Sächsische Zeitung (Dippoldiswalde)
Vielfalt-Menü will Streik schnell beenden
Der Essensanbieter versucht, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Der finanzielle Spielraum ist nicht sehr groß, wie die Geschäftsführung sagt.
Kurz vor 9 Uhr ist es ruhig in der Großküche von Vielfalt-Menü in Kesselsdorf. Die Hauptarbeit ist getan. Inzwischen werden die ersten Mahlzeiten ausgeliefert. Auch heute gibt es nur ein Essen: Eier mit Senfsoße und Kartoffeln. Am nächsten Tag soll es Kichererbsencurry mit Reis und Milchreis geben.
Rund 18.000 Mahlzeiten werden täglich in der Großküche zubereitet. Leicht hat es der Betrieb derzeit nicht. Denn seit einigen Tagen befinden sich knapp 20 Beschäftigte im Streik – mindestens bis zum Jahresende. Sie fehlen. Das will Geschäftsführer Markus Grube, der für den Vor-Ort-Termin extra aus Berlin nach Kesselsdorf gekommen ist, nicht beschönigen.
Es sei nicht einfach, den Verpflichtungen gegenüber den Kunden nachzukommen, räumt Grube ein. Vielfalt-Menü bietet in der Regel drei Gerichte an. Das ist der Anspruch. Gegenüber den Partnern habe man sich verpflichtet, mindestens ein warmes Essen zu liefern. Um wenigstens diesen Anspruch zu erfüllen, hat das Unternehmen zuletzt zu Maßnahmen gegriffen, die bei der Gewerkschaft Nahrung-GenussGaststätte (NGG) auf wenig Gegenliebe gestoßen sind. Wer sich nicht am Streik beteiligt, bekommt mehr Geld – eine Prämie. Die Begründung des Unternehmens: „Die müssen jetzt mehr leisten“.
Mitarbeiter abgezogen
Den Vorwurf der Gewerkschaft, mit Leiharbeitern den Streik zu unterlaufen, weist Thomas Knigge, Vielfalt-Menü-Geschäftsführer für Sachsen, jedoch zurück. „Wir haben ständig Leiharbeiter im Einsatz“, sagt er. Man greife auf sie zurück, wenn besonders viel Arbeit anfalle oder viele Mitarbeiter krankheitsbedingt ausfielen. „Aber wir haben die Leiharbeiter nicht als Ersatz für Streikende eingesetzt.“Als die NGG diesen Vorwurf nach dem ersten Streiktag öffentlich machte, habe die Zeitarbeitsfirma ihre Mitarbeiter ohnehin abgezogen, sagt Knigge.
„Ich kann von Glück reden, dass wir gute Unterstützung von den Kollegen aus den Büros bekommen haben“, sagt Knigge. Auch Betriebsleiter Axel Hübel musste mit anpacken. Da es sich um einfache Arbeiten handelte, konnten diese Mitarbeiter schnell eingearbeitet werden. „Sie brauchen einfach die Hände am Band“, so Knigge. Geschäftsführer Markus Grube hat Verständnis für die Forderungen der Streikenden. Man würde gerne mehr zahlen. Aber so einfach sei das nicht. Der finanzielle Spielraum sei begrenzt.
Um höhere Löhne zu zahlen, müsste das Unternehmen die Essenspreise erhöhen. Eine andere Möglichkeit gebe es nicht. Und das sei ein sensibles Thema, sagt Grube. Bei vier Euro sei für viele Eltern die Schmerzgrenze erreicht. Steige der Preis, müsse man damit rechnen, dass noch mehr Kinder nicht zum Essen kommen oder die Kunden ganz abspringen. „Wir werden von zwei Seiten bedrängt“, sagt Grube. Zum einen sind viele Eltern nicht bereit, für das Schulessen noch tiefer in die
Tasche zu greifen. Zum anderen fordern die Beschäftigten mehr Geld. Dass ausgerechnet in Kesselsdorf gestreikt wird, liegt am hohen Organisationsgrad der Gewerkschaft. „Rund 40 Prozent der Mitarbeiter sind gewerkschaftlich organisiert“, sagt Danilo Schubert, der hier seit sieben Jahren als stellvertretender Küchenleiter arbeitet. Doch nicht alle haben sich am Streik beteiligt. „Es gibt unterschiedliche Meinungen untereinander.“Denn so schlecht seien die Bedingungen gar nicht, sagt Schubert. Es gebe eine Fünf-Tage-Woche, geregelte Arbeitszeiten, jeder bekomme 30 Tage Urlaub, Weihnachts- und Urlaubsgeld. Sachsen-Geschäftsführer Thomas Knigge weist darauf hin, dass es noch weitere Verpflichtungen gibt. „Das Gebäude wurde 1994 gebaut, da geht immer etwas kaputt und muss repariert werden.“Im Gegensatz zu kleineren Anbietern beschäftige man neben dem Küchenpersonal auch Kundenberater, Ernährungsberater und ein Qualitätsmanagement. „Das braucht man bei dieser Größe.“Das sind Kosten, die andere Anbieter nicht haben.
Kritik an politischen Entscheidungen
Vielfalt-Menü will den Streik so schnell wie möglich beenden. Denn dieser führt nicht nur zu Umsatzeinbußen, sondern schadet auch dem Image. Das spüren die Mitarbeiter, die versuchen, neue Aufträge zu akquirieren. „Gerade große Unternehmen wollen eine gewisse Stabilität. Die wollen, dass wir unsere Probleme erst einmal in den Griff bekommen. Solche Argumente können wir nicht wegdiskutieren“, sagt Knigge. „Wir verhandeln weiter mit der NGG“, sagte Grube. Unabhängig von einer Einigung mit der Gewerkschaft wolle man die Löhne der Tarifbeschäftigten ab Januar 2024 um drei bis sechs Prozent erhöhen. Hinzu kämen ein Inflationsausgleich und weitere Leistungen. Grube hofft, schnell zu einem „zufriedenstellenden Ergebnis“zu kommen. Es werde auch Gespräche mit dem Betriebsrat geben. „Vielleicht schließen wir auch einen verkürzten Tarifvertrag ab.“So könne man besser auf die Folgen der Mehrwertsteuererhöhung reagieren. Ende 2024 werde man Bilanz ziehen. „Dann wissen wir, wie viele Träger kündigen, in der Hoffnung, einen günstigeren Anbieter zu finden.“
Unabhängig vom aktuellen Arbeitskampf bedauert Geschäftsführer Grube, dass Kommunen und Länder die Essensversorgung der Kinder nicht finanziell unterstützen. Die Gewerkschaft sieht das ähnlich: Gäbe es Zuschüsse, „würden sich günstige Preise, gute Qualität und faire Bezahlung nicht ausschließen“, heißt es von der NGG. Doch auch der Bundesregierung scheint das Thema egal zu sein. Denn mit der Rückkehr zur Mehrwertsteuer von 19 Prozent wird jedes Essen um rund 50 Cent teurer. Grube fürchtet die Folgen: „Wenn Eltern das Essen in der Schule nicht mehr bezahlen können, gibt es abends Fastfood“, so Grube. Und das sei nicht gut.