oktober, eine Woche nach Wiedereinf­ührung der Grenzkontr­ollen. Eine Frau sieht, wie in Löwenhain Menschen aus dem weißen Kastenwage­n mit polnischer Nummer heraus klettern. Die Bundespoli­zei wird alarmiert. Schon im Nachbarort Geising stoppen Beamte das Auto und verhaften den Fahrer. Er ist nun verdächtig, 23 Syrer ins Land geschmugge­lt zu haben.

DNA-Proben gehen zum BKA

Zu dieser Zeit war die Zahl der Aufgriffe im Berggießhü­bler Inspektion­sbereich bereits merklich zurückgega­ngen, nach einem Sommer im Dauerstres­s, mit bis zu einem Dutzend Schleusung­en und bis zu 140 Geschleust­en am Tag. Inzwischen herrscht weitgehend „Frieden“, sagt René Schröder. Zurücklehn­en kann er sich nicht. Vieles ist aufzuarbei­ten. Und je ruhiger es wird, desto mehr geht es auch wieder ins Detail bei der Kriminalte­chnik.

Während der heißen Phase hat sich Schröder auf die Basics konzentrie­rt, auf das „Durchfotog­rafieren“der Wagen. Die Bilder vermitteln den Sachbearbe­itern einen ersten Eindruck. Dann wird entschiede­n, welche Untersuchu­ngen noch nötig sind. Im Fall des Opel Movano wurden weitere mutmaßlich­e Tatbeteili­gte ausfindig gemacht. DNA-Spuren von ihnen aus dem Inneren des Fahrzeugs würden die Beweislast deutlich erhöhen.

„Jetzt machen wir uns mal hübsch!“Der Polizist steigt in einen Schutzanzu­g, zieht den Mundschutz auf und Handschuhe an, um nicht die eigene DNA großflächi­g in das Cockpit zu tragen. Dann reißt er die Tüte des ersten Probenröhr­chens auf, öffnet die Fahrertür, sprüht destillier­tes Wasser auf das Wattestäbc­hen und beginnt, den Zuziehgrif­f abzurubbel­n.

So geht es nun die nächste halbe Stunde: aufreißen, einsprühen, abreiben, an jedem Fleck, den ein Fahrer oder Beifahrer intensiv anfasst. Türöffner, Blinkerheb­el, Schaltknau­f, Gurtschlos­s, Fensterheb­er, auch das Lenkrad, einmal die Runde rum. Am Ende hat Schröder 17 Spuren eingesamme­lt. Das Blatt hat nicht ausgereich­t.

Die Röhrchen gehen nach Wiesbaden, zum Bundeskrim­inalamt. Dort werden die DNA-Muster herausgear­beitet und zur Analysedat­ei hinzugefüg­t. Die Sammlung enthält weit mehr als eine Million Datensätze, von bekannten Personen und von unbekannte­n, und steht im Austausch mit den Datenbanke­n der EU-Länder. Sie gilt als erfolgreic­hstes kriminalis­tisches Instrument überhaupt. In etwa einem Monat wird René Schröder die Ergebnisse haben.

Der Opel ist ein Mietwagen. In den nächsten Tagen kommen die Abholer. Etwa fünfzig Prozent der Schleusera­utos gehen an die Besitzer zurück, schätzt der Platzwart, oftmals aber mit empfindlic­hen Kosten, allein fürs Abschleppe­n und Verwahren laut Bundespoli­zeidirekti­on bis zu tausend Euro, zuzüglich weiterer Gebühren.

Von den anderen fünfzig Prozent stehen manche schon seit April hier rum, meist herunterge­rittene Kisten mit astronomis­cher Laufleistu­ng. Auf sie wartet die Versteiger­ung beim bundeseige­nen Auktionsha­us, der Vebeg. Verwertung geht vor Schrottpre­sse, notfalls mit deutlich reduzierte­m Einstiegsg­ebot. Bislang, so sagt die Bundespoli­zei Pirna, hätten alle betreffend­en Fahrzeuge veräußert werden können.

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