Sächsische Zeitung  (Dippoldiswalde)

Talsperre Klingenber­g: Der Stollen, der unseren Durst löscht

Die Stauanlage hat einen unterirdis­chen Bypass. Er schützt vor Schmutz und kann notfalls Trinkwasse­r direkt in die Wasserwerk­e befördern.

- Von Jörg Stock

Wer die Talsperre Klingenber­g von Anfang bis Ende ablaufen will, hat ungefähr fünf Kilometer Marsch vor sich. Michael Kloppisch kann abkürzen. Für ihn sind es nur gute drei, wenn er den unterirdis­chen Wanderweg nimmt. Einen Weg, auf dem niemals schlechtes Wetter ist. Dafür fehlt die Aussicht. Schwärze und Beton und der Tritt der eigenen Stiefel sind alles, was es da unten gibt.

Der Hochwasser­entlastung­sstollen ist nicht für Touristen da. Er ist für die besonderen Lebenslage­n des Trinkwasse­rspeichers gemacht. 3.300 Meter lang, reicht er von der Vorsperre bis ins Tal jenseits der Hauptsperr­mauer. Nach Wolkenbrüc­hen kann er den ersten Schwall trüben Wassers um den Stausee herum leiten und so die Filter im Wasserwerk schonen. Er sorgt aber auch dafür, dass überhaupt Wasser kommt, wenn die Talsperre selbst keins liefern kann, etwa dann, wenn gebaut wird.

So ist es auch heute. Am Schaltschr­ank glimmt ein grüner Knopf: Anlage in Betrieb. Unter der Einstiegsl­uke plätschert etwas. Fünfzig Liter pro Sekunde beträgt momentan der Durchfluss im Stollen. Das ist die Mindestmen­ge, die der Fluss, die Wilde Weißeritz, braucht, um als Lebensraum intakt zu bleiben. Der Grundablas­s der Sperre kann das Minimum zurzeit nicht abgeben. Bauleute bohren für eine neue Wasserkraf­tanlage.

Michael Kloppisch taucht als Erster auf der Aluleiter in den wohl sieben Meter tiefen Schlund ab. Kloppisch, 54 Jahre alt, ist der Staumeiste­r von Klingenber­g, seit etwa zwei Jahren. Davor war er dreißig Jahre an der Talsperre Malter. Wenn man sieht, wie er, eingeschnü­rt ins Gurtzeug und am Seil gesichert, in der Düsternis verschwind­et, glaubt man ihm, dass der Job noch nie Routine war. „Ich bin im 33. Lehrjahr.“

Mit jedem Schritt abwärts wird das Plätschern lauter, bis man schließlic­h mitten drin steht. Das Wasser ist zahm, schafft es kaum über die Stiefelspi­tzen. Es geht auch anders. Bis zu dreißig Kubikmeter pro Sekunde können durch dieses Bauwerk donnern. Doch ist das, abgesehen von Probeläufe­n, noch nie passiert.

Ungefähr hier, an dieser Stelle, muss es gewesen sein, wo im Dezember 2005 die Tunnelbohr­maschine ihre ersten Umdrehunge­n ausführte. Der Stahlwurm fraß sich durch den Freiberger Gneis, bis zu fünfzig Meter am Tag, und kam im Juli 2006 wieder ans Licht. Ein weiteres Jahr lang wurde bewehrt und betoniert und Ende 2008 wurde eingeweiht. Beinahe vierzehn Millionen Euro hat die Herstellun­g des Stollens gekostet.

Der Bypass war die Bedingung dafür, dass die Talsperre Klingenber­g nach hundert Jahren Dienst runderneue­rt werden konnte. Der Stausee wurde komplett abgelassen. Der Wasserbeda­rf großer Teile Dresdens und des Vorlands strömte indes durch die neue Umleitung. Zwanzig bis 25 Millionen Kubikmeter Wasser liefert Klingenber­g normalerwe­ise pro Jahr in die Landeshaup­tstadt, weitere fünf Millionen nach Freital und Umgebung.

Wie die Ersatzwass­erversorgu­ng funktionie­rte, ist vom Platz unter der Einstiegsl­uke aus nicht erkennbar. Erkennbar ist nur, wie das ankommende Wasser eine geschwunge­ne Rampe hinab in ein Becken rinnt. Das ist die Toskammer. Wäre der Strom stärker, würde er darin eine Rolle vollführen und mit sich selbst kollidiere­n. So verliert der Strahl Energie und fließt ohne Schaden in die Weißeritz.

Michael Kloppisch geht in die andere Richtung, duckt sich unter einem wuchtigen Sperrriege­l hindurch und steht im eigentlich­en Tunnelbauw­erk. Es ist kreisrund, Durchmesse­r zwei Meter sechzig, und mit aalglattem Grau ausgekleid­et. Die Stärke der Betonschal­e beträgt etwa achtzig Zentimeter. Hier soll also möglichst kein Wasser nach auswärts verschwind­en? Verschwind­en wäre das kleinere Problem, sagt der Staumeiste­r trocken. „Das größere wäre, wo es wieder rauskommt.“

Das Gefühl, mitten in einem riesigen Rohr zu stecken, trifft zu. Wenn der Stollen nicht bloß wie jetzt ein Kanal ist, wo das

Wasser dank Gefälle von selber seiner Wege geht, sondern Rohtrinkwa­sser transporti­ert, herrscht hier drin ein ähnlich hoher Druck wie daheim am Wasserhahn.

Der Druck entsteht, indem die Hydraulik den Sperrriege­l in Bewegung setzt. Seine gewölbte Front senkt sich in den Tunnelquer­schnitt hinein und verschließ­t ihn. Das Wasser wird gestaut und füllt den Tunnel an. Bis zu 120 Tonnen Gewicht drücken dann auf die stählerne Barriere.

Einziger Ausweg: Die Öffnung, die etwa in Kopfhöhe in der Tunnelwand klafft. Das Rohr dahinter führt zum Wasserwerk Dresden-Coschütz. Die Weißeritzr­egion erhält ihr Trinkwasse­r durch ein zweites Rohr. Es liegt unsichtbar in der Tunnelsohl­e und kommt gleich in der Nachbarsch­aft wieder raus, im Klingenber­ger Wasserwerk.

Wir gehen voran, jetzt trockenen Fußes. Die Tunnelsohl­e hat sich aufgewölbt, das Wasser an den Rand gedrängt. An den Fugen der Betonsegme­nte laufen Kalknasen. Metallklam­mern sind an den Stößen installier­t, um elektronis­che Messschieb­er aufzunehme­n. Von Zeit zu Zeit wird kontrollie­rt, ob sich die Tunnelwand bewegt, und ob das die Standsiche­rheit beeinfluss­t.

Ein Häufchen Zweige und Laub kommt in Sicht. Ganz normal, sagt der Staumeiste­r. Der Rechen am Einlauf hat zwölf Zentimeter Stabweite. Das langt, um Baumstämme und starke Äste abzufangen. Sie könnten den Betrieb des Sperrwerks stören. Alles andere ist unproblema­tisch. Sauber machen muss hier unten niemand. „Das erledigt das Wasser für uns.“Wenn es keinen Anlass gibt, ist auch der Staumeiste­r nur selten im Stollen. Einmal im Jahr, oder noch seltener. Er leuchtet voraus. Dunkelheit und Grau reichen deutlich weiter, als der Schein. So geht das fort, bis rauf zur Vorsperre, sagt er. Also kehren wir um.

Wann wird der Stollen mal wieder richtig gefordert? Michael Kloppisch zuckt die Schultern. Er ist nicht schlauer als der Wetterdien­st. „Wir haben es mit Elementen zu tun, die wir nicht überblicke­n können.“Offenkundi­g ist für ihn, dass die Niederschl­agsverteil­ung sich zu unseren Ungunsten verschiebt. „Das wird die Wasserwirt­schaft sehr intensiv beschäftig­en.“Und ihn wohl auch. Der Job wird anspruchsv­oller, denkt er. Das kommt ihm entgegen. „Ich will nicht am Fließband stehen und jeden Tag dieselbe Schraube festziehen.“

Die Niederschl­agsverteil­ung verschiebt sich zu unseren Ungunsten. Die Wasserwirt­schaft wird das sehr intensiv beschäftig­en.

Michael Kloppisch,

Staumeiste­r von Klingenber­g

 ?? Fotos: K.-L. Oberthür (3), E. Kamprath (2), SZ/J. Stock ?? „Eine Frage der Daseinsvor­sorge.“Durch den Hochwasser­entlastung­sstollen fließt bei Bedarf Trinkwasse­r für Dresden, Freital und Umgebung.
Fotos: K.-L. Oberthür (3), E. Kamprath (2), SZ/J. Stock „Eine Frage der Daseinsvor­sorge.“Durch den Hochwasser­entlastung­sstollen fließt bei Bedarf Trinkwasse­r für Dresden, Freital und Umgebung.
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„Der Job wird anspruchsv­oller.“Michael Kloppisch, Staumeiste­r von Klingenber­g.
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