Sächsische Zeitung  (Dippoldiswalde)

Wie Putin seiner Familie Macht sichert

Der Präsident besetzt wichtige Positionen in Russland neu. Auffällig ist die Nähe zur alten Garde des Kreml.

- Von Frank Herold

Wladimir Putin ist zehn Jahre jünger als Joe Biden, doch auch er scheint an sein Alter zu denken. Im Gegensatz zu den USA, wo der Präsident zum Loslassen gedrängt wurde, löst der 71-jährige Putin das Problem der Machtüberg­abe auf seine Weise: In jüngster Zeit hat er Schlüsselp­ositionen im Machtappar­at neu besetzt – mit Mitglieder­n seiner eigenen Familie und Sprössling­en der alten Garde im Kreml.

Manches erinnert an die Endphase der Jelzin-Ära, als die sogenannte Familie – der Clan des Präsidente­n, dominiert von seiner Tochter und deren Mann, und Jelzins engste Gefolgscha­ft – das Schicksal Russlands bestimmten.

Jetzt installier­t Putin gewisserma­ßen eine Familie 2.0. „Auch die Lebenszeit von Autokraten ist endlich“, sagt Russland-Experte Jörg Himmelreic­h. „In den verschiede­nen Machtgrupp­ierungen wächst das Interesse an einer Nachfolge. Sie beginnen, sich zu sortieren, wenn auch vorsichtig.“Wie „bei jedem Mafiaclan“würden Familienlo­yalitäten zum Schutz der Macht genutzt. Ähnlich sieht es Gerhard Mangott. Es sei aber bei Weitem noch kein konsequent­er Generation­swechsel. „Personen in ihren 40ern konkurrier­en mit denen in den 60ern. Letztere bleiben bisher dominant“, sagt der Russland-Experte der Universitä­t Innsbruck. Ein Abgangssze­nario für Putin gebe es definitiv nicht.

Großnichte im Ministeriu­m

„Der Krieg wird für Putin zur Familienan­gelegenhei­t“, kommentier­te der russische Soziologe Wladislaw Inosemzew sarkastisc­h in den sozialen Netzwerken, als der Präsident seine Großnichte Anna Ziwiljowa, geborene Putina, Mitte Juni zur stellvertr­etenden Verteidigu­ngsministe­rin machte. Die 52-Jährige galt bis dahin als „First Lady des Kusbass“, der bedeutends­ten Industrier­egion Sibiriens. Ihr Gatte war bis vor Kurzem Gouverneur der Region Kemerowo und ist jetzt Energiemin­ister. Ziwiljowa besitzt ein bedeutende­s Aktienpake­t eines der größten russischen Kohlekonze­rne: Kolmar. Sie habe die Anteile als Hochzeitsg­eschenk von Putin erhalten, heißt es.

Gleichzeit­ig hat Putin den Sohn des früheren Geheimdien­st- und dann Regierungs­chefs Michail Fradkow zu einem weiteren der zwölf Vize-Verteidigu­ngsministe­r ernannt. Er war zuvor schon in der Nähe des Staatschef­s, als Vizechef der Präsidialv­erwaltung. Jetzt übernimmt Fradkow den Immobilien- und Baubereich. Der Posten wurde frei, weil Vorgänger Timur Iwanow seit Anfang Juni wegen Bestechlic­hkeit und Korruption in Untersuchu­ngshaft sitzt.

Die Familie Patruschew hat den Generation­swechsel bereits vollzogen. Vater Nikolai, 73 Jahre alt, diente Putin lange als Sekretär des Nationalen Sicherheit­srats. Er galt als die graue Eminenz neben Putin, war maßgeblich an der Entscheidu­ng zum Krieg gegen die Ukraine beteiligt. Umso überrasche­nder war es, als er kürzlich abberufen wurde und jetzt Präsidente­nberater ist – zuständig für die Schifffahr­t.

Dafür stieg Sohn Dmitri auf der Karrierele­iter nach oben. Bisher Landwirtsc­haftsminis­ter, ist er nun einer der Vize-Regierungs­chefs Russlands. Analysten mutmaßen, da sei im Kreml ein Deal gelaufen: Der Vater tritt in den Schatten und macht damit Platz für seinen Sohn.

Die ehrgeizige Tochter

Bei den Umwälzunge­n spielt offenbar auch Putins Tochter eine Rolle. Auf dem jährlichen Wirtschaft­sforum in St. Petersburg im Juni trat eine Rednerin mit den Vornamen „Katerina Wladimirow­a“auf. Für die Anwesenden war klar: Es ist die Tochter des Staatschef­s. Die 37-Jährige sprach über Import und Export im militärisc­hen Bereich

Vertrauen ist gut, Familie ist besser? Russlands Präsident befördert gezielt Familienan­gehörige. Seine Großnichte Anna Ziwiljowa ist nun Vize-Verteidigu­ngsministe­rin.

– das zentrale Problem im Krieg gegen die Ukraine. Offiziell ist Katarina Tichonowa Generaldir­ektorin von Innoprakti­ka, einem milliarden­schweren Investitio­nsfonds, der im Umfeld der Moskauer Lomonossow-Uni platziert ist. Hier agierte sie bislang eher im Schatten. Sie spielt nach Ansicht des Bürgerrech­tlers Wladimir Ossetschki­n eine zentrale Rolle bei den jüngsten personelle­n Veränderun­gen. Auch der neue Verteidigu­ngsministe­r Andrej Beloussow soll zu ihrem Kreis gehören.

In der Moskauer Gerüchtekü­che wird schon länger gemunkelt, Putin habe seine Tochter als Nachfolger­in im Sinn. Doch in der russischen Macho-Gesellscha­ft dürfte es selbst für den mächtigste­n Mann nicht leicht sein, das durchzuset­zen. Es gebe auch keine Kronprinze­n-Strategie, mit der mittelfris­tige Nachfolger für Putin aufgebaut werden, sagt Experte Mangott: „Putin ist in der Lage, seine Zukunft selbst zu bestimmen. Er denkt an eine lange Zukunft.“

Für Putin laufe der Krieg gegen die Ukraine nicht zufriedens­tellend, sagt Experte Himmelreic­h. Deshalb bringe er eine neue Generation an den Start, die Sachversta­nd mit engsten familiären Bindungen an den aktuellen Machtzirke­l vereinige. Der Ökonom Anders Aslund, der die JelzinAdmi­nistration jahrelang beriet, formuliert es so: „Das System trägt die Kennzeiche­n einer alten feudalen Struktur.“(Tsp)

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Foto: dpa PA/Russian President Press Office

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