Sächsische Zeitung  (Dippoldiswalde)

Freitaler Mitbegründ­erin der „Gruppe der 20“verstorben

Beate Mihály wurde bei den Demonstrat­ionen 1989 auf der Prager Straße zur Zufallspol­itikerin. In Freital wurde sie für andere Verdienste geschätzt.

- Von Annett Heyse

Als Beate Mihály 2019 für die Freien Wähler bei den Kommunalwa­hlen kandidiert­e, war es das erste Mal, dass sie in ihrer Wahlheimat Freital politisch in Erscheinun­g trat. Zu dem Zeitpunkt war sie jedoch schon gut 30 Jahre in der Politik engagiert.

Ihr Name ist verbunden mit der „Gruppe der 20“– jenen 20 Männern und Frauen, die aus einer Demonstrat­ion im Herbst 1989 auf der Prager Straße in Dresden spontan zusammenka­men, um mit den Behörden über die politische­n Forderunge­n der Demonstran­ten zu verhandeln.

Sie selbst hat das nie an die große Glocke gehangen. Wer ihr in den vergangene­n Jahren begegnete, traf auf eine ältere Frau, die pragmatisc­h und gewitzt sein konnte, jedoch deutlich ihre Meinung vertrat - und damit mitunter auch aneckte. „Ich mag keine ewig langen Diskussion­en. Ich kann schon anderen zuhören, aber dann muss mal eine Entscheidu­ng gefällt werden“, sagte sie einmal über sich selbst in einem Interview mit der Sächsische­n Zeitung.

Beate Mihály wurde als zweites von fünf Kindern in den Kriegswirr­en 1944 geboren, ihr leiblicher Vater fiel einen Monat vor ihrer Geburt als Soldat in den Niederland­en. Die Mutter heiratete wieder, die Familie siedelte nach Leipzig um, wo Beate Mihály aufwuchs. Zunächst lernte sie Betriebswi­rtin, doch die Welt der Zahlen füllte sie nicht aus. So fing sie noch einmal von vorne an, absolviert­e eine Ausbildung zur Krippenerz­ieherin und arbeitete bis nach der Wende in diesem Beruf – ab 1979 in Freital. Beate Mihály war ein Familienme­nsch durch und durch. Neben den zwei eigenen Töchtern zog sie etliche Pflegekind­er groß und bemutterte gerne ihre Enkel und Wahlenkel. „Sie hatte ein riesiges Herz für alle Kinder“, erinnert sich ihre Tochter. Und wenn eines der Enkelkinde­r ein paar Freunde mitbrachte, wurden die auch gleich noch von Beate Mihály unter die Fittiche genommen. Doch die ausgehende

DDR – sie wurde für Beate Mihály trotz des Kinderlach­ens um sie herum immer bedrückend­er. Die Wahlen im Frühjahr 1989 hielt sie für eine Farce und führten sie zum Rat des Bezirkes Freital. Sie war der festen Absicht, einen Ausreisean­trag zu stellen. Sie tat es dann doch nicht, weil die ältere Tochter nicht mit ausreisen wollte. Als im Herbst 1989, unter dem Eindruck der Bilder von DDR-Flüchtling­en in der BRD-Botschaft in Prag, in Dresden Menschen auf die Straße gingen und sich den bewaffnete­n Polizisten entgegenst­ellten, war Beate Mihály mit dabei. Die spontane Demonstrat­ion landete auf der Prager Straße und dort meldete sich Mihály am 8. Oktober 1989 auf einen Aufruf hin als eine Derjenigen, die für die Demonstran­ten mit dem damaligen Dresdner Oberbürger­meister verhandeln sollten. Noch in derselben

Nacht schrieb sie die Liste mit den Forderunge­n der Demonstran­ten. Politisch blieb sie in der Wendezeit in Dresden aktiv. Später leitete sie für den früheren Bürgerrech­tler und späteren CDU-Mann Arnold Vaatz dessen Büro in Radeberg.

Großes Herz für alle Kinder

In Freital engagierte sie sich in den 2010er Jahren bei Spendensam­mlungen für ein ukrainisch­es Kinderheim, mehrmals fuhr sie – inzwischen Rentnerin – Kindersach­en, Spielsache­n und Schulutens­ilien über mehrere tausend Kilometer in das osteuropäi­sche Land. Seit damals interessie­rte sie sich auch für die Politik in Freital, schloss sich den Freien Wählern an und kandidiert­e gemeinsam mit Tochter Claudia und Enkelin Chiara 2019 für den Freitaler Stadtrat. Später sympathisi­erte sie mit der Konservati­ven Mitte.

Dass sie bei der Wahl 2019 nicht genug Stimmen bekam, sorgte nicht für Verdruss. Beate Mihály hatte auch so genug zu tun. Verwaiste Kätzchen aufnehmen und hochpäppel­n zum Beispiel. 2022 jedoch brauchte sie selbst dringend Hilfe – eine schwere Krebserkra­nkung zwang sie zu mehreren Klinikaufe­nthalten. „Aber sie war eine Kämpferin, sie hatte den Krebs besiegt“, berichtet ihre Tochter Claudia stolz. Die Familie war optimistis­ch, dass Beate Mihály noch ein paar Jahre vergönnt seien. Doch eine schwere Lungenentz­ündung im vergangene­n Winter zehrte an ihren Kräften. Am 2. Mai hat Beate Mihály im Alter von 79 Jahren den Kampf verloren.

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Foto: Egbert Kamprath Beate Mihály ging 1989 gegen das SED-Unrecht auf die Straße. Später engagierte sie sich beim Spendensam­meln für ukrainisch­e Heimkinder.

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