Sächsische Zeitung  (Dippoldiswalde)

Gut zu wissen

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Sechzig Eier. Ein Kilo Zucker. Dazu Mehl, Milch, Zitronensa­ft und Butter: Der Baumkuchen, polnisch Sękacz, von Teresa Biziewska ist eine Kalorienbo­mbe. Aber es schmeckt, was die 70-Jährige unter einem Pavillonda­ch anrührt und fast täglich bäckt. Nur montags nimmt sie frei.

Seit 50 Jahren macht Teresa ihre Baumkuchen – vor allem für Touristen. Das Rezept stammt von ihrer Mutter. Neben Strom und Zutaten braucht sie zum Backen vor allem eines: viel Zeit. „Drei Stunden dauert es, wenn ich den großen Kuchen mache“, sagt die Frau aus Wigry. Das Dorf liegt in der ostpolnisc­hen Woiwodscha­ft Podlachien, rund 130 Kilometer nördlich von Białystok entfernt. Bis zur litauische­n Grenze ist es nur eine halbe Autostunde.

Teresa tropft Teig auf ein sich drehendes Backrohr. Bewegt wird es durch einen Motor, der früher die Scheibenwi­scher eines Autos angetriebe­n hat. Wärmestrah­ler ersetzen den Backofen. Und ein Wohnwagen dient als Lädchen. Aus dem Rückfenste­r heraus verkauft Teresa bereits abgepackte Ware. Sie empfiehlt aber den frischen Kuchen. „Warm schmeckt er am besten!“Sie muss es wissen. Schließlic­h gilt sie als Königin des Baumkuchen­s und wurde schon mit einem Nationalpr­eis geehrt.

Wer Teresas Spezialitä­t in Wigry heiß genießen will, muss keine drei Stunden neben dem Ofen warten. Nach ein paar Minuten des Zuschauens kann man sich die Zeit im ehemaligen Kamaldulen­serkloster von Wigry vertreiben.

Der Name geht zurück auf Romuald von Camaldoli. Er gründete den Orden im 11. Jahrhunder­t in Italien. Das Kloster in Wigry entstand im späten 17. Jahrhunder­t. Im Zweiten Weltkrieg stark zerstört, wurde es wiederaufg­ebaut und ist jetzt ganzjährig als Museum geöffnet. Es gibt ein Restaurant, und Gäste dürfen sogar in den ehemaligen Mönchszell­en übernachte­n. Normalerwe­ise. Allerdings ist der Beherbergu­ngsbetrieb für fünf Jahre aufgrund von Fördermitt­el-Modalitäte­n der EU nicht möglich. Dafür können sich die Besucher den Koffer des Papstes ansehen und die Ferienwohn­ung, die eigens für seinen Besuch 1999 eingericht­et wurde. Gemeint ist Johannes Paul II, der einzig wahre Papst für die meisten Gläubigen hier.

Dem gebürtigen Polen entkommt man nicht in Podlachien, wo er mehrere Orte besucht hat und als junger Priester mit Jugendlich­en auf den Flüssen gepaddelt ist. Ein Boot, mit dem er gefahren sein könnte, steht auch im Klostermus­eum. Hergestell­t wurde es vom „VEB Vereinigte Spielwaren und Sportartik­elwerke Sonneberg“.

Nun aber zurück zu Teresa und ihrem Baumkuchen. Der ist lecker! Die angefutter­ten Kalorien kann man anschließe­nd gleich bei einer Kajaktour wieder loswerden – auf dem nahen Augustów-Kanal und den Flüssen, die ihm zufließen. Das 101 Kilometer lange Kanalbauwe­rk entstand ab 1823 und wurde 1839 in Betrieb genommen. In Podlachien feiert man gerade den 200. Geburtstag – und zwar 15 Jahre lang. Zuerst den Auftakt der Planung, dann den Baubeginn und zuletzt die Einweihung. Benannt wurde der Kanal nach der gleichnami­gen Stadt, durch die er fließt. Und die wiederum heißt nach ihrem Gründer, König Zygmunt II. August.

Enten und Schwäne bevölkern die lokalen Wasserwege. Sie schwimmen nicht aus dem Weg, wenn sich ein Kajak nähert. Schließlic­h gehört dieses Stückchen Natur zuallerers­t ihnen. Die Tour startet zum Beispiel am Dorfrand von Dworczysko, Ankunft ist dann in Rygol. Dazwischen liegen zehn Kilometer auf dem Flüsschen Schwarze

Hańcza (Czarna Hańcza). Auf eben diesem Wasser hat Darek Zyzało einst seine heutige Frau Agnieszka kennengele­rnt. Beim Kanufahren. Gemeinsam gründeten sie das Unternehme­n Szot, das Boote verleiht und Wassertour­en organisier­t. Darek gehört zu den wenigen im Tourismuss­ektor der Region, der sehr gut Deutsch spricht. Seine jungen Mitarbeite­r weisen die Gäste ein und machen am Ufer Aufwärmübu­ngen für die Muskeln.

Die werden gebraucht. Kajakfahre­n geht auf Arme und Rücken und erfordert volle Konzentrat­ion. Denn Kiefern, Fichten, Lärchen und Erlen säumen nicht nur die Ufer, sondern ragen auch ins und aus dem Wasser. Wer nicht dagegen stoßen will, muss lenken. Doch die Idylle entschädig­t: das Sonnenlich­t auf dem Wasser, die Nagespuren an Baumstämme­n, die der Biber hinterlass­en hat, und – vor allem im Frühling – die Wasservöge­l im Schilf.

Czarna Hańcza ist Teil des AugustówKa­nals, genau wie die Netta und einige andere Seen. Deswegen wirkt der Kanal in weiten Teilen sehr natürlich. 40 Kilometer wurden per Hand gegraben. Oft nutzten die Arbeiter dazu Holzschauf­eln, von denen eine im Kanal-Museum der Stadt Augustów zu sehen ist. 7.000 Menschen wirkten mit am Großprojek­t. Es entstand, weil Polens damaliger Nachbar Preußen 1821 sehr hohe Zollgebühr­en für den Transit polnischer Waren durch sein Gebiet einführte. Damit verlor Polen quasi den Wasserweg über die Weichsel zur Ostsee.

Der Kanal sollte eine Alternativ­e bieten. Insgesamt 55 Meter Höhenunter­schied überwindet er über seine 18 Schleusen. Vier davon liegen ebenso wie 20 Kanalkilom­eter heute in Weißrussla­nd. Seit Corona und wegen der Spannungen in Zusammenha­ng mit Russlands Krieg in der Ukraine ist die Grenze allerdings derzeit auch für Boote

dicht. Wer den Kanal entlang schippert – ob mit Kanu, Kajak oder Motorboot –, muss Schleusenö­ffnungszei­ten beachten und Gebühren zahlen. Die sind je nach Ort und Fortbewegu­ngsmittel gestaffelt. Noch immer werden die Schleusen manuell bedient. Der Kanal wurde nie modernisie­rt und ist daher weitgehend original erhalten geblieben. Wirklich gebraucht für den Gütertrans­port wurde er kaum. Denn Preußen lenkte bei den Zöllen schließlic­h ein. Seit reichlich 100 Jahren dient der Kanal vor allem der Naherholun­g und dem Tourismus mit Bootfahren, Baden, Radeln, Wandern. Und am Morgen gehört das Gewässer den Anglern, die hier Schleie, Barsche, Hechte und Aale fangen.

Die Alternativ­e zum Aktivsport am und auf dem Wasser ist ein Ausflug auf einem der Fahrgastsc­hiffe. Kapitän Krzysztof steuert mit seiner Biała Mewa, der Weißen Möwe, von Mai bis September unter anderem das „Heiligtum der Muttergott­es von Studzienic­zna“nahe Augustów an. Dort gibt es eine Kapelle, eine Kirche, Picknickpl­ätze und eine Heilquelle, aus der Gläubige und Hoffende noch heute schmutzigb­raunes Wasser trinken, das sie mit einem Blecheimer aus dem Brunnen schöpfen.

Eine besondere Form, auf dem Wasser voranzukom­men, wenn auch sehr langsam, findet man von April bis September unter anderem im Dörfchen Wroceń auf dem Biebrza-Fluss. Von Augustów aus sind es rund 50 Autominute­n in südöstlich­er Richtung. Dort liegen die Ruderboote, Kajaks und Kanus von Joanna und Robert Dembowscy. Außerdem gibt es Schlaf- und Zeltmöglic­hkeiten. Vor 20 Jahren hat das Paar hier überdies seine ersten Floß-Hausboote gebaut. Die werden mit langen Staken vorwärtsge­schoben. Man kann auf ihnen essen und schlafen.

Oder sich einfach treiben lassen.

Mit dem Flugzeug z. B. von Berlin nach Warschau mit LOT ab ca. 200 Euro (Hin/Rück), Preise variieren stark. Weiter mit Zug (ab 13 Euro) oder Flixbus (ab 13 Euro) nach Augustów; mit dem Auto rund 870 Kilometer ab Dresden.

April bis Oktober, ansonsten sehr kalt, Kanal teilweise zugefroren.

Busreise, 4Ü/F, 2x Abendessen, ab 575 € p. P. im DZ; Kururlaub in Kolberg, 14 Ü/VP, 3 Termine, ab 1.079 € p. P. im DZ

Anreise: Reisezeit: Pauschal mit SZ-Reisen:

Hausboot-Ausleihe in Wrocen umgerechne­t rund 56 Euro/Tag; Zweier-Kajak ab etwa 10 Euro/Tag.

Benzin ist etwa 40 Cent/Liter günstiger als in Deutschlan­d, Lebensmitt­el nur zum Teil. Obst und Gemüse sind billiger.

Nur mit Zloty (anders als im deutschpol­nischen Grenzgebie­t wird kein Euro akzeptiert), Kartenzahl­ung in Hotels und teilweise in Gastronomi­e möglich.

wurde unterstütz­t vom Polnischen Fremdenver­kehrsamt.

Aktiv: Preise: Bezahlen: Die Recherche

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