Sächsische Zeitung (Dippoldiswalde)
Wie Putin seiner Familie Macht sichert
Der Präsident besetzt wichtige Positionen in Russland neu. Auffällig ist die Nähe zur alten Garde des Kreml.
Wladimir Putin ist zehn Jahre jünger als Joe Biden, doch auch er scheint an sein Alter zu denken. Im Gegensatz zu den USA, wo der Präsident zum Loslassen gedrängt wurde, löst der 71-jährige Putin das Problem der Machtübergabe auf seine Weise: In jüngster Zeit hat er Schlüsselpositionen im Machtapparat neu besetzt – mit Mitgliedern seiner eigenen Familie und Sprösslingen der alten Garde im Kreml.
Manches erinnert an die Endphase der Jelzin-Ära, als die sogenannte Familie – der Clan des Präsidenten, dominiert von seiner Tochter und deren Mann, und Jelzins engste Gefolgschaft – das Schicksal Russlands bestimmten.
Jetzt installiert Putin gewissermaßen eine Familie 2.0. „Auch die Lebenszeit von Autokraten ist endlich“, sagt Russland-Experte Jörg Himmelreich. „In den verschiedenen Machtgruppierungen wächst das Interesse an einer Nachfolge. Sie beginnen, sich zu sortieren, wenn auch vorsichtig.“Wie „bei jedem Mafiaclan“würden Familienloyalitäten zum Schutz der Macht genutzt. Ähnlich sieht es Gerhard Mangott. Es sei aber bei Weitem noch kein konsequenter Generationswechsel. „Personen in ihren 40ern konkurrieren mit denen in den 60ern. Letztere bleiben bisher dominant“, sagt der Russland-Experte der Universität Innsbruck. Ein Abgangsszenario für Putin gebe es definitiv nicht.
Großnichte im Ministerium
„Der Krieg wird für Putin zur Familienangelegenheit“, kommentierte der russische Soziologe Wladislaw Inosemzew sarkastisch in den sozialen Netzwerken, als der Präsident seine Großnichte Anna Ziwiljowa, geborene Putina, Mitte Juni zur stellvertretenden Verteidigungsministerin machte. Die 52-Jährige galt bis dahin als „First Lady des Kusbass“, der bedeutendsten Industrieregion Sibiriens. Ihr Gatte war bis vor Kurzem Gouverneur der Region Kemerowo und ist jetzt Energieminister. Ziwiljowa besitzt ein bedeutendes Aktienpaket eines der größten russischen Kohlekonzerne: Kolmar. Sie habe die Anteile als Hochzeitsgeschenk von Putin erhalten, heißt es.
Gleichzeitig hat Putin den Sohn des früheren Geheimdienst- und dann Regierungschefs Michail Fradkow zu einem weiteren der zwölf Vize-Verteidigungsminister ernannt. Er war zuvor schon in der Nähe des Staatschefs, als Vizechef der Präsidialverwaltung. Jetzt übernimmt Fradkow den Immobilien- und Baubereich. Der Posten wurde frei, weil Vorgänger Timur Iwanow seit Anfang Juni wegen Bestechlichkeit und Korruption in Untersuchungshaft sitzt.
Die Familie Patruschew hat den Generationswechsel bereits vollzogen. Vater Nikolai, 73 Jahre alt, diente Putin lange als Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats. Er galt als die graue Eminenz neben Putin, war maßgeblich an der Entscheidung zum Krieg gegen die Ukraine beteiligt. Umso überraschender war es, als er kürzlich abberufen wurde und jetzt Präsidentenberater ist – zuständig für die Schifffahrt.
Dafür stieg Sohn Dmitri auf der Karriereleiter nach oben. Bisher Landwirtschaftsminister, ist er nun einer der Vize-Regierungschefs Russlands. Analysten mutmaßen, da sei im Kreml ein Deal gelaufen: Der Vater tritt in den Schatten und macht damit Platz für seinen Sohn.
Die ehrgeizige Tochter
Bei den Umwälzungen spielt offenbar auch Putins Tochter eine Rolle. Auf dem jährlichen Wirtschaftsforum in St. Petersburg im Juni trat eine Rednerin mit den Vornamen „Katerina Wladimirowa“auf. Für die Anwesenden war klar: Es ist die Tochter des Staatschefs. Die 37-Jährige sprach über Import und Export im militärischen Bereich
Vertrauen ist gut, Familie ist besser? Russlands Präsident befördert gezielt Familienangehörige. Seine Großnichte Anna Ziwiljowa ist nun Vize-Verteidigungsministerin.
– das zentrale Problem im Krieg gegen die Ukraine. Offiziell ist Katarina Tichonowa Generaldirektorin von Innopraktika, einem milliardenschweren Investitionsfonds, der im Umfeld der Moskauer Lomonossow-Uni platziert ist. Hier agierte sie bislang eher im Schatten. Sie spielt nach Ansicht des Bürgerrechtlers Wladimir Ossetschkin eine zentrale Rolle bei den jüngsten personellen Veränderungen. Auch der neue Verteidigungsminister Andrej Beloussow soll zu ihrem Kreis gehören.
In der Moskauer Gerüchteküche wird schon länger gemunkelt, Putin habe seine Tochter als Nachfolgerin im Sinn. Doch in der russischen Macho-Gesellschaft dürfte es selbst für den mächtigsten Mann nicht leicht sein, das durchzusetzen. Es gebe auch keine Kronprinzen-Strategie, mit der mittelfristige Nachfolger für Putin aufgebaut werden, sagt Experte Mangott: „Putin ist in der Lage, seine Zukunft selbst zu bestimmen. Er denkt an eine lange Zukunft.“
Für Putin laufe der Krieg gegen die Ukraine nicht zufriedenstellend, sagt Experte Himmelreich. Deshalb bringe er eine neue Generation an den Start, die Sachverstand mit engsten familiären Bindungen an den aktuellen Machtzirkel vereinige. Der Ökonom Anders Aslund, der die JelzinAdministration jahrelang beriet, formuliert es so: „Das System trägt die Kennzeichen einer alten feudalen Struktur.“(Tsp)