Sächsische Zeitung (Döbeln)

Blick zurück auf dem Geßner-Hof

Vor 110 Jahren hatte Gustav Geßner ein Grundstück in Beicha gekauft. Jetzt bekommt der Enkel des Käufers Besuch von der Urenkelin des Verkäufers. Was es damit auf sich hat.

- Von Jens Hoyer

Reiner Geßner sammelt alles, was mit seinem Bauernhof in Beicha zu tun hat. Jetzt ist dem 75-Jährigen ein merkwürdig­er Zufall zu Hilfe gekommen, der Bestand um ein interessan­tes Stück bereichert. Eine fremde Frau fragte ihn, ob er ein Bild des Bauernhofs haben will. Es war gleichzeit­ig eine Reise in die Vergangenh­eit des Anwesens. Denn Gisela Müller ist die Urenkelin des Mannes, der vor 110 Jahren den Hof an den ersten Besitzer der Geßner-Familie verkaufte.

Gisela Müller hatte zuvor nicht viel mit dem alten Bauernhof zu tun. Als Kind hatte sie ihn gesehen, wenn sie öfter mit ihren Eltern die Grabstätte des Urgroßvate­rs besuchte, solange diese auf dem Beichaer Friedhof noch existierte. Seitdem war sie nie wieder im Ort ihrer Vorfahren gewesen, erzählt die 70-Jährige, die in Großenhain lebt. Am 24. April, dem 110. Jahrestag des Verkaufs, saß sie bei Geßners am Kaffeetisc­h.

Reiner Geßner kennt die Geschichte, wie sein Großvater Gustav Geßner seinerzeit zu dem Bauernhof kam. „Mein Großvater war Bahnhofsar­beiter in Mügeln und wurde nach Beicha versetzt“, erzählte er. Die Rübenbahn, die Kleinbahn von Döbeln nach Wilsdruff, führte direkt am Anwesen vorbei. Geßners Großvater hatte sich in dem Hof eingemiete­t, in der sogenannte­n Auszugswoh­nung im Nebengebäu­de.

Der Besitzer des Hofs war damals Reinhold Brühl, der Urgroßvate­r von Gisela Müller. „Er hat meinem Großvater die Pistole auf die Brust gesetzt. Entweder er kauft den Hof oder er muss ausziehen“, erzählt Geßner. Der Grund: Die beiden Söhne des Bauern hatten kein Interesse am Hof. Der eine arbeitete als Drogist in Wittenberg, der andere als Lehrer in Niederau.

So kam der erste Geßner in den Besitz des Anwesens, zu dem 8,5 Hektar Land gehörten. Aus dem Eisenbahne­r wurde ein Bauer. Der Eisenbahn ist er aber treu geblieben, erzählt der Enkel. „Zur Kirmes wurden die Eisenbahne­r zu Kaffee und Kuchen eingeladen.“Die Großmutter hatte auch gleich die Bahnagentu­r übernommen und mit Güterabfer­tigung und Fahrkarten­verkauf ein zweites Standbein geschaffen.

Vorbesitze­r Brühl zog nach dem Verkauf 1914 in die Auszugswoh­nung um. Im Kaufvertra­g war festgelegt, dass Geßners Großvater auch Milch, Eier, Butter und zu Weihnachte­n eine Gans als Teil der Kaufsumme zu liefern hatte, erzählte der Enkel. Der Altbesitze­r wohnte noch eine ganze Weile mit auf dem Hof und sei um 1930 verstorben.

Das Bild vom Hof hat Gisela Müller aus dem Nachlass ihres Vaters, der in Böhla Bäcker war. „Das Gemälde hat bei uns herumgesta­nden. Ich wusste nur, das ist der Hof in Beicha. Dann bin ich hier hingefahre­n und habe gefragt, ob Reiner Geßner es haben will.“

Wer das Bild gemalt hat, ist nicht klar. Eine Signatur gibt es nicht. Es zeigt den Hof auch in einem anderen Zustand, als er heute ist. Auf der linken Seite ist ein Garten zu sehen. Die vierte Seite des Hofs – ein massiver Schuppen mit Keller und Heuboden – hatte Geßners Vater erst 1939 gebaut. Im Fundament ist die steinerne Kugel vom Pfeiler des Eingangspo­rtals gelandet, die auf dem Gemälde zu sehen ist. Reiner Geßner wollte das dekorative Element wiederhabe­n und hatte eine neue Kugel aus Sandstein anfertigen lassen.

Die Scheune des Gehöfts war 1903 neu gebaut worden, nachdem sie abgebrannt war. „Brühl hatte einen Ziehsohn, der mit Feuer gespielt hat“, erzählt Geßner. Diese Scheune hatte sich der Beichaer Mitte der 1970-er Jahre zum Wohnhaus umgebaut, in dem er immer noch lebt.

„Das Bild ist wie ein Dankeschön für die Mühe, die man in dieses Grundstück reingestec­kt hat“, sagte Reiner Geßner. Nach der Wende stand die Frage, was aus dem alten Fachwerk-Wohnhaus aus dem Jahr 1834 wird. „Es ist mein Geburtshau­s. Es stand zur Diskussion, es abzureißen“, sagte Geßner. Über den Denkmalsch­utz kam der Hofbesitze­r an Fördermitt­el und konnte das Haus herrichten. Heute wohnt seine Tochter darin. Bei den Geßners ist die Frage der Nachfolge geklärt.

 ?? Foto: Dietmar Thomas ?? Reiner Geßner und Gisela Müller mit dem Bild des Hofs. Das Gebäude links hat damals noch nicht existiert. Das alte Wohnhaus ist heute restaurier­t.
Foto: Dietmar Thomas Reiner Geßner und Gisela Müller mit dem Bild des Hofs. Das Gebäude links hat damals noch nicht existiert. Das alte Wohnhaus ist heute restaurier­t.

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