Wie wär’s mit einer Roßweiner „Zeitreise-Bratwurst“?
Pünktlich zum Start in die Grillund Outdoor-Saison wartet das Team der Roßweiner Fleisch- und Wurstwaren mit einer neuen Kreation auf. Das Rezept dafür ist mehr als 100 Jahre alt und dessen Entdeckung gleicht dem Fund eines Schatzes.
Bratwürste gibt es viele. Kleinere Fleischereien haben mitunter ihre Hausrezepte. Und genau das können jetzt auch die Mitarbeiter der Roßweiner Fleisch- und Wurstwaren GmbH & Co. KG behaupten.
Auf das Rezept für ihre „Zeitreise-Bratwurst“sind sie im vergangenen Jahr durch Zufall gestoßen, und zwar bei Renovierungsarbeiten des historischen Bürogebäudes. Das steht neben den Produktionsräumen am Ortseingang Roßweins. Seit 1899 wird an dieser Stelle Fleisch verarbeitet – anfangs im Schlachthof, aus dem später eine von zeitweise sieben Fleischereien in der Muldestadt geworden war.
Das Rezeptbuch sei hinter einer alten Wandvertäfelung entdeckt worden, erzählt Dirk Schöne, Prokurist des Handwerksbetriebes. Er sieht darin „ein kulinarisches Erbe eines Meistermetzgers, der wahrscheinlich früher einmal in diesen
Räumen arbeitete“.
Mit diesem Erbe hat sich daraufhin Uwe Schurig auseinandergesetzt. Der Roßweiner hat in dem Betrieb am Rande der Stadt gelernt, seit mittlerweile 25 Jahren den Meisterbrief in der Tasche und ist nach verschiedenen Stationen wieder dorthin zurückgekehrt. Auch, weil ihm die fast schon familiäre Arbeitsatmosphäre gefällt, sagt er. Zusammen mit der Geschäftsleitung um Matthias Pfaff sei überlegt worden, was aus dem großen Rezeptfundus umgesetzt werden kann. Die Gruppe entschied sich für eine Thüringer Rostbratwurst. „Und wir haben sie ganz genau nach der historischen Rezeptur zubereitet“, sagt Uwe Schurig.
Dass diese heute noch gelingt, sei für ihn keine Überraschung gewesen. Für den Geschmack sorge ein Kalbfleischanteil von einem Drittel. Auf Konservierungsmittel wird komplett verzichtet. „Die kannte man damals auch nicht, außer Salz“, so Uwe Schurig. Verblüfft habe ihn dagegen, dass die Bratwurst nach dem überlieferten Rezept allen am Tisch geschmeckt hat. Zur Verkostung waren die Beschäftigten der Fleischerei eingeladen. Zum Team gehören 15 Beschäftigte in der Produktion und 19 hinter den Ladentischen in den Verkaufsstellen und im mobilen Verkaufswagen.
Wegen der besonderen Herstellung ist die Roßweiner „Zeitreise-Bratwurst“auch eine Art Extra-Wurst: „Sie ist nur wenige Tage haltbar. Deshalb bieten wir die frisch hergestellten Würste nur donnerstags und freitags in unseren Filialen in Döbeln, Roßwein und Waldheim an sowie in den Verkaufswagen“, kündigt Dirk Schöne an. Wenn die Würste dann übers Wochenende verarbeitet würden, sei das kein Problem.
Dafür gibt es vom Experten-Team noch wichtige Ratschläge: Auch beim Zubereiten sollten sich Grillmeister oder Hausfrau auf Zeitreise begeben: Geduld haben und mit niedrigen Temperaturen arbeiten. Sowohl auf dem Grill als auch in der Pfanne. Ansonsten reiße der Darm und darunter könnte das Geschmackserlebnis leiden. „Also mit Fingerspitzengefühl rangehen“, raten die Männer, bei denen es jeden Tag um die Wurst geht.
Auch bei diesem Neuling aus der Produktion setzen die Roßweiner Fleischer auf drei Dinge: Nachhaltigkeit, Regionalität und Tradition. „Das Fleisch, das wir verarbeiten, kommt von keiner Massenproduktion aus Mastanlagen, sondern von Höfen aus Sachsen“, sagt Dirk Schöne. Das sei auch bei den anderen Produkten so. Mit diesem Konzept kann das 1899 gegründete Unternehmen neben der Stamm- und Laufkundschaft zunehmend Caterer und Kantinen überzeugen. „Auch ein paar Hotels konnten wir als Kunden gewinnen“, freut sich der Prokurist.
Er ist sich sicher, dass das alte Rezeptbuch noch so manche kulinarische Kreation bereithält, die nur darauf wartet, wiederentdeckt und neu interpretiert zu werden. Mit seinen Erfahrungen ist Uwe Schurig gern dabei. Aber auch der Neuzugang im Produktionsteam ist gespannt, wie die „Zeitreise-Bratwurst“bei den Kunden ankommt und welche die nächsten Herausforderungen dieser Art sind: Tim Neumann ist seit März Betriebsleiter der Roßweiner Produktion.
Der 28-Jährige kommt aus der Gemeinde Jahnatal und steht schon die Hälfte seines jungen Lebens in Schlachthäusern – zunächst bei einem väterlichen Freund, später in seinem Ausbildungsbetrieb. 2016 war er bester Lehrling in Sachsen, kurz darauf bester Geselle. 2017 maß er sich mit anderen Handwerkern in einem Bundeswettbewerb und ist mit seinem dort erreichten sechsten Platz immer noch zufrieden. Inzwischen ist Tim Neumann Meister – genau wie Hermann Koch einst, der Autor des historischen Kochbuches. Der arbeitete eine Zeit lang als gerichtlicher Sachverständiger für Fleisch und Wurstwaren an Landgerichten in Berlin. Sein StandardWerk „Die Fabrikaktion feiner Fleisch- und Wurstwaren“wird wahrscheinlich nur noch in einem Antiquariat zu finden sein – oder auf so abenteuerliche Weise wie in der Roßweiner Fleischerei. (DA/sig)