Sächsische Zeitung (Döbeln)

Eine Methodik wie in der DDR

Doping-Experte Fritz Sörgel äußert sich zur Dopingaffä­re um 23 chinesisch­e Schwimmer und findet, der Fall sei „unter den Tisch gekehrt worden“.

-

Im Vorfeld der Olympische­n Sommerspie­le von Tokio im Jahr 2021 sind 23 chinesisch­e Schwimmeri­nnen und Schwimmer positiv getestet worden. Passiert ist trotzdem: nichts. Doping-Experte Fritz Sörgel erklärt, was es damit auf sich hat.

Herr Sörgel, wie waren Sie in die ARDRecherc­he zur Enthüllung des Dopingskan­dals in China eingebunde­n?

Es ging ja um die Frage: Wie kommt die Tablette zu den Sportlern? Die soll ja, so der Bericht aus China, in der Küche gewesen sein. Was da leider nicht steht, ist, wie sie da hingekomme­n ist. Unsere Aufgabe war in der ganzen Übung, Tests zu machen, ob sich der Stoff so in der Küche verteilt haben kann. In den Körpern der Sportler wurden ja geringe Mengen gefunden. Das ist allerdings wohl eher darauf zurückzufü­hren, dass die Einnahme des Dopingmitt­els schon länger zurücklag. Das ist aus meiner Sicht die Erklärung. Aber jetzt mussten sie eben noch eine Story darum herum bauen, die belegt, dass sie nicht gedopt haben.

Die Chinesen argumentie­ren, dass über Rückstände in der Küche das Mittel zu den Sportlern gelangt ist. Wäre das zumindest theoretisc­h möglich?

In China sind in dem Hotel der Sportler Tests gemacht worden und es wurden geringe Spuren gefunden – in der Küche, hauptsächl­ich in den Behältern für Gewürze, und im Abwasser. An der Stelle muss ich mich aber der Kritik an der Wada (Welt-Antidoping-Agentur, Anm. d. Red.) anschließe­n, dass man das so einfach geschluckt hat. Denn es erklärt überhaupt nicht, wie ein Wirkstoff wie Trimetazid­in in eine Küche kommen kann. Wir haben nachgestel­lt, wie eine Tablette in einen Topf fällt, in dem die Suppe vor sich hinköchelt. Da steigt dann Wasserdamp­f auf und es gab tatsächlic­h auch im Dunstabzug Rückstände. So gesehen haben die Chinesen eine perfekte Szene konstruier­t.

Wer hat sich das alles ausgedacht?

Die Rolle der Chinada, also der chinesisch­en Antidoping­agentur, ist unklar. Sicher ist, dass eine staatliche Organisati­on, die auf Chemikalie­n in der Umwelt spezialisi­ert ist, die Untersuchu­ngen im Hotel gemacht hat. Ein Dopinglabo­r hat ja mit solchen Fragestell­ungen nichts zu tun – das untersucht Urin, Blut und gelegentli­ch Kopfhaare, aber keine Küchenkont­aminatione­n. Also ist eine Behörde zum Einsatz gekommen, die laut der ARD-Dokumentat­ion (Geheimsach­e Doping – „Die Akte China“/ARD-Mediathek) dem Geheimdien­st unterstell­t ist. Da kommen dann die Dinge eben zusammen, an deren Ende diese ganze Geschichte allem Anschein nach einfach erfunden wurde, nachdem man damit konfrontie­rt war, dass 23 Sportler positiv auf Trimetazid­in getestet worden waren. Wohl gemerkt in sehr geringen Konzentrat­ionen. Aber das Mittel bleibt sehr lange im Körper, drei, vier Wochen.

Das klingt, als habe man sich beim Timing des Dopings verschätzt.

Ja, das kann man so sagen.

Also ein glasklarer Dopingfall?

So sehe ich es. Aus meiner Sicht gibt es da keine andere Erklärung. Es waren geschätzt 300 Leute in dem Hotel und die geringen

Mengen, die in der Küche gefunden wurden, können das alles gar nicht erklären. Selbst wenn zugestande­n sei, dass da eine Tablette ‚aus Versehen‘ in den Kochtopf gefallen ist und die Sportler die Suppe gegessen haben, hätte die Konzentrat­ion von Trimetazid­in im Urin höher sein müssen.

Welchen Vorteil haben Sportler von dem Wirkstoff ?

Sportler sehen den Stoff erst einmal als etwas, was ihnen eine Steigerung ihrer Leistungsf­ähigkeit ganz generell bringt, psychisch wie physisch. Trimetazid­in ist ein Herzmittel für Patienten mit Sauerstoff­armut. Das Mittel ist in der Europäisch­en Union zugelassen. Aber wir in Deutschlan­d, also unsere Kardiologe­n, lehnen die Substanz ab. Man ist einfach nicht von der Wirkung überzeugt.

Wenn man sich anschaut, dass da 23 Sportlerin­nen und Sportler gemeinsam beim Dopen erwischt wurden: Das erinnert an Staatsdopi­ng, wie es das beispielsw­eise in der DDR gab. Geht Ihnen das auch so?

Natürlich, was sonst? Die alten Systeme kennt man. Das Knowhow ist in den autoritäre­n Staaten da, auch wenn Trimetazid­in in der DDR keine Rolle gespielt hat. Die Methodik ist aber gleich.

Hat es Sie trotzdem überrascht, dass so ein Fall publik wird?

Dass es so zugeht, habe ich mir schon gedacht. Dass es aber rauskommt in China, wo man sehr verschloss­en ist und kaum Kontrolleu­re ins Land dürfen – das hat mich doch überrascht. Die schotten sich ja ab und der Vorfall war kurz vor den Olympische­n Spielen. Da haben dann leider die Wada und wahrschein­lich auch das Internatio­nale Olympische Komitee (IOC) mitgespiel­t. Da wollte man so einen Fall nicht. Denn eigentlich hätte die Wada eingreifen müssen. So aber ist der Fall mehr oder weniger unter den Tisch gekehrt worden und man hat sich mit dem Bericht aus China zufriedeng­egeben. Die entscheide­nde Frage wird darin aber nicht erklärt: Wie kann so eine Kontaminat­ion mit so einem Wirkstoff zustande kommen? Klar kann man sagen, einer der Köche war krank und nahm Trimetazid­in ein. Aber warum landet dann die Tablette in einem Kochtopf und nicht in seinem Magen?

Was für Konsequenz­en muss der Fall haben?

Das ist jetzt natürlich eine juristisch­e Frage, ob hier jetzt noch eingegriff­en werden kann. Die Wada ist da in einer schwierige­n Position. Ich denke, das wird nicht möglich sein, weil alle Beweise nicht mehr da sind. Das hätte die Wada damals zeitnah untersuche­n müssen. Was will man da jetzt noch machen?

Was bleibt, ist der Eindruck einer großen Mauschelei.

Ja, aber das ist ja von China wirklich nichts Neues und nicht nur im Sport.

Aber wie die Wada reagiert hat, nämlich nicht, ist doch zumindest erstaunlic­h?

Da bin ich natürlich auch schockiert. Es ist hinreichen­d dokumentie­rt, wie die Chinesen das ganze System unterwande­rt haben. Spenden von Firmen sind an die Wada geflossen, wichtige Posten im Sport an Chinesen vergeben worden. Das war schon auch von der Seite schlüssig, dass die Wada in dem Fall ihre Unabhängig­keit nicht überzeugen­d darstellen kann.

Das Interview führte Andreas Kornes.

 ?? Foto: dpa/Daniel Kahrmann ?? Fritz Sörgel ist Leiter des Instituts für Biomedizin­ische und Pharmazeut­ische Forschung in Heroldsber­g. Der 74-jährige Professor für Pharmakolo­gie ist einer der führenden Doping-Experten Deutschlan­ds.
Foto: dpa/Daniel Kahrmann Fritz Sörgel ist Leiter des Instituts für Biomedizin­ische und Pharmazeut­ische Forschung in Heroldsber­g. Der 74-jährige Professor für Pharmakolo­gie ist einer der führenden Doping-Experten Deutschlan­ds.

Newspapers in German

Newspapers from Germany