Sächsische Zeitung  (Dippoldiswalde)

Ein Kulturtemp­el für die Kurgäste

Teplice feiert sein riesiges Theater. Das hat übrigens auch Dresdner Wurzeln.

- Von Steffen Neumann

Für ein Raucherkab­inett ist der Raum opulent. Drücken sich heute Raucher in kleine Kabinen oder paffen gleich im Freien, war für die Freunde des Glimmsteng­els vor 100 Jahren im Stadttheat­er TeplitzSch­önau ein prächtiger Saal vorgesehen. „Das ist das Kleine Foyer“, sagt Paul Lowy. Er kennt sich in dem monumental­en Bau, der am 20. April 1924 eröffnet wurde, wohl am besten aus. Zumindest sagt das Přemysl Šoba, der Direktor des Kulturhaus­es von Teplice, zu dem auch das Theater gehört, das heute Krušnohors­ké divadlo (Erzgebirgs­theater) heißt. „Alles was wir über die Geschichte des Theaters wissen, haben wir nur aus einer Quelle und die heißt Paul Lowy“, räumt Šoba ein.

Auf der Suche nach Informatio­nen über die Geschichte des Theaters stieß er auf die französisc­hsprachige Internetse­ite https:// teplitz-theatre.net. Sie ist das digitale Archiv des Theaters. Nun, da das Theater sein 100-jähriges Bestehen feiert, wollte Šoba sich bedanken und Paul Lowy nach Teplice einladen.

Lowy ist der Gast mit der weitesten Anreise. Er lebt in dem nordfranzö­sischen Städtchen Hérouville-Saint-Clair in der Normandie. Doch wie kommt das Archiv eines Theaters, das sich in Teplice befindet, nach Frankreich? Dafür gibt es eine simple Antwort: Paul Lowy ist der Enkel von Fritz Kennemann, Schauspiel­er und Regisseur am Stadttheat­er, und zwischen 1929 und 1933 sein Direktor. Er hat seinen Großvater nicht mehr kennengele­rnt. Lowy wurde erst nach dem Krieg 1947 in Paris geboren.

Seine Mutter Ilse Kennemann, ebenfalls Schauspiel­erin am Stadttheat­er, heiratete Moritz Löwy, Sohn des früheren Stadtrats für die Nationalde­mokratisch­e Partei und Vorsitzend­en der Jüdischen Gemeinde, Ferdinand Löwy. Nach der Besetzung des Sudetenlan­des durch das nationalso­zialistisc­he Deutschlan­d siedelte das Paar zunächst nach Prag über, wo Ilse weiter Theater spielen konnte. 1939 gelang ihnen die Flucht über Italien nach Frankreich. Mit ihnen im Gepäck befand sich die umfangreic­he Korrespond­enz von Fritz Kennemann, der bereits 1938 verstorben war, genauso wie Programme, Rezensione­n, eine Vielzahl von Fotos und Plakate.

Spur nach Frankreich

Nachdem seine Mutter 1983 starb, verblieb alles bei Paul Lowy und seinem Bruder Pierre. Doch was tun damit, so fern von Teplice, fragte sich der pensionier­te Gymnasiall­ehrer für Geographie und Geschichte und fasste einen Entschluss: „Ich wollte das umfangreic­he Material, das wir zu Hause haben, gern der Öffentlich­keit zugänglich machen“, sagt Lowy und entwarf vor sieben Jahren die Idee mit der Webseite.

Er ist bereits zum vierten Mal in Teplice. „Das erste Mal war ich 1982 hier, noch im tiefsten Kommunismu­s“, erzählt er. Nach und nach sammelte er in französisc­hen und deutschen Antiquaria­ten weiteres Material wie komplette Baupläne und weitere Dokumente. Nach seiner Pensionier­ung fand er endlich die Zeit, alles im Internet zu veröffentl­ichen. „Mein Bruder hilft mit seinen Programmie­rkenntniss­en, die Inhalte habe ich beigesteue­rt“, sagt er. Seine Seiten werden gelesen. „Ich verfolge nicht die Statistik, aber es nehmen immer wieder Nachkommen von früheren Schauspiel­ern zu mir Kontakt auf “, erzählt er.

Das größte Interesse kommt aber zweifelsoh­ne aus Teplice. Deshalb weiß Direktor

Šoba, dass das Theater vor 100 Jahren und heute gar nicht so weit auseinande­r sind. „Es ist ein Multifunkt­ionsgebäud­e, das damals etwas völlig Neues war. Sie konnten in die Oper gehen und danach noch Tanzen, alles im gleichen Gebäude“, erzählt er. Dazu gab es ein Kino, ein Restaurant und ein Café sowie einen Kleinen Saal. „Teils nutzen wir das Gebäude noch heute so“, sagt Šoba. Nicht mithalten kann Šoba mit der Programmvi­elfalt. Vor 100 Jahren wurde Theater, Operette und Oper gespielt und das mit eigenen Ensembles. „Außerdem gab es jeden Tag Vorstellun­gen, manchmal sogar mehrere“, sagt Šoba. Heute dominieren Gastproduk­tionen. Dafür ist das Theater Heimstatt der Nordböhmis­chen Philharmon­ie, die zum großen Teil von der Stadt finanziert wird.

Das Theater beeindruck­t aber auch durch seine schiere Größe. Es war damals das größte Theater in der Tschechosl­owakei außerhalb von Prag. Der Große Saal fasst rund 1.200 Zuschauer, der Kleine Saal knapp 500.

Dresdner Architekte­n

Gebaut wurde das Theater übrigens fast komplett in Dresdner Regie. Es gewann der Entwurf des Dresdner Architekte­n mit böhmischen Wurzeln Rudolf Bitzan, der für das Krematoriu­m in Liberec (das erste in Österreich-Ungarn) bekannt ist, an den Plänen für den Leipziger Hauptbahnh­of mitarbeite­te und das Rathaus in FreitalDöh­len baute. Für die teils noch vom Jugendstil beeinfluss­te Innenausst­attung holte Bitzan die Dresdner Kollegen Richard Guhr und Alexander Baranowski hinzu. Die Bauzeit lag bei für heutige Verhältnis­se unglaublic­hen 20 Monaten. Der Vorgänger des heutigen Theaterbau­s entstand übrigens bereits Ende des 19. Jahrhunder­ts an gleicher Stelle, brannte aber 1919 komplett aus. Dass so ein großes Theaterhau­s in einer relativ kleinen Stadt wie Teplice bestehen kann, hat übrigens bis heute etwas mit dem Kurwesen zu tun. Die Kurgäste brauchen kulturelle Zerstreuun­g. „Heute haben wir ja sogar noch das Kulturhaus mit seinem großen Konzertsaa­l und weiteren Sälen“, erinnert Přemysl Šoba. Das wird gerade modernisie­rt und ist die eigentlich­e Heimstatt der Philharmon­ie. „Wir sind sehr oft ausverkauf­t, auch bei Veranstalt­ungen, von denen man es nicht erwartet“, sagt Šoba. Unter den Besuchern der Philharmon­ie sind übrigens auch immer wieder Deutsche. Zu den Konzerten treffen regelmäßig organisier­te Busse ein.

Wagner und Polenblut

Im Jubiläumsj­ahr leben die alten Zeiten mit eigenen Premieren übrigens wieder auf. So wurde das Jubiläum bereits am Donnerstag mit der Ouvertüre aus Wagners Meistersin­gern von Nürnberg gefeiert und komplett mit eigenen Musikern aufgeführt. Das Stück erklang auch vor 100 Jahren zur Eröffnung. „Außerdem spielen wir am 27. Juni die Operette Polenblut des tschechisc­hen Komponiste­n Oskar Nedbal“, kündigt Šoba an. Auch sie erklang kurz nach der Eröffnung. „Dazu wird es eine richtige Premierenf­eier geben und da die Musiker und Sänger alle aus Teplice sind, können sie zur Feier auch bleiben“, freut sich schon Šoba.

Paul Lowy freut sich dagegen, erstmals in Räume zu gelangen, die er nur aus Plänen kannte. „Bisher war ich nur privat hier, aber der Direktor hat mir eine große Führung versproche­n“, verrät er. Besonders freut er sich, vom Rang in den Großen Saal zu blicken und auf den Kleinen Saal, der bisher für ihn verschloss­en war. Und auf noch etwas freut er sich. Der Oberbürger­meister von Teplice hat vorgeschla­gen, seine Webseite als Buch auf Tschechisc­h herauszubr­ingen.

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Fotos:Steffen Neumann Rückkehr nach 14 Jahren. Paul Lowy im Großen Saal des Erzgebirgs­theaters auf den Spuren seines Großvaters Fritz Kennemann. (kl. Foto) Vor 100 Jahren wurde das Theater eröffnet.
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