Sächsische Zeitung (Dippoldiswalde)
Online-Shop Temu entgeht Klage
Marcel Mayr ging auf für seinen Job. Er arbeitete als examinierter Altenpfleger in einem Heim, studierte parallel Pflegepädagogik. Doch von einem Tag auf den anderen war alles vorbei. Sein Arbeitgeber habe ihm aus Versehen zu viel Lohn überwiesen, erzählt Mayr. Weil er im Urlaub gewesen sei und das Geld nicht sofort zurückzahlen konnte, überwarf er sich mit den Chefs. Sie lösten den Vertrag auf.
Kurze Zeit später lud Marcel Mayr aus Langeweile einen Clip auf Tiktok. Nach nur sechs Stunden sahen sich mehr als eine Million Zuschauer das Video an. „Es war verrückt, wie schnell das ging“, sagt der 29-Jährige. Unter dem Pseudonym Manicoleress produziert er inzwischen Sketche, Stimmimitationen und Comedy. Mehr als 1,5 Millionen Nutzer folgen ihm.
Trotzdem engagiert er sich weiter ehrenamtlich in der Pflege. „Ich bin sicher, die Arbeit hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin“, sagt Mayr. Was er alles von den „Alten“, wie er die Heimbewohner liebevoll nennt, gelernt hat, will er auch seinen jungen Followern weitergeben. Und er hat ein Buch über seine Zeit in der Pflege geschrieben: „Was die Alten schon gecheckt haben und ich jetzt auch“.
Herr Mayr, es heißt doch immer, junge Leute lesen kaum noch.
Ich habe mich bewusst für ein Buch entschieden. Ein Buch inhaliert man, speichert man sich ab und spricht im besten Fall darüber. Wie bei einem Film. Ich hätte es schade gefunden, die vielen Informationen in einem Online-Video zu verschwenden, und ein Blog ist schnell vergessen. Ich bin überzeugt, dass man sich auch anders ausdrückt, wenn man was aufschreibt.
Und was haben Sie als Altenpfleger gecheckt?
Was im Leben wichtig ist. Es geht nicht darum, ob jemand dick ist oder dünn, reich oder arm, klein oder groß. Es kommt darauf an, das Leben als lebenswert zu sehen. Mich hat bei meinen Alten fasziniert, wie positiv sie waren. Sie kommen ja aus einer anderen Zeit. Da galt es, anderen zu helfen, wertzuschätzen. Werte, die es kaum mehr gibt. Dabei ist das Schönste, Zeit mit Menschen zu verbringen, die einem guttun.
Sie schreiben, dass Sie aus den Geschichten der Alten gelernt haben, warum diese manchmal so handeln, wie sie handeln. Haben Sie ein Beispiel?
Da gibt es ganz viele. Aber nehmen wir die Frischhaltefolienstory. Heute ist es doch so: Ich packe ein Brötchen in Folie ein. Wenn das nicht so funktioniert, packe ich es wieder aus und schmeiße die Folie weg. Bei den Alten gab es sowas nicht. Viele haben die Folie ausgewaschen, trocknen lassen und dann das nächste Brötchen darin eingewickelt. Sie haben gelernt, sparsam mit gewissen Dingen umzugehen, und schmeißen selten etwas weg. Essen war für viele ein Privileg. Heute ist es selbstverständlich. Ich bin sehr dankbar, dass sie mir das beigebracht haben, und frage mich jetzt oft: Ist das nötig, oder geht es nicht auch anders?
Was haben Sie noch mitgenommen? Einmal habe ich mich extrem geärgert. Meine Kollegen hatten es mal wieder geschafft, Aufgaben auf mich abzuwälzen. Zugegeben, ich war immer leichte Beute. Als ich den Frust bei meiner Lieblingspatientin loswerden wollte, sagte sie zu mir: „Wenn du willst, dass der Heißluftballon höher fliegt, musst du Ballast abwerfen.“Wie schnell wird heutzutage gemeckert, dass alles doof ist! Dabei ist es wichtig, sich mal zu überlegen, was das Problem ist und was man vielleicht selbst ändern kann.
Ist es Ihnen in dem Fall gelungen?
Ja, denn meine Lieblingsbewohnerin sagte mir auch: „Lern endlich, deinen Mund aufzumachen. Dann treten die Leute dir mit Respekt entgegen. Und vor allem, hab immer gute Argumente parat und bleib charmant. So kann dir niemand was anhaben.“Und genau das habe ich gemacht. Ich habe meinen Kollegen gesagt, dass ich in Notfällen weiter einspringe, aber nicht bei Aufgaben, auf die sie vielleicht einfach keine Lust haben. Das charmante Argumentieren hilft mir heute noch in Verhandlungen mit Kunden oder wenn ich ein Jobangebot habe.
Sie waren bei Ihren Bewohnern sehr beliebt. Was haben Sie anders gemacht? Ich habe stets versucht, auf die Menschen und ihr gelebtes Leben einzugehen. Solche Biografiearbeit ist in der Pflege sehr wichtig, um den Menschen kennenzulernen und um zu wissen, wie ich mit ihm umgehe. Es gibt verschiedene Pflegetheorien, die einen Fragenkatalog vorsehen. Aber einem Menschen im Pflegeheim, der vielleicht dement ist, kommt das sicher komisch vor. Daher habe ich während der Körperwäsche mit den Menschen geredet: Mein Gott, meine Fingernägel sind aber heute dreckig. Wie war das bei ihrem Ehemann? Und dann kommt man ins Erzählen und erfährt peu à peu mehr über den Menschen, zum Beispiel über meine Zwiebelbäuerin.
Erzählen Sie die Geschichte!
Eine Bewohnerin war immer depressiv. Eines Tages hat sie mir erzählt, dass sie Zwiebelbäuerin war. Am nächsten Tag habe ich ihr beim gemeinsamen Kochen eine Zwiebel zum Schälen in die Hand gegeben – und sie hat sie nicht mehr losgelassen. Die kleine Zwiebel hat solche Erinnerungen in ihr geweckt! Sie kam ins Plaudern, wie sie mit ihren Kindern Zwiebeln geerntet hat und wie die Augen getränt haben. Für die Frau war diese Zwiebel etwas, das ihr wieder ein bisschen Lebensfreude gebracht hat.
Sie wollten als Altenpfleger immer mit den Menschen arbeiten. Sollte das nicht selbstverständlich sein?
Ja, nur leider ist es nicht so. Pflege ist Zeitmanagement. Zum Beispiel geben die Krankenkassen vor, dass Körperpflege 16 Minuten dauern darf – Ganzkörperdusche, Haare waschen, eincremen, anziehen. Aber haben Sie mal einen Schlaganfall-Patienten, der nicht aufstehen kann, auf einer Seite gelähmt ist, vielleicht noch Angst hat vor Nähe. Da können Sie nicht einfach alles in ein paar Minuten erledigen. Die Menschen müssen würdevoll gepflegt und behandelt werden. Den Pflegern sitzt aber die Zeit im Nacken. Wir mussten abhaken, sobald wir das Zimmer verlassen. Waren wir vier oder fünf Minuten zu lange drin, wurden wir ins Büro zitiert.
Und Sie mussten sich rechtfertigen?
Ich habe darüber nie diskutiert. Natürlich muss es einen Rahmen geben, aber wenn am Ende des Tages alle Menschen versorgt sind, ist es doch egal, was die Krankenkasse sagt. Die Heimleitungen begründen das gegenüber uns Pflegern so: In dieser Zeit hättest du bei einem anderen Bewohner schon Blutdruck messen können. Das hätte uns noch mal so und so viel Euro gebracht. Das finde ich ganz eklig.
Sie bezeichnen das Pflegesystem als verlogen. Warum?
Ich habe oft mitbekommen, wie Leute abgefertigt werden. Viele Heimleitungen kennen ihre Bewohner gar nicht. Für sie sind das Aktennummern, die in einem Monat so und so viel Geld einbringen – mehr nicht. Altenpfleger ist ein sozialer Beruf, der asozial bezahlt wird. Und genauso wird auch mit den Menschen umgegangen.
Haben Sie Sorge, später auch in einem Heim versorgt werden zu müssen?
In Deutschland auf jeden Fall! Die Alternative wäre für mich Thailand oder Japan – Länder, in denen alte Menschen respektvoll behandelt werden. Pflege ist dort Wellnessprogramm. Ich habe viele Dokumentationen gesehen und mit Freunden geredet, die schon dort waren. Also wenn ich merke, dass es bei mir so weit ist, sage ich: Ciao Deutschland!
Würden Sie trotzdem jungen Leuten empfehlen, in die Pflege zu gehen? Definitiv. Die junge Generation ist in vielen Dingen selbstbewusster, traut sich schneller, ihre Meinung zu äußern. Und genau solche Menschen braucht es in der Pflege dringend – Menschen, die sagen: Okay, ihr habt das jetzt jahrelang so gemacht, warum probieren wir es jetzt nicht mal anders? Wir müssen Pflege moderner denken. Ich glaube da an die junge Generation und wäre sofort als Unterstützer dabei.
Das Gespräch führte Kornelia Noack.
Manipulative Designs und unklare Preisgestaltung: Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hatte den chinesischen Online-Händler Temu abgemahnt. Daraufhin hat die dahinter stehende Whaleco Technology Limited nun eine Unterlassungserklärung abgegeben. Die Verbraucherschützer sehen daher vorerst von einer Klage ab. „Es ist gut, dass Temu sich verpflichtet hat, die von uns beanstandeten Verstöße abzustellen. Manipulative Designs sind ein Ärgernis für Verbraucher“, sagte die vzbv-Vorständin Ramona Pop.
Die Verbraucherschützer werfen der Plattform vor, dass sie Verbraucher mit willkürlich erscheinenden Rabatten, fragwürdigen Bewertungen und manipulativen Designs verunsichere und übervorteile. Zu den monierten Punkten zählten unter anderem während des Bestellvorgangs eingeblendete Hinweise wie „Beeile dich! Über 126 Personen haben diesen Artikel in ihrem Warenkorb“. Auch Streichpreise ohne weitere Erklärung soll es künftig nicht mehr geben. Laut Verbraucherzentrale muss bei Rabatten erkennbar sein, worauf sich ein Preis bezieht, zum Beispiel durch Angabe der unverbindlichen Preisempfehlung des Herstellers. Temu habe an mehreren Stellen nachgebessert. Pop kündigte an, man werde im Blick behalten, ob sich der Online-Marktplatz an die Vereinbarungen halte. Bei einem erneuten Verstoß werde man eine Vertragsstrafe fordern. (dpa)