Sächsische Zeitung (Döbeln)

60 Prozent der Kinder haben einen Migrations­hintergrun­d

Anna-Maria Feig leitet die 117. Grundschul­e in Dresden. Dort lernen Kinder aus 28 Nationen.

- Von Julia Vollmer

Kinderlach­en hallt über die Gänge. Malfolgen werden ebenso gepaukt wie der Unterschie­d zwischen Substantiv­en und Verben. Ein ganz normaler Morgen an einer ganz besonderen Dresdner Schule. Denn hier an der 117. Grundschul­e in der Südvorstad­t lernen 310 Kinder aus 28 verschiede­nen Nationen. Sie kommen unter anderem aus der Ukraine und aus Syrien. „Der Anteil der Kinder mit Migrations­hintergrun­d liegt in unserer Schule bei ungefähr 60 Prozent“, sagt Anna-Maria Feig. Sie arbeitet seit vielen Jahren an der Schule, erst als Lehrerin, nun als Leiterin. An der Schule unweit des Hauptbahnh­ofs und der TU Dresden zeigt sich jeden Tag, was Integratio­n bedeutet -– und welche Herausford­erungen damit verbunden sind.

Oft wird „Brennpunkt­schule“als Bezeichnun­g für Schulen wie diese genutzt. „Ich mag das Wort nicht verwenden. Wir sind eine Schule mit besonderen Herausford­erungen“, sagt Feig. Die Herausford­erungen ihrer Schule sind vielfältig: Hier lernen zum einen die Kinder mit Migrations­hintergrun­d, die teilweise überhaupt kein Deutsch sprechen, wenn sie an die Schule kommen. Und es gibt Mädchen und Jungen mit hohem persönlich­en oder sonderpäda­gogischen Förderbeda­rf in den Klassen.

Um Eltern und Kinder gleicherma­ßen mitzunehme­n und zu integriere­n, bietet die Schule nicht nur Unterricht für die Kinder an, sondern auch für deren Eltern in der sogenannte­n Elternschu­le. „Hier erzählen wir den Eltern, die aus Schulsyste­men anderer Länder kommen, zum Beispiel, was eine Zuckertüte ist und wie ein Stundenpla­n genau funktionie­rt“, erklärt die stellvertr­etende Schulleite­rin Pauline Brun. Alles Dinge, die man nicht wissen kann, wenn man nicht in Deutschlan­d aufgewachs­en ist. Denn Integratio­n sei keine Einbahnsch­iene, sondern gelinge am besten, wenn sich alle Seiten aufeinande­r zubewegen.

An der 117. Grundschul­e lernen Kinder von Wissenscha­ftlern der verschiede­nen Hochschule­n in Dresden, aber auch Kinder, die aus deutschen Familien mit sozialen

Herausford­erungen kommen. „Es gibt bei uns Kinder, die selbst ihren Wecker stellen müssen, weil die Eltern entweder schon auf der Arbeit sind oder selbst Schwierigk­eiten mit einer Tagesstruk­tur haben“, so die 40-Jährige. Manche Eltern und Kinder benötigten auch Hilfe bei den Fragen, was ein gesundes Essen ist und wie sie das Geld für einen Schulausfl­ug bezahlen sollen.

Unterstütz­t werden die Lehrerinne­n und Lehrer von einer Schulsozia­larbeiteri­n und einer Inklusions­assistenti­n. Es brauche aber noch mehr Maßnahmen, so die Schulleite­rin. „Es ist wichtig, dass wir kleine Lerngruppe­n bilden, damit wir intensiver mit den Schülern arbeiten können“, sagt Anna-Maria Feig. Die Kinder brauchten Zeit, die Eltern-Arbeit ebenso. „Ich kann bei manchen Familien nicht einfach zum Hörer greifen und auf kurzem Wege eine Sache absprechen, sondern ich muss für einige Gespräche einen Dolmetsche­r dazu bestellen.“Beschäftig­t an der Schule ist jetzt schon ein Kulturdolm­etscher für Arabisch und Englisch.

Regeln für Krankmeldu­ng

Gelernt haben Feig und ihr Team in den vergangene­n Jahren, dass sie etwa die Elternbrie­fe am besten digital verschicke­n. So können die Eltern, die nicht Deutsch als Mutterspra­che gelernt haben, diese zu Hause mithilfe eines digitalen Übersetzer­s lesen. Auch hat die Schulleite­rin gelernt, dass Elternaben­de nicht erst 19 Uhr anfangen können und müssen, sondern auch schon am Nachmittag. „Für einige Familien ist es sehr wichtig, dass abends gemeinsam gekocht wird. Diese sind dann nicht zum

Elternaben­d gekommen.“So hat sie Elternaben­de einfach auf den Nachmittag vorverlegt. Manchmal sei es auch nötig zu erklären, warum Kinder früh am Morgen krankgemel­det werden müssen. „Wir müssen Eltern immer wieder erklären, dass es wichtige Regeln gibt für die Krankmeldu­ng. Sie gehen davon aus, dass die Schule weiß, dass sich die Mütter und Väter zu Hause um die kranken Kinder kümmern. Sie denken gar nicht daran, dass wir vielleicht auf eine Abmeldung warten.“Gemeinsam mit Vertretern aus anderen Schulen wie der 19. und der 135. Grundschul­e hat Anne-Maria Feig jetzt ein Positionsp­apier mitverfass­t, in dem sie beschreibe­n, was die Schulen brauchen, um Integratio­n und Inklusion in den Schulen noch besser umsetzen zu können. „Netzwerk Bildungsge­rechtigkei­t“lautet der Name des Bündnisses.

„Wir arbeiten an den Dresdner Schulen alle nach dem gleichen Lehrplan mit den gleichen Ressourcen. Nur die Bedarfe sind nicht die gleichen. Wir fordern, dass Ungleiches auch ungleich behandelt werden muss“, so Feig. Dass die Schulen, die besondere Herausford­erungen bewältigen müssen, auch andere Ressourcen bekommen. Nötig seien demnach nicht nur eine verpflicht­ende Sprachförd­erung ab dem Vorschulal­ter, sondern auch kleinere Klassen und qualifizie­rtes Personal, um noch besser auf die Schüler eingehen zu können. So steht es in dem Positionsp­apier. Hinzu kommen die Leidenscha­ft für den Beruf, der Wille zur Integratio­n und das Engagement für die Kinder. Ganz egal, aus welchem Land sie kommen und mit welchem Hintergrun­d.

 ?? Foto: René Meinig ?? Schulleite­rin AnneMaria Feig (links) und ihre Stellvertr­eterin Pauline Brun arbeiten an der 117. Grundschul­e in Dresden. Dort liegt der Anteil der Kinder mit Migrations­hintergrun­d bei 60 Prozent.
Foto: René Meinig Schulleite­rin AnneMaria Feig (links) und ihre Stellvertr­eterin Pauline Brun arbeiten an der 117. Grundschul­e in Dresden. Dort liegt der Anteil der Kinder mit Migrations­hintergrun­d bei 60 Prozent.

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