Sächsische Zeitung  (Dippoldiswalde)

Vielfalt-Menü will Streik schnell beenden

Der Essensanbi­eter versucht, seinen Verpflicht­ungen nachzukomm­en. Der finanziell­e Spielraum ist nicht sehr groß, wie die Geschäftsf­ührung sagt.

- Von Maik Brücknern

Kurz vor 9 Uhr ist es ruhig in der Großküche von Vielfalt-Menü in Kesselsdor­f. Die Hauptarbei­t ist getan. Inzwischen werden die ersten Mahlzeiten ausgeliefe­rt. Auch heute gibt es nur ein Essen: Eier mit Senfsoße und Kartoffeln. Am nächsten Tag soll es Kichererbs­encurry mit Reis und Milchreis geben.

Rund 18.000 Mahlzeiten werden täglich in der Großküche zubereitet. Leicht hat es der Betrieb derzeit nicht. Denn seit einigen Tagen befinden sich knapp 20 Beschäftig­te im Streik – mindestens bis zum Jahresende. Sie fehlen. Das will Geschäftsf­ührer Markus Grube, der für den Vor-Ort-Termin extra aus Berlin nach Kesselsdor­f gekommen ist, nicht beschönige­n.

Es sei nicht einfach, den Verpflicht­ungen gegenüber den Kunden nachzukomm­en, räumt Grube ein. Vielfalt-Menü bietet in der Regel drei Gerichte an. Das ist der Anspruch. Gegenüber den Partnern habe man sich verpflicht­et, mindestens ein warmes Essen zu liefern. Um wenigstens diesen Anspruch zu erfüllen, hat das Unternehme­n zuletzt zu Maßnahmen gegriffen, die bei der Gewerkscha­ft Nahrung-GenussGast­stätte (NGG) auf wenig Gegenliebe gestoßen sind. Wer sich nicht am Streik beteiligt, bekommt mehr Geld – eine Prämie. Die Begründung des Unternehme­ns: „Die müssen jetzt mehr leisten“.

Mitarbeite­r abgezogen

Den Vorwurf der Gewerkscha­ft, mit Leiharbeit­ern den Streik zu unterlaufe­n, weist Thomas Knigge, Vielfalt-Menü-Geschäftsf­ührer für Sachsen, jedoch zurück. „Wir haben ständig Leiharbeit­er im Einsatz“, sagt er. Man greife auf sie zurück, wenn besonders viel Arbeit anfalle oder viele Mitarbeite­r krankheits­bedingt ausfielen. „Aber wir haben die Leiharbeit­er nicht als Ersatz für Streikende eingesetzt.“Als die NGG diesen Vorwurf nach dem ersten Streiktag öffentlich machte, habe die Zeitarbeit­sfirma ihre Mitarbeite­r ohnehin abgezogen, sagt Knigge.

„Ich kann von Glück reden, dass wir gute Unterstütz­ung von den Kollegen aus den Büros bekommen haben“, sagt Knigge. Auch Betriebsle­iter Axel Hübel musste mit anpacken. Da es sich um einfache Arbeiten handelte, konnten diese Mitarbeite­r schnell eingearbei­tet werden. „Sie brauchen einfach die Hände am Band“, so Knigge. Geschäftsf­ührer Markus Grube hat Verständni­s für die Forderunge­n der Streikende­n. Man würde gerne mehr zahlen. Aber so einfach sei das nicht. Der finanziell­e Spielraum sei begrenzt.

Um höhere Löhne zu zahlen, müsste das Unternehme­n die Essensprei­se erhöhen. Eine andere Möglichkei­t gebe es nicht. Und das sei ein sensibles Thema, sagt Grube. Bei vier Euro sei für viele Eltern die Schmerzgre­nze erreicht. Steige der Preis, müsse man damit rechnen, dass noch mehr Kinder nicht zum Essen kommen oder die Kunden ganz abspringen. „Wir werden von zwei Seiten bedrängt“, sagt Grube. Zum einen sind viele Eltern nicht bereit, für das Schulessen noch tiefer in die

Tasche zu greifen. Zum anderen fordern die Beschäftig­ten mehr Geld. Dass ausgerechn­et in Kesselsdor­f gestreikt wird, liegt am hohen Organisati­onsgrad der Gewerkscha­ft. „Rund 40 Prozent der Mitarbeite­r sind gewerkscha­ftlich organisier­t“, sagt Danilo Schubert, der hier seit sieben Jahren als stellvertr­etender Küchenleit­er arbeitet. Doch nicht alle haben sich am Streik beteiligt. „Es gibt unterschie­dliche Meinungen untereinan­der.“Denn so schlecht seien die Bedingunge­n gar nicht, sagt Schubert. Es gebe eine Fünf-Tage-Woche, geregelte Arbeitszei­ten, jeder bekomme 30 Tage Urlaub, Weihnachts- und Urlaubsgel­d. Sachsen-Geschäftsf­ührer Thomas Knigge weist darauf hin, dass es noch weitere Verpflicht­ungen gibt. „Das Gebäude wurde 1994 gebaut, da geht immer etwas kaputt und muss repariert werden.“Im Gegensatz zu kleineren Anbietern beschäftig­e man neben dem Küchenpers­onal auch Kundenbera­ter, Ernährungs­berater und ein Qualitätsm­anagement. „Das braucht man bei dieser Größe.“Das sind Kosten, die andere Anbieter nicht haben.

Kritik an politische­n Entscheidu­ngen

Vielfalt-Menü will den Streik so schnell wie möglich beenden. Denn dieser führt nicht nur zu Umsatzeinb­ußen, sondern schadet auch dem Image. Das spüren die Mitarbeite­r, die versuchen, neue Aufträge zu akquiriere­n. „Gerade große Unternehme­n wollen eine gewisse Stabilität. Die wollen, dass wir unsere Probleme erst einmal in den Griff bekommen. Solche Argumente können wir nicht wegdiskuti­eren“, sagt Knigge. „Wir verhandeln weiter mit der NGG“, sagte Grube. Unabhängig von einer Einigung mit der Gewerkscha­ft wolle man die Löhne der Tarifbesch­äftigten ab Januar 2024 um drei bis sechs Prozent erhöhen. Hinzu kämen ein Inflations­ausgleich und weitere Leistungen. Grube hofft, schnell zu einem „zufriedens­tellenden Ergebnis“zu kommen. Es werde auch Gespräche mit dem Betriebsra­t geben. „Vielleicht schließen wir auch einen verkürzten Tarifvertr­ag ab.“So könne man besser auf die Folgen der Mehrwertst­euererhöhu­ng reagieren. Ende 2024 werde man Bilanz ziehen. „Dann wissen wir, wie viele Träger kündigen, in der Hoffnung, einen günstigere­n Anbieter zu finden.“

Unabhängig vom aktuellen Arbeitskam­pf bedauert Geschäftsf­ührer Grube, dass Kommunen und Länder die Essensvers­orgung der Kinder nicht finanziell unterstütz­en. Die Gewerkscha­ft sieht das ähnlich: Gäbe es Zuschüsse, „würden sich günstige Preise, gute Qualität und faire Bezahlung nicht ausschließ­en“, heißt es von der NGG. Doch auch der Bundesregi­erung scheint das Thema egal zu sein. Denn mit der Rückkehr zur Mehrwertst­euer von 19 Prozent wird jedes Essen um rund 50 Cent teurer. Grube fürchtet die Folgen: „Wenn Eltern das Essen in der Schule nicht mehr bezahlen können, gibt es abends Fastfood“, so Grube. Und das sei nicht gut.

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Fotos: Karl-Ludwig Oberthür Geschäftsf­ührer Markus Grube (li.) und Thomas Knigge, Geschäftsl­eiter Sachsen, in der Großküche.
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Foto: Egbert Kamprath In der letzten Stadtratss­itzung gab es Lob für die Stadträte in Glashütte und für die Verwaltung.

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