Sächsische Zeitung (Dippoldiswalde)
Berlin und Prag für Panzer-Ringtausch
Herr Melnyk, Sie waren vor einigen Tagen in der Ukraine, wie haben Sie die Stimmung dort wahrgenommen?
Ich habe trotz vieler Termine meine Mutter in Lwiw besucht. Sie ist untröstlich, weil die Zerstörung der Ukraine nicht endet. Ich habe ihr gesagt, dass sie spazieren gehen soll, klassische Musik hören und sich ablenken. Aber es geht nicht. Wenn sie aufwacht, schaut sie aufs Handy und sieht, dass wieder ein russischer Angriff stattgefunden hat und Menschen getötet wurden. Das belastet jede Familie, weil man nach zwei Jahren Krieg das Licht am Ende des Tunnels kaum noch sieht. Wir Ukrainer wissen, mit welch perfidem Feind wir es zu tun haben – und dennoch wird es immer schwieriger, mehr westliche Unterstützung zu erhalten. Das ist bedrückend.
Macht sich Resignation breit, nachdem die militärische Offensive ihre Ziele nicht erreicht hat und die Russen wieder auf dem Vormarsch sind?
Nein, die Ukrainer wissen, dass sie nicht nachlassen dürfen. Sie werden nie sagen, okay, jetzt haben wir unsere Ziele nicht erreicht und geben auf. Weil unsere Existenz auf dem Spiel steht! Weder in der Bevölkerung noch in der Regierung wird so gedacht. Es herrscht nach wie vor große Entschlossenheit. Als ich in Kiew war, gab es Raketeneinschläge. Aber unsere stolze Hauptstadt ist noch da! Zu Kriegsbeginn hieß es, die Stadt würde in zwei Wochen fallen. Die Ukrainer haben stattdessen bewiesen, dass sie siegen können. Dieser Siegeswille existiert nach wie vor.
Macht sich nicht die Erkenntnis breit, dass die Ukraine letztlich auf Gebiete wird verzichten müssen?
Auf keinen Fall. Kein Ukrainer ist so naiv, zu glauben, dass dann dauerhaft Frieden herrschen würde und Russland keine Bedrohung mehr wäre. Wir trauen Putin nicht. Er legt Zugeständnisse als Schwäche aus und schlägt zu, wenn es ihm opportun erscheint. Er glaubt gerade, dass er am längeren Hebel sitzt. Er spielt auf Zeit, setzt auf einen Abnutzungsprozess in der Ukraine und bei ihren Verbündeten.
Damit scheint er Erfolg zu haben. In der Ukraine gibt es Spannungen. Der Oberbefehlshaber der Streitkräfte wurde von Präsident Selenskyj ausgetauscht, was vielen nicht gefiel. Vitali Klitschko, der Bürgermeister von Kiew, kritisierte die Machtkonzentration in den Händen Selenskyjs.
Die große Mehrheit der Ukrainer vertraut dem Präsidenten und der Armee. Es sind keine 90 Prozent mehr, wie zu Anfang des Kriegs, aber laut Umfragen zwei Drittel. Selenskyj sitzt fest im Sattel. Es gibt einen Konsens in der Gesellschaft, dass man die Regierung nicht frontal angreift. Dass es in einer Demokratie Dinge gibt, die man kritisieren kann, versteht sich von selbst. Natürlich soll sich auch Vitali Klitschko als Bürgermeister von Kiew äußern, weil gerade die Städte eine riesige Last tragen. Nach dem Sieg werden unangenehme Fragen gestellt. Aber es bringt nichts, wenn wir uns jetzt gegenseitig zerfleischen.
Besonders die Frage der Einberufung von 500.000 Rekruten verursacht derzeit Unruhe im Land.
Jeder versteht, dass die erschöpften Soldaten, die seit zwei Jahren an der Front sind, ausgetauscht werden müssen. Die Frage ist, wie man eine Mobilmachung klug organisiert. Eine halbe Million Männer heißt, dass man viele einzieht, die vielleicht nicht wollen und nicht ausgebildet sind. Das ist ein Problem. Aber klar ist, dass die Ukraine ohne frische Kräfte keine Gewinne mehr macht. Idealerweise sollten alle neuen Soldaten bestens ausgebildet werden, auch im Ausland. Unzureichendes Training bedeutet den sicheren Tod oder eine Verwundung.
Wir sind nicht wie die Russen, die ihre jungen Männer im Krieg verheizen. Eventuell fehlt es in der Ukraine an der Vermittlung, dass jeder einen Beitrag leisten muss, um unser Land zu retten.
Aber wird man nicht über kurz oder lang verhandeln müssen?
Nach meiner persönlichen Überzeugung wäre es zumindest klug, wenn unsere Verbündeten diskret in Moskau ausloten könnten, ob echte Kompromissbereitschaft besteht. Unter welchen Bedingungen und Garantien wären die Russen beispielsweise bereit, aus den besetzten Gebieten abzuziehen. Sondierungsgespräche zu führen, heißt ja nicht, dass man seine Interessen aufgibt. Es geht nicht um faule Kompromisse, um auf der Weltbühne eine falsche Ruhe wiederherzustellen, sondern darum, nichts unversucht zu lassen. Die Russen haben alles getan, um Vertrauen zu zerstören. Aus Sicht der Ukraine ist es unmöglich, einen Deal zu schmieden. Dennoch sollten unsere Partner, auch im Globalen Süden, ihre Diplomatie einsetzen, um den Krieg noch dieses Jahr zu beenden.
Sie waren von 2015 bis 2022 Botschafter in Berlin. Gerade hat eine Umfrage gezeigt, dass 64 Prozent der Deutschen glauben, dass der Krieg verloren sei. Sie haben getwittert: „Hey, liebe deutsche Freunde, was soll diese Endzeitstimmung! Kopf hoch!“Sind Sie enttäuscht? Dieser Pessimismus ist bitter. Aber es ist menschlich, dass viele jetzt zweifeln. Für mich ist es eher ein Anlass, um zu schauen, was wir Ukrainer besser machen können, um die Deutschen wieder mitzunehmen. Wir müssen die Menschen überzeugen, dass eine Niederlage der Ukraine eine Gefahr für die deutsche Sicherheit wäre. Natürlich haben unsere Partner das Recht zu sagen: Okay, wir haben es versucht, wir haben geholfen, aber jetzt geht es nicht mehr. Die Bundesregierung kann so eine Umfrage nicht ignorieren und hat ihre Haushaltszwänge. Aber die Frage sollte lauten: Was kann Deutschland jetzt ganz konkret tun, damit die Ukraine wieder Erfolge erzielt. Ich nenne die Stichworte: Taurus, Kampfjets, mehr Flugabwehr und Munition.
Wie schauen Sie heute zurück auf Ihre Rolle in Deutschland? Was haben Sie gut gemacht?
Lange Zeit war ich der einsame Rufer in der Wüste. Ich war ab 2015 Botschafter in Berlin und versuchte, die Politik auf die Gefahr aufmerksam zu machen, die von Russland ausging. Ich forderte Verteidigungswaffen, aber ich stieß auf taube Ohren. Die Gleichgültigkeit in der deutschen Politik war haarsträubend. Als die Russen die Ukraine 2022 schließlich überfielen, brachen bei mir die Dämme. Ich habe versucht, vor allem die einfachen Menschen aufzurütteln, damit die deutsche Politik umsteuert. Ich musste leider auch laut werden, was mir als Diplomat keinen Spaß machte. Das war nicht meine natürliche Rolle. Ich wurde oft als Verrückter dargestellt, der immer etwas Unverschämtes fordert. Dennoch ist es mir so gelungen, Diskussionen anzustoßen und die Berliner Politik aus ihrer Lethargie zu
Sie wurden aus Berlin abberufen, nachdem sie sich weigerten, den ukrainischen Nationalistenführer Stepan Bandera zu verurteilen, dessen Gruppe verantwortlich für Massenmorde an Polen und Juden im 2. Weltkrieg war. Stehen Sie zu Ihrer Verteidigung Banderas? Das war ein Fehler. Ich habe meinen Gegnern Munition geliefert, und es hat mich meinen Posten gekostet. Ich habe mir selbst die Möglichkeit genommen, mehr in Deutschland zu erreichen. Das sitzt mir bis heute in den Knochen. Ich wurde abberufen nach Schillers Motto: „Der Mohr hat seine Arbeit getan, der Mohr kann gehen“. Klar: Ich würde die Aussage so nicht wiederholen. Das Interview mit „Jung & Naiv“war kein passender Rahmen, um eine sachliche Diskussion über Bandera zu führen, der keine Figur ist, die man nur schwarz oder weiß bewerten kann. Passender wäre eine Historikerkonferenz, um die Mythen auszuräumen.
Als Sie als Botschafter nach Brasilien entsandt wurden, erschien das wie ein Strafkommando. Sie müssen hier leiser auftreten. Brasilien hält sich aus dem Ukraine-Krieg heraus. Die Agrarindustrie ist von Dünger aus Russland abhängig, das Land kauft 50 Prozent seines Diesels dort. Präsident Lula da Silva hat sogar behauptet, Selenskyj sei ebenso für den Krieg verantwortlich wie Putin. Ich bin mit gemischten Gefühlen hergekommen. Einerseits reizt mich die Aufgabe. In Brasilien gibt es wenig Wissen über die Ukraine und den Krieg. Das will ich ändern, auch wenn es schwierig ist. Sie kennen ja den Spruch, dass Brasilien nichts für Anfänger sei – und ich bin ein Anfänger. In Berlin hatte ich 30 Mitarbeiter, in Brasilia habe ich nur ein paar. Meine Möglichkeiten sind also begrenzt. Aber wenn Präsident Selenskyj anruft, dann will er Resultate sehen. Er ist zu Recht ungeduldig, er will, dass die Beziehungen sofort besser werden, dass Besuche stattfinden. Ich sage, Herr Präsident, ich wäre der glücklichste Mensch, wenn ich Sie morgen in Brasilia empfangen dürfte. Aber es geht nicht so schnell. Wir müssen ein Fundament legen, mehr investieren, die brasilianische Öffentlichkeit auf unsere Seite ziehen. Das kann gelingen, glaube ich.
Das Gespräch führte Philipp Lichterbeck.
Prag. Deutschland und Tschechien führen Gespräche über einen weiteren Ringtausch, um die Ukraine mit schweren Waffen zu beliefern. Über ein entsprechendes Angebot aus Berlin berichtete der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala nach einer Kabinettssitzung. „Das wird es uns ermöglichen, unsere Abhängigkeit von russischer Technik zu reduzieren und unsere Armee zu modernisieren“, sagte der liberalkonservative Politiker. Deutschland könnte Tschechien demnach weitere Kampfpanzer Leopard 2A4 übergeben. Dabei handelt es sich um aus der Schweiz beschaffte Panzer, die vertraglich vereinbart nicht in die Ukraine geliefert werden dürfen. Im Gegenzug würde Tschechien aus seinen Beständen weitere Panzer der sowjetischen Bauart T-72 an die Ukraine abgeben. Prag hat Kiew seit Kriegsbeginn 62 Kampfpanzer, 131 Schützenpanzer, sechs Hubschrauber und 16 Luftabwehrsysteme übergeben. In einem ersten Ringtausch erhielt Prag 14 deutsche Leopard-2A4. (dpa)